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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Partei, durch deren schwarzröckige Vertreter sie von Anfang an mit unver¬
hohlenem Triumphgeschrei begrüßt worden sind.

Gewiß es ist Zeit, daß die Richtung, welche das preußische Cultusministe¬
rium bis jetzt verfolgt, ein Ende erreiche. Sonst hat aller Fortschritt aus
andern Gebieten kein Fundament und kein Ziel. Die Schule liegt schwer
danieder und man Hütte ihr längst helfen sollen, aber nicht mit Regulativen,
sondern mit den materiellen Mitteln, die nirgends so sehr fehlen, wie hier;
nirgends besser angewandt wären. Predigt so viel ihr wollt, der Lehrer
müsse um Gottes Willen dienen-. Tüchtiges werden eure Lehrer erst leisten,
wenn sie nicht mehr bloß um Gottes Willen dienen. Wollt ihr aber im
Ernste, daß das Volk keine wahre und freie Bildung erhalte und sich ewig
begnüge mit Luther'sehen oder Heidelberger Katechismus und mit Gesang-
buchsiiedcrn, die zum Theil recht schön und erbaulich, zum Theil aber auch
recht herzlich geschmacklos sind, so haltet die Regulative auch für die Zukunft
fest als Regel und Richtschnur.




Preußens auswärtige Politik.

Die neulich wieder angeknüpften Unterhandlungen über die Reform der deutschen
Kriegsverfassung nöthigen uns, die Aufmerksamkeit auf die auswärtige Politik Preu¬
ßens zu lenken. Leider zeigt dieselbe eben so wenig Energie, als die innere; hier
wie dort scheint man den guten Willen als die ganze Aufgabe eines preußischen
Staatsmanns zu betrachten, und die Ausführung dem lieben Gott zu überlassen.
Weit entfernt, durch diesen muhamedanischen Fatalismus Freunde und Feinde zu
gewinnen, erregt man dadurch überall Mißtrauen, weil Jedermann voraussetzt, irgend
Etwas müßte eine so ansehnliche Regierung doch wollen, und je beharrlicher sie sich
des Schweigens befleißigt, desto gefährlichere Absichten setzt man bei ihr voraus.
Es scheint in Deutschland jetzt bereits so weit gekommen zu sein, daß jeder Vor¬
schlag Preußens, er mag lauten wie er wolle, von vornherein als unannehmbar
betrachtet wird.

Wir verkennen die Schwierigkeiten der Lage nicht, und um gegen Preußen
nicht ungerecht zu sein, sprechen wir es offen aus: nicht der eigentliche Inhalt,
nicht das Princip der preußischen Politik ist es, was wir tadeln, sondern nur die
Art und Weise, wie sie dasselbe durchzuführen sucht. Im Princip sind wir vielmehr
ganz mit ihr einverstanden.

Wir sind namentlich mit ihr einverstanden gegen diejenigen Mitglieder unserer
eigenen Partei, welche von ihr verlangen, sie solle sich an die Spitze der "Bewe¬
gung" stellen und eine Centralgewalt und ein Reichsparlament durchsetzen. Wenn
olche Wünsche in öffentlichen Versammlungen von Privatleuten discutirt und so"


Partei, durch deren schwarzröckige Vertreter sie von Anfang an mit unver¬
hohlenem Triumphgeschrei begrüßt worden sind.

Gewiß es ist Zeit, daß die Richtung, welche das preußische Cultusministe¬
rium bis jetzt verfolgt, ein Ende erreiche. Sonst hat aller Fortschritt aus
andern Gebieten kein Fundament und kein Ziel. Die Schule liegt schwer
danieder und man Hütte ihr längst helfen sollen, aber nicht mit Regulativen,
sondern mit den materiellen Mitteln, die nirgends so sehr fehlen, wie hier;
nirgends besser angewandt wären. Predigt so viel ihr wollt, der Lehrer
müsse um Gottes Willen dienen-. Tüchtiges werden eure Lehrer erst leisten,
wenn sie nicht mehr bloß um Gottes Willen dienen. Wollt ihr aber im
Ernste, daß das Volk keine wahre und freie Bildung erhalte und sich ewig
begnüge mit Luther'sehen oder Heidelberger Katechismus und mit Gesang-
buchsiiedcrn, die zum Theil recht schön und erbaulich, zum Theil aber auch
recht herzlich geschmacklos sind, so haltet die Regulative auch für die Zukunft
fest als Regel und Richtschnur.




Preußens auswärtige Politik.

