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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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das geringste Maaß zunickzuführen, was eben geschehen könnte, wenn unsere
Schulknaben schon exerciren und unsere Jünglinge von 18 Jahren an schießen
lernten.




Das Schaffen des dramatischen Dichters.
3.
Die Handlung und ihre Theile.

In der Seele des Dichters gestaltet sich das Drama allmälig aus dem
when Stoff, dem Bericht über irgend etwas Geschehenes. Zuerst treten
einzelne dramatische Momente: der Conflict zweier Charaktere, Gegensatz eines
Helden gegen Lebensbedingungen seiner Umgebung, so lebhaft aus ihrem Zu¬
sammenhange hervor, daß sie eine selbständige Bedeutung und einen einheit¬
lichen Inhalt gewinnen. Diese neue Einheit, die Idee des Drama's, wird
der Mittelpunkt, an welchen alle freie Erfindung wie in Strahlen anschießt,
sie wirkt mit ähnlich bildender Gewalt, wie die geheimnißvolle Kraft der Kry¬
stallisation, durch sie wird Einheit der Handlung. Konsequenz und Bedeutung
der Charaktere, zuletzt der gesammte Bau des Drama's hervorgebracht.

Dieser erste Fund des Dichters, der stille Mittelpunkt seines Bittens. tritt
ihm selbst nicht als Gedanke gegenüber, er bat niemals die farblose Klarheit eines
abgezogenen Begriffes; denn nicht kühle Reflexion findet die Idee eines Stückes,
"sinnt dazu Handlung und Charaktere. Im Gegentheil ist das Eigenthümliche
in der ersten Arbeit der Dichterseele, daß die Hauptsache der Handlung, das
Wesen der Hauptcharaktere, ja auch die Farbe, zugleich mit der Idee in d.er Seele
aufleuchten, zu einer unauflöslichen Einheit verbunden; und daß sie sofort wie
um Lebendes wirken, nach allen Seiten weitere Bildung erzeugend. So ist
Möglich, daß dem Dichter selbst die Idee seines Stückes, die er doch sehr sicher
in der Seele trägt, niemals während des Schaffens zur Ausbildung in Worten
Klange, und daß er selbst erst später durch Nachdenken seine innere Habe in das
geprägte Metall der Rede umsetzt und als Grundgedanken seines Drama's.begreift.
Möglich sogar, daß er als Schaffender die Idee richtiger nach den Gesetzen
l"ner Kunst empfunden hat, als er sich selbst den Grundgedanken des Werkes
einem Satze zusammenfaßt.


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das geringste Maaß zunickzuführen, was eben geschehen könnte, wenn unsere
Schulknaben schon exerciren und unsere Jünglinge von 18 Jahren an schießen
lernten.




Das Schaffen des dramatischen Dichters.
3.
Die Handlung und ihre Theile.

In der Seele des Dichters gestaltet sich das Drama allmälig aus dem
when Stoff, dem Bericht über irgend etwas Geschehenes. Zuerst treten
einzelne dramatische Momente: der Conflict zweier Charaktere, Gegensatz eines
Helden gegen Lebensbedingungen seiner Umgebung, so lebhaft aus ihrem Zu¬
sammenhange hervor, daß sie eine selbständige Bedeutung und einen einheit¬
lichen Inhalt gewinnen. Diese neue Einheit, die Idee des Drama's, wird
der Mittelpunkt, an welchen alle freie Erfindung wie in Strahlen anschießt,
sie wirkt mit ähnlich bildender Gewalt, wie die geheimnißvolle Kraft der Kry¬
stallisation, durch sie wird Einheit der Handlung. Konsequenz und Bedeutung
der Charaktere, zuletzt der gesammte Bau des Drama's hervorgebracht.

Dieser erste Fund des Dichters, der stille Mittelpunkt seines Bittens. tritt
ihm selbst nicht als Gedanke gegenüber, er bat niemals die farblose Klarheit eines
abgezogenen Begriffes; denn nicht kühle Reflexion findet die Idee eines Stückes,
"sinnt dazu Handlung und Charaktere. Im Gegentheil ist das Eigenthümliche
in der ersten Arbeit der Dichterseele, daß die Hauptsache der Handlung, das
Wesen der Hauptcharaktere, ja auch die Farbe, zugleich mit der Idee in d.er Seele
aufleuchten, zu einer unauflöslichen Einheit verbunden; und daß sie sofort wie
um Lebendes wirken, nach allen Seiten weitere Bildung erzeugend. So ist
Möglich, daß dem Dichter selbst die Idee seines Stückes, die er doch sehr sicher
in der Seele trägt, niemals während des Schaffens zur Ausbildung in Worten
Klange, und daß er selbst erst später durch Nachdenken seine innere Habe in das
geprägte Metall der Rede umsetzt und als Grundgedanken seines Drama's.begreift.
Möglich sogar, daß er als Schaffender die Idee richtiger nach den Gesetzen
l"ner Kunst empfunden hat, als er sich selbst den Grundgedanken des Werkes
einem Satze zusammenfaßt.


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[0229] das geringste Maaß zunickzuführen, was eben geschehen könnte, wenn unsere Schulknaben schon exerciren und unsere Jünglinge von 18 Jahren an schießen lernten. Das Schaffen des dramatischen Dichters. 3. Die Handlung und ihre Theile. In der Seele des Dichters gestaltet sich das Drama allmälig aus dem when Stoff, dem Bericht über irgend etwas Geschehenes. Zuerst treten einzelne dramatische Momente: der Conflict zweier Charaktere, Gegensatz eines Helden gegen Lebensbedingungen seiner Umgebung, so lebhaft aus ihrem Zu¬ sammenhange hervor, daß sie eine selbständige Bedeutung und einen einheit¬ lichen Inhalt gewinnen. Diese neue Einheit, die Idee des Drama's, wird der Mittelpunkt, an welchen alle freie Erfindung wie in Strahlen anschießt, sie wirkt mit ähnlich bildender Gewalt, wie die geheimnißvolle Kraft der Kry¬ stallisation, durch sie wird Einheit der Handlung. Konsequenz und Bedeutung der Charaktere, zuletzt der gesammte Bau des Drama's hervorgebracht. Dieser erste Fund des Dichters, der stille Mittelpunkt seines Bittens. tritt ihm selbst nicht als Gedanke gegenüber, er bat niemals die farblose Klarheit eines abgezogenen Begriffes; denn nicht kühle Reflexion findet die Idee eines Stückes, "sinnt dazu Handlung und Charaktere. Im Gegentheil ist das Eigenthümliche in der ersten Arbeit der Dichterseele, daß die Hauptsache der Handlung, das Wesen der Hauptcharaktere, ja auch die Farbe, zugleich mit der Idee in d.er Seele aufleuchten, zu einer unauflöslichen Einheit verbunden; und daß sie sofort wie um Lebendes wirken, nach allen Seiten weitere Bildung erzeugend. So ist Möglich, daß dem Dichter selbst die Idee seines Stückes, die er doch sehr sicher in der Seele trägt, niemals während des Schaffens zur Ausbildung in Worten Klange, und daß er selbst erst später durch Nachdenken seine innere Habe in das geprägte Metall der Rede umsetzt und als Grundgedanken seines Drama's.begreift. Möglich sogar, daß er als Schaffender die Idee richtiger nach den Gesetzen l"ner Kunst empfunden hat, als er sich selbst den Grundgedanken des Werkes einem Satze zusammenfaßt. 28*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/229>, abgerufen am 28.06.2024.