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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Stäben nach durchaus uicht ungünstig für ihr Gedeihen, in der Wirklichkeit
blieben sie den ärgsten Verfolgungen und Erpressungen ausgesetzt. Unter den
deutschen Beamtendespotien, welche sich seit dem dreißigjährigen Kriege ausbil¬
deten, sanden sie kaum größeren Schutz vor der Wuth des fanatischen Pöbels,
und ihre geistlichen Anfechtungen wurden noch ärger. Zwar, der Protestan¬
tismus, damals sckiwach und verkümmert, kränkte sie mehr durch abstoßenden
Hochmuth, als durch seine Bekehrungskünste. Denn noch in seiner orthodoxen
Erstarrung machte er höhere Anforderungen an den sittlichen Ernst seiner Be¬
kehrten, als die Priesterschaft der alten Kirche. Um so eifriger war eine neue
Richtung des Katholicismus, das Jesuitenthum, Ketzer und Ungläubige in
Massen zu taufen. Und in den Landschaften, wo sich die Väter der Gesell¬
schaft Jesu festgesetzt hatten, nahm eine Bekchrungswuth überHand, welche die
gewaltthätigsten Eingriffe in das Familienleben nicht, scheute. Besser gedieh
damals den Juden Handel und Erwerb, ja seit dem westphälischen Frieden
war für sie eine glänzende Zeit gekommen. Die Verminderung des inter¬
nationalen Großhandels, der Ruin alter Handelshäuser zu Nürnberg und
Augsburg, die dauernde Münzverschlechterung, die unaufhörlichen Geldbedürf¬
nisse der großen und kleinen Territorialherren begünstigten eine vielseitige
Thätigkeit des jüdischen Geschäftes, welches durch ganz Deutschland ge¬
wandte Werkzeuge und von Konstantinopel bis Cadix Gastfreunde und Ver¬
wandte fand. Die Bedeutung, welche der innige Zusammenhang der Jude"
für den deutschen Handel in einer Zeit hatte, wo schlechte Wege, schlechte
Zölle und eine sehr unwissende Gesetzgebung dem Verkehr die größten Schranken
auflegten, ist noch lange nicht zur Genüge gewürdigt. In unermüdlicher
Thätigkeit gruben sie wie Ameisen überall ihre' geheimen Wege durch das
morsche Holz des römischen Reichs, lange bevor die Briefpost und Waaren¬
spedition ihr großes Netz über die Landkreise gezogen hatten, bestanden ihre
stillen Verbindungen für Brief- und Waarentransporte. Arme Schacherer und
fahrende Bettler liefen als treue Agenten zwischen Amsterdam und Frankfurt,
Prag und Warschau hin und her, Wechsel und Juwelen unter ihren Lumpen,
ja im eigenen Leibe verbergend; auf Seitenwegen, durch berüchtigte Herbergen,
die jeder christliche Kaufmann fürchtete, schlich der hilflose Jude aus einem
deutschen Gebiet in das andere, dort tauschte er einem Münzmeister altes
Geld gegen neugeprägtes ein, hier kaufte er Spitzen und neue Kirchcngewänder
für seine Gegner, die geistlichen Herren, dort schmuggelte er einem Landes¬
herrn Waffen und Kriegsgeräth durch ein feindliches Territorium, hier ge¬
leitete er einen großen Transport feiner Leder aus dem Innern Rußlands
bis auf die Messe von Frankfurt, er allein befähigt durch Schmeichelei, Be¬
stechung und Branntwein die Habsucht der slavischen Adligen zu überwinden.
So waren die Juden damals im Verhältniß zu den Christen wahrscheinlich


Stäben nach durchaus uicht ungünstig für ihr Gedeihen, in der Wirklichkeit
blieben sie den ärgsten Verfolgungen und Erpressungen ausgesetzt. Unter den
deutschen Beamtendespotien, welche sich seit dem dreißigjährigen Kriege ausbil¬
deten, sanden sie kaum größeren Schutz vor der Wuth des fanatischen Pöbels,
und ihre geistlichen Anfechtungen wurden noch ärger. Zwar, der Protestan¬
tismus, damals sckiwach und verkümmert, kränkte sie mehr durch abstoßenden
Hochmuth, als durch seine Bekehrungskünste. Denn noch in seiner orthodoxen
Erstarrung machte er höhere Anforderungen an den sittlichen Ernst seiner Be¬
kehrten, als die Priesterschaft der alten Kirche. Um so eifriger war eine neue
Richtung des Katholicismus, das Jesuitenthum, Ketzer und Ungläubige in
Massen zu taufen. Und in den Landschaften, wo sich die Väter der Gesell¬
schaft Jesu festgesetzt hatten, nahm eine Bekchrungswuth überHand, welche die
gewaltthätigsten Eingriffe in das Familienleben nicht, scheute. Besser gedieh
damals den Juden Handel und Erwerb, ja seit dem westphälischen Frieden
war für sie eine glänzende Zeit gekommen. Die Verminderung des inter¬
nationalen Großhandels, der Ruin alter Handelshäuser zu Nürnberg und
Augsburg, die dauernde Münzverschlechterung, die unaufhörlichen Geldbedürf¬
nisse der großen und kleinen Territorialherren begünstigten eine vielseitige
Thätigkeit des jüdischen Geschäftes, welches durch ganz Deutschland ge¬
wandte Werkzeuge und von Konstantinopel bis Cadix Gastfreunde und Ver¬
wandte fand. Die Bedeutung, welche der innige Zusammenhang der Jude»
für den deutschen Handel in einer Zeit hatte, wo schlechte Wege, schlechte
Zölle und eine sehr unwissende Gesetzgebung dem Verkehr die größten Schranken
auflegten, ist noch lange nicht zur Genüge gewürdigt. In unermüdlicher
Thätigkeit gruben sie wie Ameisen überall ihre' geheimen Wege durch das
morsche Holz des römischen Reichs, lange bevor die Briefpost und Waaren¬
spedition ihr großes Netz über die Landkreise gezogen hatten, bestanden ihre
stillen Verbindungen für Brief- und Waarentransporte. Arme Schacherer und
fahrende Bettler liefen als treue Agenten zwischen Amsterdam und Frankfurt,
Prag und Warschau hin und her, Wechsel und Juwelen unter ihren Lumpen,
ja im eigenen Leibe verbergend; auf Seitenwegen, durch berüchtigte Herbergen,
die jeder christliche Kaufmann fürchtete, schlich der hilflose Jude aus einem
deutschen Gebiet in das andere, dort tauschte er einem Münzmeister altes
Geld gegen neugeprägtes ein, hier kaufte er Spitzen und neue Kirchcngewänder
für seine Gegner, die geistlichen Herren, dort schmuggelte er einem Landes¬
herrn Waffen und Kriegsgeräth durch ein feindliches Territorium, hier ge¬
leitete er einen großen Transport feiner Leder aus dem Innern Rußlands
bis auf die Messe von Frankfurt, er allein befähigt durch Schmeichelei, Be¬
stechung und Branntwein die Habsucht der slavischen Adligen zu überwinden.
So waren die Juden damals im Verhältniß zu den Christen wahrscheinlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/450>, abgerufen am 30.06.2024.