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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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licher Schöpfungen dieser Art daran zu legen vergißt. Auch manche hübsche
Privatgärten finden sich im Rauvn der Stadt. Die Gewerbthätigl'eit und
der Handel derselben sind verhältnißmäßig sehr unbedeutend; Nicolajeff ist
eine reine Beamten- und Militärstadt. Die Zahl ihrer Einwohner mit Aus¬
nahme der Arsenalarbeiter und der Truppen beträgt ungefähr 25,000 Seelen,
es gab eine Zeit, wo ihre Bevölkerung 120,000 zählte.

Die Spuren und Reliquien des Krimkrieges werden dem Land auf lange
Zeit bleiben. Da man damals nicht anders erwartete, als daß die Alliirten
über die Landenge von Perekop dringen, und einen Angriff vom Lande, gleich¬
zeitig wie zu Wasser versuchen würden, so wurde unter General Tottlebens
Leitung die ganze Ostseite der Stadt in einem mächtigen Bogen vom Ingut
bis zum Bug mit Befestigungen versehen. Die Schnelligkeit, mit welcher die¬
selben aus der Erde wuchsen, war fabelhaft, allein es wurden auch alle Kräfte
angestrengt. Weiber und Kinder, Mädchen und Greise standen in den Grä¬
ben und halfen Schanzen aufwerfen, weniger aus Zwang, wie aus eigenem
Antrieb; denn es galt ja einem heiligen Krieg, der Sache der Rechtgläubigen
gegen die Ungläubigen. Es waren solche Vorsichtsmaßregeln getroffen, daß
das ungeheuere, hier aufgehäufte Kriegsmaterial schwerlich in die Hände des
Feindes gefallen wäre. Mitschleppen hätte er es doch nicht gekonnt und der
Pariser Frieden hat fast dieselbe Wirkung gehabt, wie eine thatsächliche Ver¬
nichtung; es liegt todt und nutzlos begraben. Eine russische Flotte existirt
nicht mehr im schwarzen Meere und Nicolajeff hat seine Bedeutung verloren.
Selbst wenn in späteren Zeiten, wie kaum zu bezweifeln ist. eine Aenderung
der politischen Lage eintreten, und Rußland wieder die unbeschränkte Herrschaft
im schwarzen Meere gewinnen sollte, wozu es bei der jährlich wachsenden
Zahl der Schraubendampfcr der vom Staat unterstützten russischen Gesellschaft
keiner besonders großen Vorbereitungen bedürfte, steht es doch sehr in Frage,
ob Nicolajeff wieder zum Sitz der Admiralität und zum Depot der Kriegs¬
vorräthe erkoren werden würde.




Die diplomatische KlimiAe.

Da die Komödie, die mit dem Vertrag von Villnfranca begann, sich eilig
dem Ende nähert, ist es zweckmäßig, aus die Hauptpointen derselben auf¬
merksam zu machen -- mit Vorbehalt weiterer Enthüllungen. -- Zuerst einen
Rückblick auf das vergangene Jahr, in Bezug auf die Savoyer Angelegenheit.

1. Juli 1859: Capitän Harris, britischer Bevollmächtigter in der
Schweiz, wird darauf aufmerksam gemacht, Frankreich wolle Savoyen und


Grenzboten I. 1800. 59

licher Schöpfungen dieser Art daran zu legen vergißt. Auch manche hübsche
Privatgärten finden sich im Rauvn der Stadt. Die Gewerbthätigl'eit und
der Handel derselben sind verhältnißmäßig sehr unbedeutend; Nicolajeff ist
eine reine Beamten- und Militärstadt. Die Zahl ihrer Einwohner mit Aus¬
nahme der Arsenalarbeiter und der Truppen beträgt ungefähr 25,000 Seelen,
es gab eine Zeit, wo ihre Bevölkerung 120,000 zählte.

Die Spuren und Reliquien des Krimkrieges werden dem Land auf lange
Zeit bleiben. Da man damals nicht anders erwartete, als daß die Alliirten
über die Landenge von Perekop dringen, und einen Angriff vom Lande, gleich¬
zeitig wie zu Wasser versuchen würden, so wurde unter General Tottlebens
Leitung die ganze Ostseite der Stadt in einem mächtigen Bogen vom Ingut
bis zum Bug mit Befestigungen versehen. Die Schnelligkeit, mit welcher die¬
selben aus der Erde wuchsen, war fabelhaft, allein es wurden auch alle Kräfte
angestrengt. Weiber und Kinder, Mädchen und Greise standen in den Grä¬
ben und halfen Schanzen aufwerfen, weniger aus Zwang, wie aus eigenem
Antrieb; denn es galt ja einem heiligen Krieg, der Sache der Rechtgläubigen
gegen die Ungläubigen. Es waren solche Vorsichtsmaßregeln getroffen, daß
das ungeheuere, hier aufgehäufte Kriegsmaterial schwerlich in die Hände des
Feindes gefallen wäre. Mitschleppen hätte er es doch nicht gekonnt und der
Pariser Frieden hat fast dieselbe Wirkung gehabt, wie eine thatsächliche Ver¬
nichtung; es liegt todt und nutzlos begraben. Eine russische Flotte existirt
nicht mehr im schwarzen Meere und Nicolajeff hat seine Bedeutung verloren.
Selbst wenn in späteren Zeiten, wie kaum zu bezweifeln ist. eine Aenderung
der politischen Lage eintreten, und Rußland wieder die unbeschränkte Herrschaft
im schwarzen Meere gewinnen sollte, wozu es bei der jährlich wachsenden
Zahl der Schraubendampfcr der vom Staat unterstützten russischen Gesellschaft
keiner besonders großen Vorbereitungen bedürfte, steht es doch sehr in Frage,
ob Nicolajeff wieder zum Sitz der Admiralität und zum Depot der Kriegs¬
vorräthe erkoren werden würde.




