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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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bulen Zustandes befunden, ähnlich dem. in welchem sich manche Aegyptologen
bei ihren Hieroglyphcnentzifferungen befinden, und in welchem man Dinge
sieht, die für andere Menschenkinder, selbst die von gesündesten Verstände, voll¬
kommen unbegreiflich bleiben.




Die Reform des Herrenhauses.

Mit großer Befriedigung bemerken wir. daß endlich auch die ministeriellen
Blätter anfangen, sich mit einer Angelegenheit zu beschäftigen, die für Preußen viel¬
leicht die wichtigste Lebensfrage ist. Bis jetzt hatte es den Anschein, als sollte sie
der Demokratie überlassen bleiben, um als Agitationsmittel für die Wahlen benutzt
zu werden, da doch mit Ausnahme der Krcuzzeitungspartei alle Stände darüber
einig sind, daß es mit dem Herrenhause nicht so bleiben kann. Die jetzige preußische
Verfassung gleicht einem Wagen, der an zwei entgegengesetzten Seiten mit Pferden
bespannt ist: die Folge davon ist nicht bloß Stillstand, sondern die äußerste Gefahr
der Beschädigung.

Die ministerielle Presse hofft die Reform, die sie als nöthig erkennt, auf dem
Wege der Verordnung durchzusetzen, ohne die Gesetzgebung in Anspruch zu nehmen,
da mit dem gegenwärtigen Herrenhause eine Veränderung seiner Zusammensetzung
nicht zu vereinbaren ist. Sie hofft die Majorität dadurch zu ändern, erstens, daß
die Zahl der lebenslänglichen, vom König ernannten Mitglieder vermehrt, zweiten",
das dem sogenannten befestigten Grundbesitz verliehene Präscntationsrccht eingeschränkt
und anderweitig regulirt wird.

Daß Beides auf dem Boden der bestehenden Verfassung möglich ist, darüber
besteht kein Zweifel. Das Präsentationsrecht des "befestigten Grundbesitzes" ist nicht
durch die Verfassung oder Gesetzgebung, sondern durch die königliche Verordnung
normirt worden, es kann mithin auf demselben Wege wieder abgeändert werden.

Sehr zweifelhaft dagegen ist, ob diese Schritte die Folge haben werden, welche
sich die ministerielle Presse davon verspricht. Zunächst ist es augenscheinlich, daß di-
bishcrige Majorität des Herrenhauses, die zwar ohne allen Grund, aber doch im beste"
Glauben die bisherige Zusammensetzung desselben für endgültig hält, durch dies
vermeintlich ihr angethane Unrecht in ihrem Trotz nur noch bestärkt werden wird.
Sodann ist es sehr die Frage, ob die neu eintretenden Mitglieder, so sorgfältig auch
das Ministerium ihre Wahl, überwachen mag. nicht allmälig als wirkliche Pairs
von dem im Herrenhaus herrschenden Geist inficirt werden. Die bisherige Majorität
ist eine compacte Masse, die neu eintretenden Mitglieder fühlen sich selbst halb und
halb als Eindringlinge, wenigstens als vereinzelt, und die Anziehungskraft der ersteren
wird um so mehr auf sie wirken, da man es geflissentlich zu vermeiden scheint,
den neuen Elementen hervorragende Führer zu geben. Die Lage der neuerdings
ernannten Pair" scheint uns wenig beneidenswerth.e

Es kommt noch ein Umstand hinzu, der uns sehr wichtig scheint. Wenn ein
Verfassung wirkliches Leben im Volk gewinnen soll, so muß mit allen ihren Le'


bulen Zustandes befunden, ähnlich dem. in welchem sich manche Aegyptologen
bei ihren Hieroglyphcnentzifferungen befinden, und in welchem man Dinge
sieht, die für andere Menschenkinder, selbst die von gesündesten Verstände, voll¬
kommen unbegreiflich bleiben.




Die Reform des Herrenhauses.

Mit großer Befriedigung bemerken wir. daß endlich auch die ministeriellen
Blätter anfangen, sich mit einer Angelegenheit zu beschäftigen, die für Preußen viel¬
leicht die wichtigste Lebensfrage ist. Bis jetzt hatte es den Anschein, als sollte sie
der Demokratie überlassen bleiben, um als Agitationsmittel für die Wahlen benutzt
zu werden, da doch mit Ausnahme der Krcuzzeitungspartei alle Stände darüber
einig sind, daß es mit dem Herrenhause nicht so bleiben kann. Die jetzige preußische
Verfassung gleicht einem Wagen, der an zwei entgegengesetzten Seiten mit Pferden
bespannt ist: die Folge davon ist nicht bloß Stillstand, sondern die äußerste Gefahr
der Beschädigung.

Die ministerielle Presse hofft die Reform, die sie als nöthig erkennt, auf dem
Wege der Verordnung durchzusetzen, ohne die Gesetzgebung in Anspruch zu nehmen,
da mit dem gegenwärtigen Herrenhause eine Veränderung seiner Zusammensetzung
nicht zu vereinbaren ist. Sie hofft die Majorität dadurch zu ändern, erstens, daß
die Zahl der lebenslänglichen, vom König ernannten Mitglieder vermehrt, zweiten«,
das dem sogenannten befestigten Grundbesitz verliehene Präscntationsrccht eingeschränkt
und anderweitig regulirt wird.

Daß Beides auf dem Boden der bestehenden Verfassung möglich ist, darüber
besteht kein Zweifel. Das Präsentationsrecht des „befestigten Grundbesitzes" ist nicht
durch die Verfassung oder Gesetzgebung, sondern durch die königliche Verordnung
normirt worden, es kann mithin auf demselben Wege wieder abgeändert werden.

Sehr zweifelhaft dagegen ist, ob diese Schritte die Folge haben werden, welche
sich die ministerielle Presse davon verspricht. Zunächst ist es augenscheinlich, daß di-
bishcrige Majorität des Herrenhauses, die zwar ohne allen Grund, aber doch im beste»
Glauben die bisherige Zusammensetzung desselben für endgültig hält, durch dies
vermeintlich ihr angethane Unrecht in ihrem Trotz nur noch bestärkt werden wird.
Sodann ist es sehr die Frage, ob die neu eintretenden Mitglieder, so sorgfältig auch
das Ministerium ihre Wahl, überwachen mag. nicht allmälig als wirkliche Pairs
von dem im Herrenhaus herrschenden Geist inficirt werden. Die bisherige Majorität
ist eine compacte Masse, die neu eintretenden Mitglieder fühlen sich selbst halb und
halb als Eindringlinge, wenigstens als vereinzelt, und die Anziehungskraft der ersteren
wird um so mehr auf sie wirken, da man es geflissentlich zu vermeiden scheint,
den neuen Elementen hervorragende Führer zu geben. Die Lage der neuerdings
ernannten Pair« scheint uns wenig beneidenswerth.e

Es kommt noch ein Umstand hinzu, der uns sehr wichtig scheint. Wenn ein
Verfassung wirkliches Leben im Volk gewinnen soll, so muß mit allen ihren Le'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/368>, abgerufen am 13.11.2024.