Die neulich wieder angeknüpften Unterhandlungen über die Reform der deutschen
Kriegsverfassung nöthigen uns, die Aufmerksamkeit auf die auswärtige Politik Preu¬
ßens zu lenken. Leider zeigt dieselbe eben so wenig Energie, als die innere; hier
wie dort scheint man den guten Willen als die ganze Aufgabe eines preußischen
Staatsmanns zu betrachten, und die Ausführung dem lieben Gott zu überlassen.
Weit entfernt, durch diesen muhamedanischen Fatalismus Freunde und Feinde zu
gewinnen, erregt man dadurch überall Mißtrauen, weil Jedermann voraussetzt, irgend
Etwas müßte eine so ansehnliche Regierung doch wollen, und je beharrlicher sie sich
des Schweigens befleißigt, desto gefährlichere Absichten setzt man bei ihr voraus.
Es scheint in Deutschland jetzt bereits so weit gekommen zu sein, daß jeder Vor¬
schlag Preußens, er mag lauten wie er wolle, von vornherein als unannehmbar
betrachtet wird.

Wir verkennen die Schwierigkeiten der Lage nicht, und um gegen Preußen
nicht ungerecht zu sein, sprechen wir es offen aus: nicht der eigentliche Inhalt,
nicht das Princip der preußischen Politik ist es, was wir tadeln, sondern nur die
Art und Weise, wie sie dasselbe durchzuführen sucht. Im Princip sind wir vielmehr
ganz mit ihr einverstanden.

Wir sind namentlich mit ihr einverstanden gegen diejenigen Mitglieder unserer
eigenen Partei, welche von ihr verlangen, sie solle sich an die Spitze der „Bewe¬
gung" stellen und eine Centralgewalt und ein Reichsparlament durchsetzen. Wenn
olche Wünsche in öffentlichen Versammlungen von Privatleuten discutirt und so»


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[0364] Partei, durch deren schwarzröckige Vertreter sie von Anfang an mit unver¬ hohlenem Triumphgeschrei begrüßt worden sind. Gewiß es ist Zeit, daß die Richtung, welche das preußische Cultusministe¬ rium bis jetzt verfolgt, ein Ende erreiche. Sonst hat aller Fortschritt aus andern Gebieten kein Fundament und kein Ziel. Die Schule liegt schwer danieder und man Hütte ihr längst helfen sollen, aber nicht mit Regulativen, sondern mit den materiellen Mitteln, die nirgends so sehr fehlen, wie hier; nirgends besser angewandt wären. Predigt so viel ihr wollt, der Lehrer müsse um Gottes Willen dienen-. Tüchtiges werden eure Lehrer erst leisten, wenn sie nicht mehr bloß um Gottes Willen dienen. Wollt ihr aber im Ernste, daß das Volk keine wahre und freie Bildung erhalte und sich ewig begnüge mit Luther'sehen oder Heidelberger Katechismus und mit Gesang- buchsiiedcrn, die zum Theil recht schön und erbaulich, zum Theil aber auch recht herzlich geschmacklos sind, so haltet die Regulative auch für die Zukunft fest als Regel und Richtschnur. Preußens auswärtige Politik. Die neulich wieder angeknüpften Unterhandlungen über die Reform der deutschen Kriegsverfassung nöthigen uns, die Aufmerksamkeit auf die auswärtige Politik Preu¬ ßens zu lenken. Leider zeigt dieselbe eben so wenig Energie, als die innere; hier wie dort scheint man den guten Willen als die ganze Aufgabe eines preußischen Staatsmanns zu betrachten, und die Ausführung dem lieben Gott zu überlassen. Weit entfernt, durch diesen muhamedanischen Fatalismus Freunde und Feinde zu gewinnen, erregt man dadurch überall Mißtrauen, weil Jedermann voraussetzt, irgend Etwas müßte eine so ansehnliche Regierung doch wollen, und je beharrlicher sie sich des Schweigens befleißigt, desto gefährlichere Absichten setzt man bei ihr voraus. Es scheint in Deutschland jetzt bereits so weit gekommen zu sein, daß jeder Vor¬ schlag Preußens, er mag lauten wie er wolle, von vornherein als unannehmbar betrachtet wird. Wir verkennen die Schwierigkeiten der Lage nicht, und um gegen Preußen nicht ungerecht zu sein, sprechen wir es offen aus: nicht der eigentliche Inhalt, nicht das Princip der preußischen Politik ist es, was wir tadeln, sondern nur die Art und Weise, wie sie dasselbe durchzuführen sucht. Im Princip sind wir vielmehr ganz mit ihr einverstanden. Wir sind namentlich mit ihr einverstanden gegen diejenigen Mitglieder unserer eigenen Partei, welche von ihr verlangen, sie solle sich an die Spitze der „Bewe¬ gung" stellen und eine Centralgewalt und ein Reichsparlament durchsetzen. Wenn olche Wünsche in öffentlichen Versammlungen von Privatleuten discutirt und so»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/364>, abgerufen am 28.06.2024.