Die diplomatische KlimiAe.

Da die Komödie, die mit dem Vertrag von Villnfranca begann, sich eilig
dem Ende nähert, ist es zweckmäßig, aus die Hauptpointen derselben auf¬
merksam zu machen — mit Vorbehalt weiterer Enthüllungen. — Zuerst einen
Rückblick auf das vergangene Jahr, in Bezug auf die Savoyer Angelegenheit.

1. Juli 1859: Capitän Harris, britischer Bevollmächtigter in der
Schweiz, wird darauf aufmerksam gemacht, Frankreich wolle Savoyen und


Grenzboten I. 1800. 59
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[0477] licher Schöpfungen dieser Art daran zu legen vergißt. Auch manche hübsche Privatgärten finden sich im Rauvn der Stadt. Die Gewerbthätigl'eit und der Handel derselben sind verhältnißmäßig sehr unbedeutend; Nicolajeff ist eine reine Beamten- und Militärstadt. Die Zahl ihrer Einwohner mit Aus¬ nahme der Arsenalarbeiter und der Truppen beträgt ungefähr 25,000 Seelen, es gab eine Zeit, wo ihre Bevölkerung 120,000 zählte. Die Spuren und Reliquien des Krimkrieges werden dem Land auf lange Zeit bleiben. Da man damals nicht anders erwartete, als daß die Alliirten über die Landenge von Perekop dringen, und einen Angriff vom Lande, gleich¬ zeitig wie zu Wasser versuchen würden, so wurde unter General Tottlebens Leitung die ganze Ostseite der Stadt in einem mächtigen Bogen vom Ingut bis zum Bug mit Befestigungen versehen. Die Schnelligkeit, mit welcher die¬ selben aus der Erde wuchsen, war fabelhaft, allein es wurden auch alle Kräfte angestrengt. Weiber und Kinder, Mädchen und Greise standen in den Grä¬ ben und halfen Schanzen aufwerfen, weniger aus Zwang, wie aus eigenem Antrieb; denn es galt ja einem heiligen Krieg, der Sache der Rechtgläubigen gegen die Ungläubigen. Es waren solche Vorsichtsmaßregeln getroffen, daß das ungeheuere, hier aufgehäufte Kriegsmaterial schwerlich in die Hände des Feindes gefallen wäre. Mitschleppen hätte er es doch nicht gekonnt und der Pariser Frieden hat fast dieselbe Wirkung gehabt, wie eine thatsächliche Ver¬ nichtung; es liegt todt und nutzlos begraben. Eine russische Flotte existirt nicht mehr im schwarzen Meere und Nicolajeff hat seine Bedeutung verloren. Selbst wenn in späteren Zeiten, wie kaum zu bezweifeln ist. eine Aenderung der politischen Lage eintreten, und Rußland wieder die unbeschränkte Herrschaft im schwarzen Meere gewinnen sollte, wozu es bei der jährlich wachsenden Zahl der Schraubendampfcr der vom Staat unterstützten russischen Gesellschaft keiner besonders großen Vorbereitungen bedürfte, steht es doch sehr in Frage, ob Nicolajeff wieder zum Sitz der Admiralität und zum Depot der Kriegs¬ vorräthe erkoren werden würde. Die diplomatische KlimiAe. Da die Komödie, die mit dem Vertrag von Villnfranca begann, sich eilig dem Ende nähert, ist es zweckmäßig, aus die Hauptpointen derselben auf¬ merksam zu machen — mit Vorbehalt weiterer Enthüllungen. — Zuerst einen Rückblick auf das vergangene Jahr, in Bezug auf die Savoyer Angelegenheit. 1. Juli 1859: Capitän Harris, britischer Bevollmächtigter in der Schweiz, wird darauf aufmerksam gemacht, Frankreich wolle Savoyen und Grenzboten I. 1800. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/477>, abgerufen am 22.07.2024.