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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Fritz Reuter.

Selten wird der Kritik das angenehme Geschäft, einen Dichter mit un-
getheilter Freude begrüßen zu können. Ost wird ein tüchtiges Talent durch
eine verkehrte Richtung verkümmert; nicht weniger oft müssen wir die gute
Absicht anerkennen, aber die Kraft reicht nicht aus. Fritz Reuter besitzt die
Eigenschaften, die einer gesunden Periode der Literatur anzugehören pflegen,
den glücklichen Jnstinct für zweckmäßige Stoffe und die Stimmung, die den¬
selben entspricht, er besitzt aber außerdem eine Dichterkraft von seltenem Umfang.
Er kann sich den besten Dichtern unserer Zeit vollkommen ebenbürtig an die
Seite stellen, und er wird, wenn diese Behauptung nicht verwegen klingen sollte,
ein schönes Blatt in unserer Literaturgeschichte ausfüllen.

Unsere Kenntniß von seinen Werken ist noch beschränkt, wir haben von
ihm nichts gelesen als die Otte Kamelien und Hanne Rute (beides in
der Hinstorfschen Verlagsbuchhandlung zu Wismar erschienen). Wir hören,
daß er schon viel geschrieben hat und unter den Freunden und Kennern der
Plattdeutschen Mundart einen geachteten Namen besitzt. Dieser Name würde
uns nicht unbedingt ein günstiges Vorurtheil erwecken; denn sobald eine Sprache
oder ein Dialekt neu in die Literatur eintritt, pflegt der Patriotismus geschäf¬
tig zu sein, jeden jugendlichen Versuch mit dem Nimbus einer classischen Dich¬
tung zu umgeben, damit man doch gleich anständig in die Reihe der Cultur¬
völker eintritt. So haben es nach der Reihe die Polen, die Russen, die Czechen,
die Ungarn u. s. w. gemacht, so scheint es jetzt auch bei den Niedersachsen der Fall
ZU sein. Manches, was uns vo" jener Seite als Leistung ersten Ranges gerühmt
wurde, ist uns äußerst mittelmäßig vorgekommen. Was aber Fritz Reuter be¬
trifft, so kommt >hin bei der Wahl seiner Stoffe die Mundart allerdings äußerst
zu Statten, er würde aber in jeder Sprache ein vorzüglicher Dichter sein.

Es sei uns gestattet, dieser plattdeutschen Bewegung gegenüber unsere
Stellung anzugeben.

Wer nicht ein Paradoxcnjüger ist, wird anerkennen, daß eine allgemeine
Schriftsprache für Deutschland nothwendig war. wenn wir uns je zu einer
wirklichen Nation erheben wollten. Daß der meißnische Dialekt den Vorzug


Grenzboten I. 1861. 51
Fritz Reuter.

Selten wird der Kritik das angenehme Geschäft, einen Dichter mit un-
getheilter Freude begrüßen zu können. Ost wird ein tüchtiges Talent durch
eine verkehrte Richtung verkümmert; nicht weniger oft müssen wir die gute
Absicht anerkennen, aber die Kraft reicht nicht aus. Fritz Reuter besitzt die
Eigenschaften, die einer gesunden Periode der Literatur anzugehören pflegen,
den glücklichen Jnstinct für zweckmäßige Stoffe und die Stimmung, die den¬
selben entspricht, er besitzt aber außerdem eine Dichterkraft von seltenem Umfang.
Er kann sich den besten Dichtern unserer Zeit vollkommen ebenbürtig an die
Seite stellen, und er wird, wenn diese Behauptung nicht verwegen klingen sollte,
ein schönes Blatt in unserer Literaturgeschichte ausfüllen.

