Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

stützen von allen Seiten, eine Sicherheit und Wahrheit des Benehmens, die
bei uns nur als Product höchster Bildungsstufen angetroffen wird, -- hier ist
es in jeder, auch der kleinsten Hütte zu finden.

<Schluß in nächster Nummer).




Revolution und Legitimität.

Daß die Revolution immer mächtiger ihr Haupt erhebt, und daß die letzten
Jahre, daß namentlich das gegenwärtige Jahr Epoche in ihr machen, das erkennt
niemand eifriger an als der eifrigste Gegner der Revolution, Professor Stahl, dessen
Reden wir immer mit Vergnügen lesen, obgleich sich vielleicht kein einziger Punkt
in ihnen findet, den wir unterschreiben möchten. Er hat neuerdings wieder ein ganz
glückliches Stichwort gefunden: die Revolution trete jetzt organisirt auf und sei um
desto gefährlicher. Hätte er statt "organisirt" gesagt: "organisirend", so wäre die
Wendung noch treffender, obgleich man auch da hätte einwenden können, daß jede
Revolution organisirt, und darin eben ihr Unterschied von der Emeutc liegt.

In der Definition des Gegenstandes, der fast ausschließlich seine Gedanken be¬
schäftigt, ist Stahl nicht glücklich gewesen. Es vermischen sich bei ihm zwei ver¬
schiedene Begriffe, je nachdem er die Form oder den Inhalt ins Auge saßt.

In formaler Beziehung- stellt er den Unterschied so fest, daß die Revolution das
Bestehende zerstören, die Legitimität es erhalten will. In dieser Abstraction gefaßt,
sagt der Gegensatz nichts, denn es gibt auf der Welt keinen Menschen, der nur zer¬
stören will: die Neigung der studirenden Jugend, Klingclschnürc abzudrehen und Fenster
einzuschlagen, ist doch nur ein vorübergehender Muthwille, de.r weder zu einer Partei
noch zu einer Gesinnung führt. Aber ebenso wenig ist das Gegentheil denkbar.
Der Grundsatz der Legitimität: "es muß Alles beim Alten bleiben", in seiner vollen
Konsequenz aufgefaßt, würde die ganze Geschichte ausstreichen. Es gibt kein Jahr
in der Geschichte, in dem wirklich Alles beim Alten geblieben wäre, selbst nicht zu'
des seligen Metternich Zeiten. Auch die mildere Wendung: "es solle Alles beim Al¬
ten bleiben, salls nicht die Berechtigten mit der Veränderung freiwillig übereinstimmten",
ist vor dem Richterstuhl der Geschichte nicht haltbar. Jeder wichtige Fortschritt, den
die Geschichte aufzeichnet, ist durch Gewalt geschehen, Das hauptsächlichste, fast könnte
man sagen, das einzige Motiv der geschichtlichen Bewegung, ist die Fähigkeit des
Menschen zur Unzufriedenheit mit seinem gegenwärtigen Zustand, und der Wunsch,


stützen von allen Seiten, eine Sicherheit und Wahrheit des Benehmens, die
bei uns nur als Product höchster Bildungsstufen angetroffen wird, — hier ist
es in jeder, auch der kleinsten Hütte zu finden.

<Schluß in nächster Nummer).




Revolution und Legitimität.

Daß die Revolution immer mächtiger ihr Haupt erhebt, und daß die letzten
Jahre, daß namentlich das gegenwärtige Jahr Epoche in ihr machen, das erkennt
niemand eifriger an als der eifrigste Gegner der Revolution, Professor Stahl, dessen
Reden wir immer mit Vergnügen lesen, obgleich sich vielleicht kein einziger Punkt
in ihnen findet, den wir unterschreiben möchten. Er hat neuerdings wieder ein ganz
glückliches Stichwort gefunden: die Revolution trete jetzt organisirt auf und sei um
desto gefährlicher. Hätte er statt „organisirt" gesagt: „organisirend", so wäre die
Wendung noch treffender, obgleich man auch da hätte einwenden können, daß jede
Revolution organisirt, und darin eben ihr Unterschied von der Emeutc liegt.

