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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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und "Vorrechten", deren die römisch-katholische Kirche "nach der Anordnung
Gottes und nach den Bestimmungen der Kirchengesetze genießen soll," ein
Vorrecht aber ist mit dem Begriff der Parität nicht vereinbar. Artikel VII
wird so interpretirt. daß an Mittelschulen, welche von Kaiholiken besucht
werden, auch wenn sie aus öffentlichen Fonds oder von Nicht-Katholiken und
Katholiken gemeinschaftlich erhalten werden, nur Katholiken Lehrer oder Pro¬
fessoren sein dürfen. Aus Artikel IX, welcher von verderblichen und ver¬
werflichen Büchern handelt, wird gefolgert, daß auch solche religiöse Schriften,
die zum Gebrauche für Protestanten bestimmt sind oder vom protestantischen
Standpunkte aus keine Anfechtung erleiden können, vom Kaiserstaate ausge¬
schlossen werden dürften. Nach Artikel I des Schreibens des Fürsterzbischofs
Rauscher an den Cardinal Viale-Prcla sollen die Universitäten einen specifisch-
katholischen Charakter haben. Am grellsten treten aber die "Vorrechte" der
römischen Kirche im Ehegesetz vom Jahre 1856 hervor, welches in Ausführ¬
ung des X Artikels des Concordates erschienen ist, Und dessen tridentini-
sche Bestimmungen in dem der Parität geradezu ins Gesicht schlagenden Satze
gipfeln, daß das Band einer Ehe, bei deren Einsegnung wenigstens ein Theil
der katholischen Kirche angehört hat, auch dann nicht getrennt werden könne,
wenn in Folge einer Aenderung des Religionsbekenntnisses beide Theile einer
nichtkatholischen Kirche oder Religionsgesellschaft zugethan sind; daß ferner
eine Ehetrennung auch dann nicht stattfinden könne, wenn zwei Personen, die
sich als nichtkatholische Christen ehelichten, in die katholische Kirche eingetreten
sind, sei es auch, daß in der Folge sich beide wieder einem nichtkatholischen
Religionsbekenntnisse zugewendet haben. Und schreiben denn die "Kirchenge¬
setze", die durch das Concordat wieder in integrum restituirt worden sind,
nicht auch den schnöden Seelenhandel mittelst der Reversalien, nicht auch die
ungleiche Behandlung bezüglich der Kindererziehung in gemischten Ehen vor?

Ob aber der Herr Cardinal Rauscher, welcher in den entscheidenden Krei¬
sen einen überwiegenden Einfluß besitzt und der eigentliche Vater des Concor¬
dates ist, eine "Revision" desselben so leichten Kaufs zugeben wird, das ist
eine andere Frage. Nach der Nichtigkeit der Argumente zu urtheilen, die der¬
selbe in der zwölften Sitzung des Neichsrathes für sein Schoßkind ins Treffen
geführt hat, sollte man meinen, daß er das Feld schließlich nicht behaupten
würde. Die Gründe des Herrn Kardinals lassen sich in zwei Punkte zusam--
mcnfassen. Weil 1) nicht alle protestantischen Staaten ihren katholischen
Unterthanen Gleichberechtigung zu Theil werden kahlen, soll auch Oestreich der
evangelischen Kirche gegenüber nicht anders handeln; weil es 2) wie der Herr
Cardinal behauptet, schlechthin unmöglich sei, allen Theilen zu genügen, so
müsse man die religiösen Interessen einer sehr großen Mehrzahl jener der
Minderzahl vorsetzen. -- Abgesehen davon, daß der clericale Redner im ersten


und „Vorrechten", deren die römisch-katholische Kirche „nach der Anordnung
Gottes und nach den Bestimmungen der Kirchengesetze genießen soll," ein
Vorrecht aber ist mit dem Begriff der Parität nicht vereinbar. Artikel VII
wird so interpretirt. daß an Mittelschulen, welche von Kaiholiken besucht
werden, auch wenn sie aus öffentlichen Fonds oder von Nicht-Katholiken und
Katholiken gemeinschaftlich erhalten werden, nur Katholiken Lehrer oder Pro¬
fessoren sein dürfen. Aus Artikel IX, welcher von verderblichen und ver¬
werflichen Büchern handelt, wird gefolgert, daß auch solche religiöse Schriften,
die zum Gebrauche für Protestanten bestimmt sind oder vom protestantischen
Standpunkte aus keine Anfechtung erleiden können, vom Kaiserstaate ausge¬
schlossen werden dürften. Nach Artikel I des Schreibens des Fürsterzbischofs
Rauscher an den Cardinal Viale-Prcla sollen die Universitäten einen specifisch-
katholischen Charakter haben. Am grellsten treten aber die „Vorrechte" der
römischen Kirche im Ehegesetz vom Jahre 1856 hervor, welches in Ausführ¬
ung des X Artikels des Concordates erschienen ist, Und dessen tridentini-
sche Bestimmungen in dem der Parität geradezu ins Gesicht schlagenden Satze
gipfeln, daß das Band einer Ehe, bei deren Einsegnung wenigstens ein Theil
der katholischen Kirche angehört hat, auch dann nicht getrennt werden könne,
wenn in Folge einer Aenderung des Religionsbekenntnisses beide Theile einer
nichtkatholischen Kirche oder Religionsgesellschaft zugethan sind; daß ferner
eine Ehetrennung auch dann nicht stattfinden könne, wenn zwei Personen, die
sich als nichtkatholische Christen ehelichten, in die katholische Kirche eingetreten
sind, sei es auch, daß in der Folge sich beide wieder einem nichtkatholischen
Religionsbekenntnisse zugewendet haben. Und schreiben denn die „Kirchenge¬
setze", die durch das Concordat wieder in integrum restituirt worden sind,
nicht auch den schnöden Seelenhandel mittelst der Reversalien, nicht auch die
ungleiche Behandlung bezüglich der Kindererziehung in gemischten Ehen vor?

Ob aber der Herr Cardinal Rauscher, welcher in den entscheidenden Krei¬
sen einen überwiegenden Einfluß besitzt und der eigentliche Vater des Concor¬
dates ist, eine „Revision" desselben so leichten Kaufs zugeben wird, das ist
eine andere Frage. Nach der Nichtigkeit der Argumente zu urtheilen, die der¬
selbe in der zwölften Sitzung des Neichsrathes für sein Schoßkind ins Treffen
geführt hat, sollte man meinen, daß er das Feld schließlich nicht behaupten
würde. Die Gründe des Herrn Kardinals lassen sich in zwei Punkte zusam--
mcnfassen. Weil 1) nicht alle protestantischen Staaten ihren katholischen
Unterthanen Gleichberechtigung zu Theil werden kahlen, soll auch Oestreich der
evangelischen Kirche gegenüber nicht anders handeln; weil es 2) wie der Herr
Cardinal behauptet, schlechthin unmöglich sei, allen Theilen zu genügen, so
müsse man die religiösen Interessen einer sehr großen Mehrzahl jener der
Minderzahl vorsetzen. — Abgesehen davon, daß der clericale Redner im ersten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/481>, abgerufen am 15.01.2025.