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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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sein gesundes Drama ohne die Zuthat dieses sinnlichen Reizmittels mehr auf.
kommen zu können scheint. Auch in Rom unterlagen Tragödie und Komödie
schon zu Anfang der Kaiserzeit den Pantomimen, nachdem sie kaum angefangen
hatten, sich selbstständig zu entwickeln. Bei Festen von religiöser Bedeutung,
wo die Pantomimen fehlten, erwähnt schon Tacitus zu Neros Zeit die geringe
Betheiligung des Publicums an dramatischen Stücken, und nach Juvenal ver¬
kauften die besten Dichter ihre Stücke an Pantomimen, um dem Hungertod
zu entgehen. Wenn es einst auch in Deutschland so weit kommen sollte, dann
fteilich deutete auch dieses Zeichen-der Zeit, wie in der späteren Kaiserzeit, hin
H. G. aus den Verfall, auf die kommende Auslösung.




Sämmtliche Parteien Preußens, mit Ausnahme der Kreuzzeitung, sind darin
einig, daß der Kernpunkt des neuen Staatslebens, welches das gesammte Volk mit
freudigem Jubel begrüßt, in den goldenen Worten des Prinzrcgenten zu suchen ist:
"Wenn in allen Regierungshandlungen sich Wahrheit, Gesetzlichkeit und Konsequenz
ausspricht, so ist ein Gouvernement stark, weil es ein reines Gewissen hat." Freilich
hofft man zugleich auf ein kräftigeres Auftreten nach Außen, aus eine gleichmäßigere
Berücksichtigung der Interessen der verschiedenen Lolksclnssen im Innern, aber die
Hauptsache bleibt, daß die Periode der rettenden Thaten aufhört, und die Herrschaft
des Gesetzes ohne alle Nebenrücksichten auf politische Convenienz beginnt. Eine
strengere Scheidung zwischen der discretionären Potizeiverwaltung und der Justiz
und eine Unterordnung der ersteren unter die letztere ist die gerechte Forderung des
preußischen Volks, ist der Hauptpunkt im Programm des neuen Ministeriums. Die
Handlungen desselben entsprechen bis jetzt diesem Programm auf eine erfreuliche
Weise, und unter die bedeutendsten derselben rechnen wir den neuesten Erlaß aus
dem Ministerium des Innern über die Anwendung des Gewerbegesetzes aus die Presse.
Man sollte an der Form dieses Erlasses nicht mäkeln. Ein rücksichtsloses Auftreten
der neuen Regierung "gegen ihre Vorgänger ist um so weniger nöthig, je fester sie
Schritt vor Schritt, wenn auch langsam, die Fundamente des Rechtsstaates wieder
herstellt.

Die Presse hat diese Rücksicht nicht zu beobachten, und es ist für sie ein trau¬
riges aber unvermeidliches Geschäft, die Nothwendigkeit einer Reform aus dem, was
bisher geschehn ist, nachzuweisen. Die Kreuzzeitung wird nicht müde, zu versichern,
daß keine Reform nöthig sei, daß von Uebergriffen der Polizeigewalt überall keine
Rede gewesen ist, und es ist um so wichtiger, sie durch Thatsachen zu widerlegen,
da der volle Umfang des Uebels auch in den Kreisen des preußischen Beamtenthums
wol nur sehr wenig bekannt sein mag. Freilich ist es ein sehr undankbares Ge-


sein gesundes Drama ohne die Zuthat dieses sinnlichen Reizmittels mehr auf.
kommen zu können scheint. Auch in Rom unterlagen Tragödie und Komödie
schon zu Anfang der Kaiserzeit den Pantomimen, nachdem sie kaum angefangen
hatten, sich selbstständig zu entwickeln. Bei Festen von religiöser Bedeutung,
wo die Pantomimen fehlten, erwähnt schon Tacitus zu Neros Zeit die geringe
Betheiligung des Publicums an dramatischen Stücken, und nach Juvenal ver¬
kauften die besten Dichter ihre Stücke an Pantomimen, um dem Hungertod
zu entgehen. Wenn es einst auch in Deutschland so weit kommen sollte, dann
fteilich deutete auch dieses Zeichen-der Zeit, wie in der späteren Kaiserzeit, hin
H. G. aus den Verfall, auf die kommende Auslösung.




Sämmtliche Parteien Preußens, mit Ausnahme der Kreuzzeitung, sind darin
einig, daß der Kernpunkt des neuen Staatslebens, welches das gesammte Volk mit
freudigem Jubel begrüßt, in den goldenen Worten des Prinzrcgenten zu suchen ist:
„Wenn in allen Regierungshandlungen sich Wahrheit, Gesetzlichkeit und Konsequenz
ausspricht, so ist ein Gouvernement stark, weil es ein reines Gewissen hat." Freilich
hofft man zugleich auf ein kräftigeres Auftreten nach Außen, aus eine gleichmäßigere
Berücksichtigung der Interessen der verschiedenen Lolksclnssen im Innern, aber die
Hauptsache bleibt, daß die Periode der rettenden Thaten aufhört, und die Herrschaft
des Gesetzes ohne alle Nebenrücksichten auf politische Convenienz beginnt. Eine
strengere Scheidung zwischen der discretionären Potizeiverwaltung und der Justiz
und eine Unterordnung der ersteren unter die letztere ist die gerechte Forderung des
preußischen Volks, ist der Hauptpunkt im Programm des neuen Ministeriums. Die
Handlungen desselben entsprechen bis jetzt diesem Programm auf eine erfreuliche
Weise, und unter die bedeutendsten derselben rechnen wir den neuesten Erlaß aus
dem Ministerium des Innern über die Anwendung des Gewerbegesetzes aus die Presse.
Man sollte an der Form dieses Erlasses nicht mäkeln. Ein rücksichtsloses Auftreten
der neuen Regierung "gegen ihre Vorgänger ist um so weniger nöthig, je fester sie
Schritt vor Schritt, wenn auch langsam, die Fundamente des Rechtsstaates wieder
herstellt.

Die Presse hat diese Rücksicht nicht zu beobachten, und es ist für sie ein trau¬
riges aber unvermeidliches Geschäft, die Nothwendigkeit einer Reform aus dem, was
bisher geschehn ist, nachzuweisen. Die Kreuzzeitung wird nicht müde, zu versichern,
daß keine Reform nöthig sei, daß von Uebergriffen der Polizeigewalt überall keine
Rede gewesen ist, und es ist um so wichtiger, sie durch Thatsachen zu widerlegen,
da der volle Umfang des Uebels auch in den Kreisen des preußischen Beamtenthums
wol nur sehr wenig bekannt sein mag. Freilich ist es ein sehr undankbares Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/526>, abgerufen am 28.09.2024.