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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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den V.'VL.ZK. Jahrgang. Die unterzeichnete Ä^erlagshandlung erlaubt
sich zur Präunmeratwn ans denselben einzuladen, und bemerkt, daß alle
Buchhandlungen und Postämter Bestellungen annehmen.
Leipzig, im December IttüK. Kr. Lato. Herbig.

Bilder aus der deutschen Vergangenheit.
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Jesuiten und Judenkinder
um 1693.
''

Die Mortara-Angelegenheit beschäftigt seit einigen Monaten die gesammte
zcitungslesende Welt. Der Fall ist wohl geeignet, den Unterschied zwischen
einst und jetzt bemerkbar zu machen. Die päpstliche Regierung steht als Be¬
schützerin eines ruchlosen Bekehrungseifers in grellem Gegensatz zu der öffent¬
lichen Meinung; Millionen Christen aller Confessionen nehmen Antheil an
dem Eingriff in die Rechte einer einzelnen Familie; zahlreiche Petitionen
werden wie in England und Frankreich, so auch im protestantischen Deutsch¬
land verfaßt; diplomatische Acte und öffentliche Aeußerungen einiger Staats¬
regierungen sind nöthi,g geworden. Solch allgemeiner Antheil an dem Schicksal
eines jüdischen Kindes ist bei uns erst seit kurzem möglich. Humanität und
Sittlichkeit haben erst seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts die con-
fessionelle Beschränktheit überwunden und die Tagespreise hat erst in diesem
Jahrhundert ihre gewaltige Ausbildung erhalten, und trägt mit einer früher
ungcahneteu Schnelligkeit die Thatsachen und das Urtheil darüber um den ganzen
Erdkreis. Sie, sowol der Ausdruck, als die Erzeugerin einer öffentlichen
Meinung, die Beschützerin der Schwachen, der mächtigste Anwalt der Unter¬
drückten, hat überall, wo sie zu kräftigem Gedeihen gelangt ist, ähnliche Ge¬
waltthaten unmöglich gemacht.

Was hier mitgetheilt wird, sind kleine Züge aus einer Periode, welche
nur fünf bis sechs Generationen vor uns liegt. Es sind freudenlose Zustände,
klägliche Verirrungen, aber es ist aus ihnen Einiges von allgemeinem In¬
teresse zu lernen.

Am Ende des 17. Jahrhunderts war die Lage der Juden nur wenig
besser als in dem rohesten Mittelalter. Seit sehr alter Zeit war ihre recht¬
liche Stellung ebenso voll von Widersprüchen, wie ihre sociale. Von der
Kirche wurden sie verabscheut und verdammt, im geschäftlichen Verkehr waren
sie unentbehrlich und viel gesucht, ihre staatlichen Rechte waren dem Buch-


Grenzbotm IV. 1853. 56

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Jesuiten und Judenkinder
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''

Die Mortara-Angelegenheit beschäftigt seit einigen Monaten die gesammte
zcitungslesende Welt. Der Fall ist wohl geeignet, den Unterschied zwischen
einst und jetzt bemerkbar zu machen. Die päpstliche Regierung steht als Be¬
schützerin eines ruchlosen Bekehrungseifers in grellem Gegensatz zu der öffent¬
lichen Meinung; Millionen Christen aller Confessionen nehmen Antheil an
dem Eingriff in die Rechte einer einzelnen Familie; zahlreiche Petitionen
werden wie in England und Frankreich, so auch im protestantischen Deutsch¬
land verfaßt; diplomatische Acte und öffentliche Aeußerungen einiger Staats¬
regierungen sind nöthi,g geworden. Solch allgemeiner Antheil an dem Schicksal
eines jüdischen Kindes ist bei uns erst seit kurzem möglich. Humanität und
Sittlichkeit haben erst seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts die con-
fessionelle Beschränktheit überwunden und die Tagespreise hat erst in diesem
Jahrhundert ihre gewaltige Ausbildung erhalten, und trägt mit einer früher
ungcahneteu Schnelligkeit die Thatsachen und das Urtheil darüber um den ganzen
Erdkreis. Sie, sowol der Ausdruck, als die Erzeugerin einer öffentlichen
Meinung, die Beschützerin der Schwachen, der mächtigste Anwalt der Unter¬
drückten, hat überall, wo sie zu kräftigem Gedeihen gelangt ist, ähnliche Ge¬
waltthaten unmöglich gemacht.

Was hier mitgetheilt wird, sind kleine Züge aus einer Periode, welche
nur fünf bis sechs Generationen vor uns liegt. Es sind freudenlose Zustände,
klägliche Verirrungen, aber es ist aus ihnen Einiges von allgemeinem In¬
teresse zu lernen.

Am Ende des 17. Jahrhunderts war die Lage der Juden nur wenig
besser als in dem rohesten Mittelalter. Seit sehr alter Zeit war ihre recht¬
liche Stellung ebenso voll von Widersprüchen, wie ihre sociale. Von der
Kirche wurden sie verabscheut und verdammt, im geschäftlichen Verkehr waren
sie unentbehrlich und viel gesucht, ihre staatlichen Rechte waren dem Buch-


Grenzbotm IV. 1853. 56
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/449>, abgerufen am 28.06.2024.