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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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sattsam. Endlich sieht sich auch die Felsenkuppe der Silla vereinsamt, einer
sonnigen Insel gleich, mitten im dunkeln Luftocean.

Einsam stehen auch wir, kühle Schauer in der Brust, aufwärts gerichtet
den Blick nach dem leuchtenden Berge. Noch ein schmaler Streifen Licht
umstrahlt sein ehernes Haupt. Noch einmal wie auf Nimmerwiedersehn,
sendet uns der Freund seinen Scheidegruß. Aber bald schwindet auch der
letzte Schimmer, und allmälig bricht die Nacht über die Hauptstadt herein.


sah.


Unter den Freunden der freien Entwicklung Preußens hat sich in der letzten
Woche eine große Verstimmung ausgedrückt; ein desto größeres Behagen im Lager
der Kreuzzeitungspartci. Wenn das Organ der letzteren noch vor wenig Tagen den
Ton einer Kassandra anschlug und den Untergang der Welt als ein Ereigniß be¬
zeichnete, welches wenigstens nicht ganz außerhalb der Grenzen der Wahrscheinlichkeit
liege, so reibt es sich jetzt vergnügt die Hände und hat sogar seinen alten Humor
wiedergefunden. Die Gründe dieser Umstimmung sind leicht zu begreifen. Der
bekannte Erlaß aus dem Ministerium des Innern, der höchst sonderbare Artikel, mit
welchem das ministerielle Organ aus der "Zeit" in die preußische Zeitung überging,
die Veröffentlichung der Ansprache, welche der Prinzregent an das Gesammtmini-
stcrium gehalten haben soll, die Antwort desselben auf eine Trcubundsaddresse, end¬
lich das wieder ausbrechende Gezänk zwischen Constitutionellen und Demokraten:
-- das alles mußte das Publicum in Verwirrung setzen, welches schon von einem
Frieden zwischen allen Parteien, von einem neuen Völkerfrühling träumte. In der
That sehn jene Umstände, wenn man sie im Zusammenhang sieht, verhängnißvoll
genug aus; betrachtet man aber mit Ruhe jeden einzelnen, so findet man nichts,
was mit dem bisherigen Gang der Politik in entschiedenem Widerspruch stände.
Was aber die constitutionelle Partei betrifft, so kann und soll sie aus dem Wechsel
dieser Stimmung folgendes lernen.

Es ist den neuen Ministern im höchsten Grade daran gelegen, den
Namen eines constitutionellen, eines liberalen Ministeriums, eines
Ministeriums der Linken zu vermeiden. Es kann ihm kein größeres Mi߬
geschick widerfahren, als wenn die bisherige Opposition, die liberale, die constitu¬
tionelle Partei sich jetzt ministeriell nennt. In der gerechten Scheu, mit dieser
Partei verwechselt zu werden, vernimmt die neue Regierung durch ihr Organ die extrem¬
sten, ungerechtfertigtsten Forderungen, Forderungen, die kein anderer Mensch vernimmt.
Der gewöhnliche Menschenverstand findet vielmehr die Haltung des gesammten preu¬
ßischen Volkes sehr mäßig, nüchtern, gesetzt, busiess like, wie der Engländer sagt.


sattsam. Endlich sieht sich auch die Felsenkuppe der Silla vereinsamt, einer
sonnigen Insel gleich, mitten im dunkeln Luftocean.

Einsam stehen auch wir, kühle Schauer in der Brust, aufwärts gerichtet
den Blick nach dem leuchtenden Berge. Noch ein schmaler Streifen Licht
umstrahlt sein ehernes Haupt. Noch einmal wie auf Nimmerwiedersehn,
sendet uns der Freund seinen Scheidegruß. Aber bald schwindet auch der
letzte Schimmer, und allmälig bricht die Nacht über die Hauptstadt herein.


sah.


Unter den Freunden der freien Entwicklung Preußens hat sich in der letzten
Woche eine große Verstimmung ausgedrückt; ein desto größeres Behagen im Lager
der Kreuzzeitungspartci. Wenn das Organ der letzteren noch vor wenig Tagen den
Ton einer Kassandra anschlug und den Untergang der Welt als ein Ereigniß be¬
zeichnete, welches wenigstens nicht ganz außerhalb der Grenzen der Wahrscheinlichkeit
liege, so reibt es sich jetzt vergnügt die Hände und hat sogar seinen alten Humor
wiedergefunden. Die Gründe dieser Umstimmung sind leicht zu begreifen. Der
bekannte Erlaß aus dem Ministerium des Innern, der höchst sonderbare Artikel, mit
welchem das ministerielle Organ aus der „Zeit" in die preußische Zeitung überging,
die Veröffentlichung der Ansprache, welche der Prinzregent an das Gesammtmini-
stcrium gehalten haben soll, die Antwort desselben auf eine Trcubundsaddresse, end¬
lich das wieder ausbrechende Gezänk zwischen Constitutionellen und Demokraten:
— das alles mußte das Publicum in Verwirrung setzen, welches schon von einem
Frieden zwischen allen Parteien, von einem neuen Völkerfrühling träumte. In der
That sehn jene Umstände, wenn man sie im Zusammenhang sieht, verhängnißvoll
genug aus; betrachtet man aber mit Ruhe jeden einzelnen, so findet man nichts,
was mit dem bisherigen Gang der Politik in entschiedenem Widerspruch stände.
Was aber die constitutionelle Partei betrifft, so kann und soll sie aus dem Wechsel
dieser Stimmung folgendes lernen.

Es ist den neuen Ministern im höchsten Grade daran gelegen, den
Namen eines constitutionellen, eines liberalen Ministeriums, eines
Ministeriums der Linken zu vermeiden. Es kann ihm kein größeres Mi߬
geschick widerfahren, als wenn die bisherige Opposition, die liberale, die constitu¬
tionelle Partei sich jetzt ministeriell nennt. In der gerechten Scheu, mit dieser
Partei verwechselt zu werden, vernimmt die neue Regierung durch ihr Organ die extrem¬
sten, ungerechtfertigtsten Forderungen, Forderungen, die kein anderer Mensch vernimmt.
Der gewöhnliche Menschenverstand findet vielmehr die Haltung des gesammten preu¬
ßischen Volkes sehr mäßig, nüchtern, gesetzt, busiess like, wie der Engländer sagt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/362>, abgerufen am 05.07.2024.