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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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lichkeit gedrängt wurde, welche die ministeriellen Gegner so häusig charakteri-
sirte. Es ist eine Eigenthümlichkeit des Verfassers, daß er sein eignes Urtheil
eher zurückhält als aufdrängt. Man vermißt nicht Gesinnung und nicht Herr¬
schaft über den Stoff, aber er liebt es, in kurzen Bemerkungen am Ende seiner
Absähe den Leser mehr zu leiten als zu bestimmen. Wenn bei solcher ver¬
ständigen und bescheidenen Erzählung etwas zu wünschen übrig bleibt, so ist
es eine größere Fülle im Charakterisiren der wichtigeren Persönlichkeiten. Zu¬
mal Louis Philipp hätte da, wo er Leiter der Geschicke Frankreichs wird,
eingehende Besprechung wol verdient. Im Ganzen aber macht das Werk den
günstigsten Eindruck, es ist zu hoffen, daß dasselbe ein richtiges Urtheil über
Frankreich bei den Deutschen fördem wird, und mit warmem Antheil begrüßt
d. Bl. ein großes deutsches Unternehmen, welches unter so günstigen Auspi¬
z ckn beginnt.




SllvmmrM.

Hieronymus Savonarola. Nach Originalurkunden und größtentheils unge-
druckten Schriften von F. T. Perrcns. Eine von der französischen Academie
gekrönte Preisschrift. Nach der zweiten Auflage des französischen Originals über¬
setzt von I. F. Schröder. Braunschweig, Schulbuchhandlung.--

31 Jahr vor Luther, den 21. Sept. 1452, wurde Savonarola zu Ferrara
geboren. Sein Vater, ein angesehener Arzt, bestimmte ihn zum medicinischen
Beruf, aber er entfloh am 23. April 1466 dem elterlichen Hause und trat zu
Bologna in das Dominicanerkloster ein. Seinen Entschluß motivirte er spä¬
ter folgendermaßen: "ich liebte über alles zwei Dinge, Freiheit und Ruhe;
sie sind es, welche mich in den Hasen geführt haben. Um frei zu sein, wollte
ich keine Frau haben, und um Ruhe zu erlangen, habe ich die Welt geflohen
und bin in den Hafen des geistlichen Standes eingelaufen." Wahrer drückt
das Schreiben, welches er zugleich mit einem Manuscript über die Verachtung
der Welt seinem Vater zurückließ, seine Beweggründe aus. Er schildert den
entsetzlichen Eindruck, den die allgemeine Schlechtigkeit der Menschen auf ihn
gemacht habe, ein Eindruck, der im Zeitalter der Borgia wol verständlich
ist. "Darum flehte ich tagtäglich zu meinem Heiland Jesus Christus, er möge
mich aus diesem Sündcnkothe ziehn." Ich bereue wahrhaftig nicht, was
ich gethan habe; ich würde nicht in die Welt zurückkehren, wenn ich selbst
glaubte größer werden zu können als Cäsar Augustus, indessen ich habe


lichkeit gedrängt wurde, welche die ministeriellen Gegner so häusig charakteri-
sirte. Es ist eine Eigenthümlichkeit des Verfassers, daß er sein eignes Urtheil
eher zurückhält als aufdrängt. Man vermißt nicht Gesinnung und nicht Herr¬
schaft über den Stoff, aber er liebt es, in kurzen Bemerkungen am Ende seiner
Absähe den Leser mehr zu leiten als zu bestimmen. Wenn bei solcher ver¬
ständigen und bescheidenen Erzählung etwas zu wünschen übrig bleibt, so ist
es eine größere Fülle im Charakterisiren der wichtigeren Persönlichkeiten. Zu¬
mal Louis Philipp hätte da, wo er Leiter der Geschicke Frankreichs wird,
eingehende Besprechung wol verdient. Im Ganzen aber macht das Werk den
günstigsten Eindruck, es ist zu hoffen, daß dasselbe ein richtiges Urtheil über
Frankreich bei den Deutschen fördem wird, und mit warmem Antheil begrüßt
d. Bl. ein großes deutsches Unternehmen, welches unter so günstigen Auspi¬
z ckn beginnt.




SllvmmrM.

Hieronymus Savonarola. Nach Originalurkunden und größtentheils unge-
druckten Schriften von F. T. Perrcns. Eine von der französischen Academie
gekrönte Preisschrift. Nach der zweiten Auflage des französischen Originals über¬
setzt von I. F. Schröder. Braunschweig, Schulbuchhandlung.—

31 Jahr vor Luther, den 21. Sept. 1452, wurde Savonarola zu Ferrara
geboren. Sein Vater, ein angesehener Arzt, bestimmte ihn zum medicinischen
Beruf, aber er entfloh am 23. April 1466 dem elterlichen Hause und trat zu
Bologna in das Dominicanerkloster ein. Seinen Entschluß motivirte er spä¬
ter folgendermaßen: „ich liebte über alles zwei Dinge, Freiheit und Ruhe;
sie sind es, welche mich in den Hasen geführt haben. Um frei zu sein, wollte
ich keine Frau haben, und um Ruhe zu erlangen, habe ich die Welt geflohen
und bin in den Hafen des geistlichen Standes eingelaufen." Wahrer drückt
das Schreiben, welches er zugleich mit einem Manuscript über die Verachtung
der Welt seinem Vater zurückließ, seine Beweggründe aus. Er schildert den
entsetzlichen Eindruck, den die allgemeine Schlechtigkeit der Menschen auf ihn
gemacht habe, ein Eindruck, der im Zeitalter der Borgia wol verständlich
ist. „Darum flehte ich tagtäglich zu meinem Heiland Jesus Christus, er möge
mich aus diesem Sündcnkothe ziehn." Ich bereue wahrhaftig nicht, was
ich gethan habe; ich würde nicht in die Welt zurückkehren, wenn ich selbst
glaubte größer werden zu können als Cäsar Augustus, indessen ich habe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/336>, abgerufen am 28.06.2024.