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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Satze von der ganz falschen Prämisse ausgeht, daß der Staat sich mit einer
Kirche identisiciven müsse, sucht derselbe auch den eigentlichen Kernpunkt der
Frage zu umgehen. Da der Reichsrath Maager aus der bestehenden Gesetz¬
gebung heraus die Forderung auf Durchführung der Gleichberechtigung ab¬
geleitet hatte, so hätte der Cardinal nachzuweisen gehabt, daß diese Forder¬
ung in den positiven Gesetzen nicht begründet sei, diesen Nachweis ist derselbe
jedoch schuldig geblieben. Es steht zudem einem "Nachfolger der Apostel"
schlecht an, die östreichischen Protestanten dafür verantwortlich zu machen, daß
diese oder jene auswärtige Regierung ihre Schuldigkeit nicht thut. Es wäre eines
Missionars der christlichen Liebe vielmehr würdiger gewesen, die deutschen
Bundesregierungen im Auge zu behalten, welche den Bundesgesetzen nachkom¬
men. Nicht besser ist es mit dem zweiten Argumente des sürsterzbischöflichen
Redners bestellt. Denn einmal wird die Prämisse desselben durch die Gesetz¬
gebung in den meisten deutschen Bundesländern, ja in einem großen Theile
von Oestreich selbst, B. in Siebenbürgen schlagend widerlegt. Wenn aber
der Cardinal behaupten will, daß diese Gesetzgebung die Katholiken gegen
ihre Confession "gleichgiltig" gemacht habe, so geräth er mit den Thatsachen
in Widerspruch oder er ist der Meinung, das Interesse seiner Glaubensgenos¬
sen sür ihre Kirche müsse gleichbedeutend sein mit Unduldsamkeit. Zum an¬
dern aber ist es durchaus verwerflich, das Recht von der Kopfzahl abhängig
zu machen. Sollen denn die Protestanten Oestreichs, weil sie in der Mino¬
rität sind, rechtlos sein?

Wenn solche Anschauungen in den Köpfen von Männernstecken, die eine
so hohe sociale Stellung einnehmen, so kann man begreifen, warum gerade
sie es sind, die den Forderungen des Zeitgeistes den Kreuzzug predigen. Es
dient aber auch zum Beweis, wie wenig Vertrauen sie in den innern Halt
ihrer Sache haben müssen, wenn sie schon in der rechtlichen Gleichstellung des
Protestantismus eine Gefahr für ihr System erblicken. Wir erwarten von
diesen Herren keine Gerechtigkeit; aber wir erwarten dieselbe von dem mäch¬
tigen Gebote der Weltgeschichte, dem auch sie sich beugen müssen.




Militärische Bilder ans dem Kirchenstaat.
3. Die Einnahme von Ancona.

Am 27. des Morgens stürmten die Piemontesen den Monte Pulito mit
größeren Kräften. Ihre Scharfschützen hatten sich während der Nacht in allen


Satze von der ganz falschen Prämisse ausgeht, daß der Staat sich mit einer
Kirche identisiciven müsse, sucht derselbe auch den eigentlichen Kernpunkt der
Frage zu umgehen. Da der Reichsrath Maager aus der bestehenden Gesetz¬
gebung heraus die Forderung auf Durchführung der Gleichberechtigung ab¬
geleitet hatte, so hätte der Cardinal nachzuweisen gehabt, daß diese Forder¬
ung in den positiven Gesetzen nicht begründet sei, diesen Nachweis ist derselbe
jedoch schuldig geblieben. Es steht zudem einem „Nachfolger der Apostel"
schlecht an, die östreichischen Protestanten dafür verantwortlich zu machen, daß
diese oder jene auswärtige Regierung ihre Schuldigkeit nicht thut. Es wäre eines
Missionars der christlichen Liebe vielmehr würdiger gewesen, die deutschen
Bundesregierungen im Auge zu behalten, welche den Bundesgesetzen nachkom¬
men. Nicht besser ist es mit dem zweiten Argumente des sürsterzbischöflichen
Redners bestellt. Denn einmal wird die Prämisse desselben durch die Gesetz¬
gebung in den meisten deutschen Bundesländern, ja in einem großen Theile
von Oestreich selbst, B. in Siebenbürgen schlagend widerlegt. Wenn aber
der Cardinal behaupten will, daß diese Gesetzgebung die Katholiken gegen
ihre Confession „gleichgiltig" gemacht habe, so geräth er mit den Thatsachen
in Widerspruch oder er ist der Meinung, das Interesse seiner Glaubensgenos¬
sen sür ihre Kirche müsse gleichbedeutend sein mit Unduldsamkeit. Zum an¬
dern aber ist es durchaus verwerflich, das Recht von der Kopfzahl abhängig
zu machen. Sollen denn die Protestanten Oestreichs, weil sie in der Mino¬
rität sind, rechtlos sein?