In der Definition des Gegenstandes, der fast ausschließlich seine Gedanken be¬
schäftigt, ist Stahl nicht glücklich gewesen. Es vermischen sich bei ihm zwei ver¬
schiedene Begriffe, je nachdem er die Form oder den Inhalt ins Auge saßt.

In formaler Beziehung- stellt er den Unterschied so fest, daß die Revolution das
Bestehende zerstören, die Legitimität es erhalten will. In dieser Abstraction gefaßt,
sagt der Gegensatz nichts, denn es gibt auf der Welt keinen Menschen, der nur zer¬
stören will: die Neigung der studirenden Jugend, Klingclschnürc abzudrehen und Fenster
einzuschlagen, ist doch nur ein vorübergehender Muthwille, de.r weder zu einer Partei
noch zu einer Gesinnung führt. Aber ebenso wenig ist das Gegentheil denkbar.
Der Grundsatz der Legitimität: „es muß Alles beim Alten bleiben", in seiner vollen
Konsequenz aufgefaßt, würde die ganze Geschichte ausstreichen. Es gibt kein Jahr
in der Geschichte, in dem wirklich Alles beim Alten geblieben wäre, selbst nicht zu'
des seligen Metternich Zeiten. Auch die mildere Wendung: „es solle Alles beim Al¬
ten bleiben, salls nicht die Berechtigten mit der Veränderung freiwillig übereinstimmten",
ist vor dem Richterstuhl der Geschichte nicht haltbar. Jeder wichtige Fortschritt, den
die Geschichte aufzeichnet, ist durch Gewalt geschehen, Das hauptsächlichste, fast könnte
man sagen, das einzige Motiv der geschichtlichen Bewegung, ist die Fähigkeit des
Menschen zur Unzufriedenheit mit seinem gegenwärtigen Zustand, und der Wunsch,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0286" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111718"/>
          <p xml:id="ID_918" prev="#ID_917"> stützen von allen Seiten, eine Sicherheit und Wahrheit des Benehmens, die<lb/>
bei uns nur als Product höchster Bildungsstufen angetroffen wird, &#x2014; hier ist<lb/>
es in jeder, auch der kleinsten Hütte zu finden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_919"> &lt;Schluß in nächster Nummer).</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Revolution und Legitimität.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_920"> Daß die Revolution immer mächtiger ihr Haupt erhebt, und daß die letzten<lb/>
Jahre, daß namentlich das gegenwärtige Jahr Epoche in ihr machen, das erkennt<lb/>
niemand eifriger an als der eifrigste Gegner der Revolution, Professor Stahl, dessen<lb/>
Reden wir immer mit Vergnügen lesen, obgleich sich vielleicht kein einziger Punkt<lb/>
in ihnen findet, den wir unterschreiben möchten. Er hat neuerdings wieder ein ganz<lb/>
glückliches Stichwort gefunden: die Revolution trete jetzt organisirt auf und sei um<lb/>
desto gefährlicher. Hätte er statt &#x201E;organisirt" gesagt: &#x201E;organisirend", so wäre die<lb/>
Wendung noch treffender, obgleich man auch da hätte einwenden können, daß jede<lb/>
Revolution organisirt, und darin eben ihr Unterschied von der Emeutc liegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_921"> In der Definition des Gegenstandes, der fast ausschließlich seine Gedanken be¬<lb/>
schäftigt, ist Stahl nicht glücklich gewesen. Es vermischen sich bei ihm zwei ver¬<lb/>
schiedene Begriffe, je nachdem er die Form oder den Inhalt ins Auge saßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_922" next="#ID_923"> In formaler Beziehung- stellt er den Unterschied so fest, daß die Revolution das<lb/>
Bestehende zerstören, die Legitimität es erhalten will. In dieser Abstraction gefaßt,<lb/>
sagt der Gegensatz nichts, denn es gibt auf der Welt keinen Menschen, der nur zer¬<lb/>
stören will: die Neigung der studirenden Jugend, Klingclschnürc abzudrehen und Fenster<lb/>
