Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.richtung Italiens, die noch vor zehn Jahren gehegt werden konnten, sind Ein ehemals protestantisches Land. Inmitten der großen Bildungs- und Zeitströmung gab es von jeher be¬ richtung Italiens, die noch vor zehn Jahren gehegt werden konnten, sind Ein ehemals protestantisches Land. Inmitten der großen Bildungs- und Zeitströmung gab es von jeher be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266318"/> <p xml:id="ID_1442" prev="#ID_1441"> richtung Italiens, die noch vor zehn Jahren gehegt werden konnten, sind<lb/> schnell zu Grabe getragen worden und wer möchte ihre Wiederkehr prophe-<lb/> zeihen? Aber insofern sich auch in diesen Ansichten die Phasen unserer geisti¬<lb/> gen Entwicklung wiederspiegeln, dürfen wir sie. wie es uns scheint, nicht<lb/> ohne Genugthuung betrachten. Denn auch hier haben wir manche einseitige<lb/> und verkehrte Richtung glücklich überwunden und uns im Ganzen zu einer<lb/><note type="byline"> Fr.</note> freien, vielseitigen und gesunden Auffassung erhoben. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Ein ehemals protestantisches Land.</head><lb/> <p xml:id="ID_1443" next="#ID_1444"> Inmitten der großen Bildungs- und Zeitströmung gab es von jeher be¬<lb/> stimmte Vermächtnisse früherer Zustände, die nicht von der Stelle rückten und<lb/> auf deren Stützung grobe Anstrengungen verwendet wurden. Der Katholicis¬<lb/> mus zählt zu diesen Vermächtnissen. Es ist nicht ohne Interesse zu beobach¬<lb/> ten, wie von Jahrzehnt zu Jahrzehnt die vorwärtsdrängendes Wissenschaft<lb/> die Kluft erweitert, welche protestantische und katholische Bildung voneinan¬<lb/> der trennt. Jenseit des Rheins äußert sich das Bewußtwerden dieses Ab-<lb/> standes in einer wachsenden Gleichgiltigkeit gegen die Beobachtung kirchlicher<lb/> Gebräuche und in einem rathsuchcndcn Einkehren bei den großen Philosophen<lb/> unsrer Vergangenheit. Während Louis Napoleon Kirchen über Kirchen baut,<lb/> den Papst zur Creirung neuer Erzbisthümer veranlaßt, Wallfahrten nach<lb/> Se. Anna d'Auray macht und in Nennes 1500 Priester die Revue passiren<lb/> läßt, während dessen muß der Seinepräfect für den verschuldeten pariser Kle¬<lb/> rus, welcher auf eignen Credit eine Menge untauglicher Kirchen baute, inter-<lb/> vcniren, in Städten von 70,000 Seelen empfangen nur 3000 das Abendmahl.<lb/> Der Pfarrer zu Paiczi-le-Chapt (Poitiers) sammelt für eine Gemeinde, deren<lb/> Kinder zum großen Theil nicht getauft sind und die Gebildeten der Nation<lb/> versuchen sich in Auslegungen der Schriften Kants und Fichtes. In Oestreich<lb/> haben bekanntlich vor einigen Jahren denkende Köpfe Anstrengungen gemacht,<lb/> um der katholischen Theologie in einer Art katholischen Philosophie neue<lb/> Blutverjüngung zu verschaffen. Rom hat mit gutem Grunde dieser Ueber-<lb/> tünchung eines alten Gebäudes keinen Beifall gezollt. Dennoch will man<lb/> wenigstens den Namen retten und so sind denn hier und da Anstalten getroffen<lb/> worden, die eine Wissenschaft der andern näher zu bringen. Ohnlängst erst<lb/> hat der Fürstbischof Ottokar Maria das Motto aufgestellt: gründliche philo¬<lb/> sophische Bildung sei zum tieferen Verständniß der Theologie unentbehrlich,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0509]
richtung Italiens, die noch vor zehn Jahren gehegt werden konnten, sind
schnell zu Grabe getragen worden und wer möchte ihre Wiederkehr prophe-
zeihen? Aber insofern sich auch in diesen Ansichten die Phasen unserer geisti¬
gen Entwicklung wiederspiegeln, dürfen wir sie. wie es uns scheint, nicht
ohne Genugthuung betrachten. Denn auch hier haben wir manche einseitige
und verkehrte Richtung glücklich überwunden und uns im Ganzen zu einer
Fr. freien, vielseitigen und gesunden Auffassung erhoben.
Ein ehemals protestantisches Land.
Inmitten der großen Bildungs- und Zeitströmung gab es von jeher be¬
stimmte Vermächtnisse früherer Zustände, die nicht von der Stelle rückten und
auf deren Stützung grobe Anstrengungen verwendet wurden. Der Katholicis¬
mus zählt zu diesen Vermächtnissen. Es ist nicht ohne Interesse zu beobach¬
ten, wie von Jahrzehnt zu Jahrzehnt die vorwärtsdrängendes Wissenschaft
die Kluft erweitert, welche protestantische und katholische Bildung voneinan¬
der trennt. Jenseit des Rheins äußert sich das Bewußtwerden dieses Ab-
standes in einer wachsenden Gleichgiltigkeit gegen die Beobachtung kirchlicher
Gebräuche und in einem rathsuchcndcn Einkehren bei den großen Philosophen
unsrer Vergangenheit. Während Louis Napoleon Kirchen über Kirchen baut,
den Papst zur Creirung neuer Erzbisthümer veranlaßt, Wallfahrten nach
Se. Anna d'Auray macht und in Nennes 1500 Priester die Revue passiren
läßt, während dessen muß der Seinepräfect für den verschuldeten pariser Kle¬
rus, welcher auf eignen Credit eine Menge untauglicher Kirchen baute, inter-
vcniren, in Städten von 70,000 Seelen empfangen nur 3000 das Abendmahl.
Der Pfarrer zu Paiczi-le-Chapt (Poitiers) sammelt für eine Gemeinde, deren
Kinder zum großen Theil nicht getauft sind und die Gebildeten der Nation
versuchen sich in Auslegungen der Schriften Kants und Fichtes. In Oestreich
haben bekanntlich vor einigen Jahren denkende Köpfe Anstrengungen gemacht,
um der katholischen Theologie in einer Art katholischen Philosophie neue
Blutverjüngung zu verschaffen. Rom hat mit gutem Grunde dieser Ueber-
tünchung eines alten Gebäudes keinen Beifall gezollt. Dennoch will man
wenigstens den Namen retten und so sind denn hier und da Anstalten getroffen
worden, die eine Wissenschaft der andern näher zu bringen. Ohnlängst erst
hat der Fürstbischof Ottokar Maria das Motto aufgestellt: gründliche philo¬
sophische Bildung sei zum tieferen Verständniß der Theologie unentbehrlich,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |