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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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§. 6. Es wird angenommen, daß Graf Giulay so viel als Melas und
Napoleon der Dritte so viel als der erste Consul gelte.

Ausgewechselt und unterschrieben 2c. :c.


R.


Von der preußischen Grenze.

Alle sonstigen Reflexionen verstummen in diesem Augenblick vor der großen
Thatsache: es ist vorgestern die erste Schlacht geschlagen. Zwar ist sie nicht entscheidend
gewesen und wir sind entschieden geneigt, die im Moniteur angegebenen Zahlen ans
Rechnung der französischen Windbeutelei zu schreiben; aber -- die Oestreicher sind
ans Piemont gedrängt, die französische Armee überschreitet den Tessino, Garibaldis
Corps ist aus seiner bedrängten Lage befreit, Mailand ist kaum zu halten und weit
früher als die schwärzeste Voraussicht es befürchtete, sieht sich die östreichische Armee
auf die Minciolinic angewiesen. Dieses Resultat erlaubt und fordert einen Rück¬
schluß auf das Verfahren Oestreichs bei dem Ultimatum an Piemont, womit der
Krieg begonnen wurde.

Große, kühne und durchgreifende Entschlüsse, bei denen man die Scheide weg¬
wirft, können sich nur durch den Erfolg rechtfertigen. Hätte Oestreich im ersten An¬
lauf die picmontcsische Armee zermalmt, Turin genommen und entweder den Frieden
dictirt oder Genua und die Alpcnpüsse besetzt, um die noch unentwickelten Franzosen
in die See und von den Bergen herabzuwerfen, so würde sich nicht eine einzige
Stimme gefunden haben, die jenen Entschluß nicht als den heilsamsten gefeiert hätte.
Was hat nun Oestreich aber gewonnen? Es hat die Lomellina durch Kontribution
ausgesogen, es ist in der Lage gewesen, sein eignes Varese zu plündern, wodurch
es sich gewiß in Italien nicht populärer gemacht hat, es ist geschlagen und muth-
maßlich aus seine zweite Vcrthcidigungslinie gedrängt. Dies ist der Preis, um dessent-
willen es die diplomatischen Verhandlungen mit England und Preußen abgebrochen
und diesen beiden Staaten, denen die italienische Verwicklung höchst ungelegen kommen
mußte, wenigstens formal das Recht gegeben hat, dem angreifenden Staat vorläufig
die Durchführung seiner eignen Angelegenheit allein zu überlassen.

Man sage auch nicht, daß ein Erfolg sich nicht berechnen lasse: jener Schritt
durste nur gewagt werden, sobald der Erfolg zu berechnen war; man konnte ihn
mit dem militärischen Korrespondenten im vorigen Heft der Grenzboten nur dann
einen politisch braven nennen, wenn er strategisch wohl überlegt war.

Sollte aber Oestreich mit jenem Schritt die Absicht verbunden haben, dadurch
Preußen wider seinen Willen in den Krieg hineinzuziehn, so hätte sich dieses, gelinde
gesagt, unklug gewählte Mittel, gleichfalls als unzureichend erwiesen.

Lassen wir indeß diesen unerquicklichen Rückblick bei Seite, und suchen uns klar


§. 6. Es wird angenommen, daß Graf Giulay so viel als Melas und
Napoleon der Dritte so viel als der erste Consul gelte.

Ausgewechselt und unterschrieben 2c. :c.


R.


Von der preußischen Grenze.

Alle sonstigen Reflexionen verstummen in diesem Augenblick vor der großen
Thatsache: es ist vorgestern die erste Schlacht geschlagen. Zwar ist sie nicht entscheidend
gewesen und wir sind entschieden geneigt, die im Moniteur angegebenen Zahlen ans
Rechnung der französischen Windbeutelei zu schreiben; aber — die Oestreicher sind
ans Piemont gedrängt, die französische Armee überschreitet den Tessino, Garibaldis
Corps ist aus seiner bedrängten Lage befreit, Mailand ist kaum zu halten und weit
früher als die schwärzeste Voraussicht es befürchtete, sieht sich die östreichische Armee
auf die Minciolinic angewiesen. Dieses Resultat erlaubt und fordert einen Rück¬
schluß auf das Verfahren Oestreichs bei dem Ultimatum an Piemont, womit der
Krieg begonnen wurde.