einzuschlagen, ist doch nur ein vorübergehender Muthwille, de.r weder zu einer Partei<lb/>
noch zu einer Gesinnung führt. Aber ebenso wenig ist das Gegentheil denkbar.<lb/>
Der Grundsatz der Legitimität: &#x201E;es muß Alles beim Alten bleiben", in seiner vollen<lb/>
Konsequenz aufgefaßt, würde die ganze Geschichte ausstreichen. Es gibt kein Jahr<lb/>
in der Geschichte, in dem wirklich Alles beim Alten geblieben wäre, selbst nicht zu'<lb/>
des seligen Metternich Zeiten. Auch die mildere Wendung: &#x201E;es solle Alles beim Al¬<lb/>
ten bleiben, salls nicht die Berechtigten mit der Veränderung freiwillig übereinstimmten",<lb/>
ist vor dem Richterstuhl der Geschichte nicht haltbar. Jeder wichtige Fortschritt, den<lb/>
die Geschichte aufzeichnet, ist durch Gewalt geschehen, Das hauptsächlichste, fast könnte<lb/>
man sagen, das einzige Motiv der geschichtlichen Bewegung, ist die Fähigkeit des<lb/>
Menschen zur Unzufriedenheit mit seinem gegenwärtigen Zustand, und der Wunsch,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0286] stützen von allen Seiten, eine Sicherheit und Wahrheit des Benehmens, die bei uns nur als Product höchster Bildungsstufen angetroffen wird, — hier ist es in jeder, auch der kleinsten Hütte zu finden. <Schluß in nächster Nummer). Revolution und Legitimität. Daß die Revolution immer mächtiger ihr Haupt erhebt, und daß die letzten Jahre, daß namentlich das gegenwärtige Jahr Epoche in ihr machen, das erkennt niemand eifriger an als der eifrigste Gegner der Revolution, Professor Stahl, dessen Reden wir immer mit Vergnügen lesen, obgleich sich vielleicht kein einziger Punkt in ihnen findet, den wir unterschreiben möchten. Er hat neuerdings wieder ein ganz glückliches Stichwort gefunden: die Revolution trete jetzt organisirt auf und sei um desto gefährlicher. Hätte er statt „organisirt" gesagt: „organisirend", so wäre die Wendung noch treffender, obgleich man auch da hätte einwenden können, daß jede Revolution organisirt, und darin eben ihr Unterschied von der Emeutc liegt. In der Definition des Gegenstandes, der fast ausschließlich seine Gedanken be¬ schäftigt, ist Stahl nicht glücklich gewesen. Es vermischen sich bei ihm zwei ver¬ schiedene Begriffe, je nachdem er die Form oder den Inhalt ins Auge saßt. In formaler Beziehung- stellt er den Unterschied so fest, daß die Revolution das Bestehende zerstören, die Legitimität es erhalten will. In dieser Abstraction gefaßt, sagt der Gegensatz nichts, denn es gibt auf der Welt keinen Menschen, der nur zer¬ stören will: die Neigung der studirenden Jugend, Klingclschnürc abzudrehen und Fenster einzuschlagen, ist doch nur ein vorübergehender Muthwille, de.r weder zu einer Partei noch zu einer Gesinnung führt. Aber ebenso wenig ist das Gegentheil denkbar. Der Grundsatz der Legitimität: „es muß Alles beim Alten bleiben", in seiner vollen Konsequenz aufgefaßt, würde die ganze Geschichte ausstreichen. Es gibt kein Jahr in der Geschichte, in dem wirklich Alles beim Alten geblieben wäre, selbst nicht zu' des seligen Metternich Zeiten. Auch die mildere Wendung: „es solle Alles beim Al¬ ten bleiben, salls nicht die Berechtigten mit der Veränderung freiwillig übereinstimmten", ist vor dem Richterstuhl der Geschichte nicht haltbar. Jeder wichtige Fortschritt, den die Geschichte aufzeichnet, ist durch Gewalt geschehen, Das hauptsächlichste, fast könnte man sagen, das einzige Motiv der geschichtlichen Bewegung, ist die Fähigkeit des Menschen zur Unzufriedenheit mit seinem gegenwärtigen Zustand, und der Wunsch,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/286
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/286>, abgerufen am 28.06.2024.