Unsere Kenntniß von seinen Werken ist noch beschränkt, wir haben von
ihm nichts gelesen als die Otte Kamelien und Hanne Rute (beides in
der Hinstorfschen Verlagsbuchhandlung zu Wismar erschienen). Wir hören,
daß er schon viel geschrieben hat und unter den Freunden und Kennern der
Plattdeutschen Mundart einen geachteten Namen besitzt. Dieser Name würde
uns nicht unbedingt ein günstiges Vorurtheil erwecken; denn sobald eine Sprache
oder ein Dialekt neu in die Literatur eintritt, pflegt der Patriotismus geschäf¬
tig zu sein, jeden jugendlichen Versuch mit dem Nimbus einer classischen Dich¬
tung zu umgeben, damit man doch gleich anständig in die Reihe der Cultur¬
völker eintritt. So haben es nach der Reihe die Polen, die Russen, die Czechen,
die Ungarn u. s. w. gemacht, so scheint es jetzt auch bei den Niedersachsen der Fall
ZU sein. Manches, was uns vo» jener Seite als Leistung ersten Ranges gerühmt
wurde, ist uns äußerst mittelmäßig vorgekommen. Was aber Fritz Reuter be¬
trifft, so kommt >hin bei der Wahl seiner Stoffe die Mundart allerdings äußerst
zu Statten, er würde aber in jeder Sprache ein vorzüglicher Dichter sein.

Es sei uns gestattet, dieser plattdeutschen Bewegung gegenüber unsere
Stellung anzugeben.

Wer nicht ein Paradoxcnjüger ist, wird anerkennen, daß eine allgemeine
Schriftsprache für Deutschland nothwendig war. wenn wir uns je zu einer
wirklichen Nation erheben wollten. Daß der meißnische Dialekt den Vorzug


Grenzboten I. 1861. 51
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[0411] Fritz Reuter. Selten wird der Kritik das angenehme Geschäft, einen Dichter mit un- getheilter Freude begrüßen zu können. Ost wird ein tüchtiges Talent durch eine verkehrte Richtung verkümmert; nicht weniger oft müssen wir die gute Absicht anerkennen, aber die Kraft reicht nicht aus. Fritz Reuter besitzt die Eigenschaften, die einer gesunden Periode der Literatur anzugehören pflegen, den glücklichen Jnstinct für zweckmäßige Stoffe und die Stimmung, die den¬ selben entspricht, er besitzt aber außerdem eine Dichterkraft von seltenem Umfang. Er kann sich den besten Dichtern unserer Zeit vollkommen ebenbürtig an die Seite stellen, und er wird, wenn diese Behauptung nicht verwegen klingen sollte, ein schönes Blatt in unserer Literaturgeschichte ausfüllen. Unsere Kenntniß von seinen Werken ist noch beschränkt, wir haben von ihm nichts gelesen als die Otte Kamelien und Hanne Rute (beides in der Hinstorfschen Verlagsbuchhandlung zu Wismar erschienen). Wir hören, daß er schon viel geschrieben hat und unter den Freunden und Kennern der Plattdeutschen Mundart einen geachteten Namen besitzt. Dieser Name würde uns nicht unbedingt ein günstiges Vorurtheil erwecken; denn sobald eine Sprache oder ein Dialekt neu in die Literatur eintritt, pflegt der Patriotismus geschäf¬ tig zu sein, jeden jugendlichen Versuch mit dem Nimbus einer classischen Dich¬ tung zu umgeben, damit man doch gleich anständig in die Reihe der Cultur¬ völker eintritt. So haben es nach der Reihe die Polen, die Russen, die Czechen, die Ungarn u. s. w. gemacht, so scheint es jetzt auch bei den Niedersachsen der Fall ZU sein. Manches, was uns vo» jener Seite als Leistung ersten Ranges gerühmt wurde, ist uns äußerst mittelmäßig vorgekommen. Was aber Fritz Reuter be¬ trifft, so kommt >hin bei der Wahl seiner Stoffe die Mundart allerdings äußerst zu Statten, er würde aber in jeder Sprache ein vorzüglicher Dichter sein. Es sei uns gestattet, dieser plattdeutschen Bewegung gegenüber unsere Stellung anzugeben. Wer nicht ein Paradoxcnjüger ist, wird anerkennen, daß eine allgemeine Schriftsprache für Deutschland nothwendig war. wenn wir uns je zu einer wirklichen Nation erheben wollten. Daß der meißnische Dialekt den Vorzug Grenzboten I. 1861. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/411>, abgerufen am 02.10.2024.