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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Oestreich und Rußland einseitig abgeschlossen. Die Möglichkeit war also vor¬
handen, daß Preußen seine Ansprüche gegen die beiden übermächtigen Nach¬
barn mit den Waffen in der Hand werde durchsetzen müssen und wer sich
unter diesen Umständen noch darüber wundert, daß das positive Interesse,
welches dringend den Frieden mit Frankreich forderte, endlich über die ver¬
meintliche Ehrenpflicht den Sieg davon trug, der hat keinen Begriff von
geschichtlicher Logik. Was nun den Gesammteindruck dieser Ereignisse betrifft,
so geben wir Sybel das Wort, der in besonnener Abwägung aller in Betracht
kommender Momente sich auf den höhern geschichtlichen Standpunkt erhebt.

So schloß in'völligem Untergang die letzte Gcsnmmterhebung der polni¬
schen Nation. Es trat ein, was geschehn mußte, nachdem ein großes und
begabtes Volk den politischen und sittlichen Selbstmord durch zwei Jahrhun¬
derte hindurch an sich vollzogen hatte. Es brach herein mit erschütternder
Gewalt, über Schuldige und Unschuldige, eine Katastrophe, wie sie die Welt
seit der Zerstörung Jerusalems nicht furchtbarer gesehn hatte. Man würde
bei einem solchen Bild den Blick verhüllen, und an Recht und Vorsehung
verzweifeln, sähe man nicht auch hier, daß die Nationen nur dann altern und
sterben, wenn sie vorher sich selbst zu Grunde gerichtet haben. So hat Polen
geendet, durch die eignen Sünden außer Stande, den geharnischten Nachbarn
zu widerstehn. Was aber diese betrifft, so sollten sie auf der Stelle erfahren,
was es sterblichen Menschen bedeutet, sich zu Werkzeugen einer richtenden Vor¬
sehung auszuwerfen. Sie sahen sich jetzt auf der Höhe des Erfolges, ein
jeder im Besitz weit ausgedehnter Provinzen des geopferten Landes. Aber
an der Beute klebte ihnen unlösbar das Gift der eignen und der fremden
Schuld, und mit dem Gewinn kam im Augenblick des Ergreiscns auch über
sie die Vergeltung. Sie kam aus dem bittern unlöslichen Zwiespalt, der sie
untereinander seit dem Ursprung des Krieges trennte, der im Verlauf desselben
immer tiefer, immer heißer geworden war, und jetzt im plötzlichen Ausbruch
die gesammte seit'fünf Jahren Europa belastende Krisis zu unseliger Entschei¬
dung führen sollte.




Die deutsche allgemeine und historische Knnstmlsstellimg
in München.

Dagegen ist der Münchner Künstlergruppe eigenthümlich die Vorliebe für
einen übermäßig reichen Formenapparat. Berge werden auf Berge gehäuft,


Oestreich und Rußland einseitig abgeschlossen. Die Möglichkeit war also vor¬
handen, daß Preußen seine Ansprüche gegen die beiden übermächtigen Nach¬
barn mit den Waffen in der Hand werde durchsetzen müssen und wer sich
unter diesen Umständen noch darüber wundert, daß das positive Interesse,
welches dringend den Frieden mit Frankreich forderte, endlich über die ver¬
meintliche Ehrenpflicht den Sieg davon trug, der hat keinen Begriff von
geschichtlicher Logik. Was nun den Gesammteindruck dieser Ereignisse betrifft,
so geben wir Sybel das Wort, der in besonnener Abwägung aller in Betracht
kommender Momente sich auf den höhern geschichtlichen Standpunkt erhebt.