Wenn solche Anschauungen in den Köpfen von Männernstecken, die eine
so hohe sociale Stellung einnehmen, so kann man begreifen, warum gerade
sie es sind, die den Forderungen des Zeitgeistes den Kreuzzug predigen. Es
dient aber auch zum Beweis, wie wenig Vertrauen sie in den innern Halt
ihrer Sache haben müssen, wenn sie schon in der rechtlichen Gleichstellung des
Protestantismus eine Gefahr für ihr System erblicken. Wir erwarten von
diesen Herren keine Gerechtigkeit; aber wir erwarten dieselbe von dem mäch¬
tigen Gebote der Weltgeschichte, dem auch sie sich beugen müssen.




Militärische Bilder ans dem Kirchenstaat.
3. Die Einnahme von Ancona.

Am 27. des Morgens stürmten die Piemontesen den Monte Pulito mit
größeren Kräften. Ihre Scharfschützen hatten sich während der Nacht in allen


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[0482] Satze von der ganz falschen Prämisse ausgeht, daß der Staat sich mit einer Kirche identisiciven müsse, sucht derselbe auch den eigentlichen Kernpunkt der Frage zu umgehen. Da der Reichsrath Maager aus der bestehenden Gesetz¬ gebung heraus die Forderung auf Durchführung der Gleichberechtigung ab¬ geleitet hatte, so hätte der Cardinal nachzuweisen gehabt, daß diese Forder¬ ung in den positiven Gesetzen nicht begründet sei, diesen Nachweis ist derselbe jedoch schuldig geblieben. Es steht zudem einem „Nachfolger der Apostel" schlecht an, die östreichischen Protestanten dafür verantwortlich zu machen, daß diese oder jene auswärtige Regierung ihre Schuldigkeit nicht thut. Es wäre eines Missionars der christlichen Liebe vielmehr würdiger gewesen, die deutschen Bundesregierungen im Auge zu behalten, welche den Bundesgesetzen nachkom¬ men. Nicht besser ist es mit dem zweiten Argumente des sürsterzbischöflichen Redners bestellt. Denn einmal wird die Prämisse desselben durch die Gesetz¬ gebung in den meisten deutschen Bundesländern, ja in einem großen Theile von Oestreich selbst, B. in Siebenbürgen schlagend widerlegt. Wenn aber der Cardinal behaupten will, daß diese Gesetzgebung die Katholiken gegen ihre Confession „gleichgiltig" gemacht habe, so geräth er mit den Thatsachen in Widerspruch oder er ist der Meinung, das Interesse seiner Glaubensgenos¬ sen sür ihre Kirche müsse gleichbedeutend sein mit Unduldsamkeit. Zum an¬ dern aber ist es durchaus verwerflich, das Recht von der Kopfzahl abhängig zu machen. Sollen denn die Protestanten Oestreichs, weil sie in der Mino¬ rität sind, rechtlos sein? Wenn solche Anschauungen in den Köpfen von Männernstecken, die eine so hohe sociale Stellung einnehmen, so kann man begreifen, warum gerade sie es sind, die den Forderungen des Zeitgeistes den Kreuzzug predigen. Es dient aber auch zum Beweis, wie wenig Vertrauen sie in den innern Halt ihrer Sache haben müssen, wenn sie schon in der rechtlichen Gleichstellung des Protestantismus eine Gefahr für ihr System erblicken. Wir erwarten von diesen Herren keine Gerechtigkeit; aber wir erwarten dieselbe von dem mäch¬ tigen Gebote der Weltgeschichte, dem auch sie sich beugen müssen. Militärische Bilder ans dem Kirchenstaat. 3. Die Einnahme von Ancona. Am 27. des Morgens stürmten die Piemontesen den Monte Pulito mit größeren Kräften. Ihre Scharfschützen hatten sich während der Nacht in allen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/482>, abgerufen am 15.01.2025.