Große, kühne und durchgreifende Entschlüsse, bei denen man die Scheide weg¬
wirft, können sich nur durch den Erfolg rechtfertigen. Hätte Oestreich im ersten An¬
lauf die picmontcsische Armee zermalmt, Turin genommen und entweder den Frieden
dictirt oder Genua und die Alpcnpüsse besetzt, um die noch unentwickelten Franzosen
in die See und von den Bergen herabzuwerfen, so würde sich nicht eine einzige
Stimme gefunden haben, die jenen Entschluß nicht als den heilsamsten gefeiert hätte.
Was hat nun Oestreich aber gewonnen? Es hat die Lomellina durch Kontribution
ausgesogen, es ist in der Lage gewesen, sein eignes Varese zu plündern, wodurch
es sich gewiß in Italien nicht populärer gemacht hat, es ist geschlagen und muth-
maßlich aus seine zweite Vcrthcidigungslinie gedrängt. Dies ist der Preis, um dessent-
willen es die diplomatischen Verhandlungen mit England und Preußen abgebrochen
und diesen beiden Staaten, denen die italienische Verwicklung höchst ungelegen kommen
mußte, wenigstens formal das Recht gegeben hat, dem angreifenden Staat vorläufig
die Durchführung seiner eignen Angelegenheit allein zu überlassen.

Man sage auch nicht, daß ein Erfolg sich nicht berechnen lasse: jener Schritt
durste nur gewagt werden, sobald der Erfolg zu berechnen war; man konnte ihn
mit dem militärischen Korrespondenten im vorigen Heft der Grenzboten nur dann
einen politisch braven nennen, wenn er strategisch wohl überlegt war.

Sollte aber Oestreich mit jenem Schritt die Absicht verbunden haben, dadurch
Preußen wider seinen Willen in den Krieg hineinzuziehn, so hätte sich dieses, gelinde
gesagt, unklug gewählte Mittel, gleichfalls als unzureichend erwiesen.

Lassen wir indeß diesen unerquicklichen Rückblick bei Seite, und suchen uns klar


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[0442] §. 6. Es wird angenommen, daß Graf Giulay so viel als Melas und Napoleon der Dritte so viel als der erste Consul gelte. Ausgewechselt und unterschrieben 2c. :c. R. Von der preußischen Grenze. Alle sonstigen Reflexionen verstummen in diesem Augenblick vor der großen Thatsache: es ist vorgestern die erste Schlacht geschlagen. Zwar ist sie nicht entscheidend gewesen und wir sind entschieden geneigt, die im Moniteur angegebenen Zahlen ans Rechnung der französischen Windbeutelei zu schreiben; aber — die Oestreicher sind ans Piemont gedrängt, die französische Armee überschreitet den Tessino, Garibaldis Corps ist aus seiner bedrängten Lage befreit, Mailand ist kaum zu halten und weit früher als die schwärzeste Voraussicht es befürchtete, sieht sich die östreichische Armee auf die Minciolinic angewiesen. Dieses Resultat erlaubt und fordert einen Rück¬ schluß auf das Verfahren Oestreichs bei dem Ultimatum an Piemont, womit der Krieg begonnen wurde. Große, kühne und durchgreifende Entschlüsse, bei denen man die Scheide weg¬ wirft, können sich nur durch den Erfolg rechtfertigen. Hätte Oestreich im ersten An¬ lauf die picmontcsische Armee zermalmt, Turin genommen und entweder den Frieden dictirt oder Genua und die Alpcnpüsse besetzt, um die noch unentwickelten Franzosen in die See und von den Bergen herabzuwerfen, so würde sich nicht eine einzige Stimme gefunden haben, die jenen Entschluß nicht als den heilsamsten gefeiert hätte. Was hat nun Oestreich aber gewonnen? Es hat die Lomellina durch Kontribution ausgesogen, es ist in der Lage gewesen, sein eignes Varese zu plündern, wodurch es sich gewiß in Italien nicht populärer gemacht hat, es ist geschlagen und muth- maßlich aus seine zweite Vcrthcidigungslinie gedrängt. Dies ist der Preis, um dessent- willen es die diplomatischen Verhandlungen mit England und Preußen abgebrochen und diesen beiden Staaten, denen die italienische Verwicklung höchst ungelegen kommen mußte, wenigstens formal das Recht gegeben hat, dem angreifenden Staat vorläufig die Durchführung seiner eignen Angelegenheit allein zu überlassen. Man sage auch nicht, daß ein Erfolg sich nicht berechnen lasse: jener Schritt durste nur gewagt werden, sobald der Erfolg zu berechnen war; man konnte ihn mit dem militärischen Korrespondenten im vorigen Heft der Grenzboten nur dann einen politisch braven nennen, wenn er strategisch wohl überlegt war. Sollte aber Oestreich mit jenem Schritt die Absicht verbunden haben, dadurch Preußen wider seinen Willen in den Krieg hineinzuziehn, so hätte sich dieses, gelinde gesagt, unklug gewählte Mittel, gleichfalls als unzureichend erwiesen. Lassen wir indeß diesen unerquicklichen Rückblick bei Seite, und suchen uns klar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/442>, abgerufen am 22.12.2024.