So schloß in'völligem Untergang die letzte Gcsnmmterhebung der polni¬
schen Nation. Es trat ein, was geschehn mußte, nachdem ein großes und
begabtes Volk den politischen und sittlichen Selbstmord durch zwei Jahrhun¬
derte hindurch an sich vollzogen hatte. Es brach herein mit erschütternder
Gewalt, über Schuldige und Unschuldige, eine Katastrophe, wie sie die Welt
seit der Zerstörung Jerusalems nicht furchtbarer gesehn hatte. Man würde
bei einem solchen Bild den Blick verhüllen, und an Recht und Vorsehung
verzweifeln, sähe man nicht auch hier, daß die Nationen nur dann altern und
sterben, wenn sie vorher sich selbst zu Grunde gerichtet haben. So hat Polen
geendet, durch die eignen Sünden außer Stande, den geharnischten Nachbarn
zu widerstehn. Was aber diese betrifft, so sollten sie auf der Stelle erfahren,
was es sterblichen Menschen bedeutet, sich zu Werkzeugen einer richtenden Vor¬
sehung auszuwerfen. Sie sahen sich jetzt auf der Höhe des Erfolges, ein
jeder im Besitz weit ausgedehnter Provinzen des geopferten Landes. Aber
an der Beute klebte ihnen unlösbar das Gift der eignen und der fremden
Schuld, und mit dem Gewinn kam im Augenblick des Ergreiscns auch über
sie die Vergeltung. Sie kam aus dem bittern unlöslichen Zwiespalt, der sie
untereinander seit dem Ursprung des Krieges trennte, der im Verlauf desselben
immer tiefer, immer heißer geworden war, und jetzt im plötzlichen Ausbruch
die gesammte seit'fünf Jahren Europa belastende Krisis zu unseliger Entschei¬
dung führen sollte.




Die deutsche allgemeine und historische Knnstmlsstellimg
in München.

Dagegen ist der Münchner Künstlergruppe eigenthümlich die Vorliebe für
einen übermäßig reichen Formenapparat. Berge werden auf Berge gehäuft,


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[0149] Oestreich und Rußland einseitig abgeschlossen. Die Möglichkeit war also vor¬ handen, daß Preußen seine Ansprüche gegen die beiden übermächtigen Nach¬ barn mit den Waffen in der Hand werde durchsetzen müssen und wer sich unter diesen Umständen noch darüber wundert, daß das positive Interesse, welches dringend den Frieden mit Frankreich forderte, endlich über die ver¬ meintliche Ehrenpflicht den Sieg davon trug, der hat keinen Begriff von geschichtlicher Logik. Was nun den Gesammteindruck dieser Ereignisse betrifft, so geben wir Sybel das Wort, der in besonnener Abwägung aller in Betracht kommender Momente sich auf den höhern geschichtlichen Standpunkt erhebt. So schloß in'völligem Untergang die letzte Gcsnmmterhebung der polni¬ schen Nation. Es trat ein, was geschehn mußte, nachdem ein großes und begabtes Volk den politischen und sittlichen Selbstmord durch zwei Jahrhun¬ derte hindurch an sich vollzogen hatte. Es brach herein mit erschütternder Gewalt, über Schuldige und Unschuldige, eine Katastrophe, wie sie die Welt seit der Zerstörung Jerusalems nicht furchtbarer gesehn hatte. Man würde bei einem solchen Bild den Blick verhüllen, und an Recht und Vorsehung verzweifeln, sähe man nicht auch hier, daß die Nationen nur dann altern und sterben, wenn sie vorher sich selbst zu Grunde gerichtet haben. So hat Polen geendet, durch die eignen Sünden außer Stande, den geharnischten Nachbarn zu widerstehn. Was aber diese betrifft, so sollten sie auf der Stelle erfahren, was es sterblichen Menschen bedeutet, sich zu Werkzeugen einer richtenden Vor¬ sehung auszuwerfen. Sie sahen sich jetzt auf der Höhe des Erfolges, ein jeder im Besitz weit ausgedehnter Provinzen des geopferten Landes. Aber an der Beute klebte ihnen unlösbar das Gift der eignen und der fremden Schuld, und mit dem Gewinn kam im Augenblick des Ergreiscns auch über sie die Vergeltung. Sie kam aus dem bittern unlöslichen Zwiespalt, der sie untereinander seit dem Ursprung des Krieges trennte, der im Verlauf desselben immer tiefer, immer heißer geworden war, und jetzt im plötzlichen Ausbruch die gesammte seit'fünf Jahren Europa belastende Krisis zu unseliger Entschei¬ dung führen sollte. Die deutsche allgemeine und historische Knnstmlsstellimg in München. Dagegen ist der Münchner Künstlergruppe eigenthümlich die Vorliebe für einen übermäßig reichen Formenapparat. Berge werden auf Berge gehäuft,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/149>, abgerufen am 28.06.2024.