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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Gegner wollten die Fortsetzung des revolutionären Lärms. Beide Parteien
in der bestimmten Voraussicht, daß es zum Bruch kommen müsse, wandten
sich an die Gemäßigten um Hilfe. Diese zögerten lange, weil sie wohl
wußten, daß die beiden radicalen Parteien stets geneigt waren, auf ihre Un¬
kosten Frieden zu schließen, bis sie sahen, daß es Ernst war. Dann traten
sie entschieden auf die Seite der Anarchisten gegen die Dictatur. Als nun
die Anarchisten das Schreckensregiment fortsetzen wollten, sahen sie plötzlich,
daß die Macht, die sie gegen die Dictatur zu Hilft gerufen, die öffentliche
Meinung, übermächtig geworden war, und so war mit dem Dictator auch der
Schrecken gefallen.

Während der französische Krieg ohne Energie weiter geführt wurde, be¬
stimmte der Ausbruch der polnischen Jnsurrection die drei östlichen Mächte,,
ihre Aufmerksamkeit ausschließlich nach dieser Seite zu wenden. Dieser Auf¬
stand bietet ein ebenso klägliches Bild als die Jakobinerherrschaft in Frank¬
reich. Die Polen wetteiferten mit den Nüssen und Preußen in der Zweck-
losigkeit ihrer Unternehmungen. Nur zwei bedeutende Charaktere treten in
diesem Gewühl blinder Leidenschaften hervor, Kosciusko und Suwarow. Da
über den letzteren in diesen Tagen eine ausführliche Monographie erschienen
ist, behalten, wir uns vor, aus diese höchst interessanten Erscheinungen zurück¬
zukommen.

Im, Anfang hatte Preußen die polnische Sache in seiner Hand; es hatte
allein ein größeres Heer in jener Gegend und hätte, da die polnischen
Truppen noch ohne alle Disciplin waren, durch Eroberung der Hauptstädte
der Sache leicht ein Ende machen können. Der factische Besitz des Landes
würde dann den Unterhandlungen mit Rußland einen größeren Nachdruck ge-.
geben haben. Aber eine kurzsichtige Weisheit kam auch hier dazwischen.
Von dem bösen Willen der Russen überzeugt, wollte man das Heer, dessen
man vielleicht nach dieser Seite bedürfen würde, nicht in nutzlosen Kampf
gegen die Polen opfern; zudem lag dem König noch immer seine Ritterpflicht
gegen die Franzosen im Sinn. Nichts konnte den Russen gelegener kommen.
An dem endlichen Sieg über den Aufstand hatten sie keinen Zweifel und so
setzten sie den Preußen durch ihre Intriguen so lange zu, bis diese endlich ganz
von Warschau abzogen; was dann von Nußland so ausgelegt wurde, als ob sich
Preußen dadurch aller Ansprüche begebe. Suwarow kam und machte mit seiner
gewöhnlichen Entschlossenheit dem Kampf ein Ende. Zur factischen Besitz
Polens eröffnete nun Rußland seine Unterhandlungen mit Oestreich, das es
für seine türkischen Pläne gewinnen wollte und beide Kcriserhöfe ordneten die
Art der Theilung Polens, wobei Preußen nur ein schmaler Bissen zufiel. Als
Preußen erklärte, daß es unter diesen Umständen gegen jede Theilung Polens
protcstire, wurde es mit Hohn zurückgewiesen und der Theilungsvertrag zwischen


Gegner wollten die Fortsetzung des revolutionären Lärms. Beide Parteien
in der bestimmten Voraussicht, daß es zum Bruch kommen müsse, wandten
sich an die Gemäßigten um Hilfe. Diese zögerten lange, weil sie wohl
wußten, daß die beiden radicalen Parteien stets geneigt waren, auf ihre Un¬
kosten Frieden zu schließen, bis sie sahen, daß es Ernst war. Dann traten
sie entschieden auf die Seite der Anarchisten gegen die Dictatur. Als nun
die Anarchisten das Schreckensregiment fortsetzen wollten, sahen sie plötzlich,
daß die Macht, die sie gegen die Dictatur zu Hilft gerufen, die öffentliche
Meinung, übermächtig geworden war, und so war mit dem Dictator auch der
Schrecken gefallen.

Während der französische Krieg ohne Energie weiter geführt wurde, be¬
stimmte der Ausbruch der polnischen Jnsurrection die drei östlichen Mächte,,
ihre Aufmerksamkeit ausschließlich nach dieser Seite zu wenden. Dieser Auf¬
stand bietet ein ebenso klägliches Bild als die Jakobinerherrschaft in Frank¬
reich. Die Polen wetteiferten mit den Nüssen und Preußen in der Zweck-
losigkeit ihrer Unternehmungen. Nur zwei bedeutende Charaktere treten in
diesem Gewühl blinder Leidenschaften hervor, Kosciusko und Suwarow. Da
über den letzteren in diesen Tagen eine ausführliche Monographie erschienen
ist, behalten, wir uns vor, aus diese höchst interessanten Erscheinungen zurück¬
zukommen.

Im, Anfang hatte Preußen die polnische Sache in seiner Hand; es hatte
allein ein größeres Heer in jener Gegend und hätte, da die polnischen
Truppen noch ohne alle Disciplin waren, durch Eroberung der Hauptstädte
der Sache leicht ein Ende machen können. Der factische Besitz des Landes
würde dann den Unterhandlungen mit Rußland einen größeren Nachdruck ge-.
geben haben. Aber eine kurzsichtige Weisheit kam auch hier dazwischen.
Von dem bösen Willen der Russen überzeugt, wollte man das Heer, dessen
man vielleicht nach dieser Seite bedürfen würde, nicht in nutzlosen Kampf
gegen die Polen opfern; zudem lag dem König noch immer seine Ritterpflicht
gegen die Franzosen im Sinn. Nichts konnte den Russen gelegener kommen.
An dem endlichen Sieg über den Aufstand hatten sie keinen Zweifel und so
setzten sie den Preußen durch ihre Intriguen so lange zu, bis diese endlich ganz
von Warschau abzogen; was dann von Nußland so ausgelegt wurde, als ob sich
Preußen dadurch aller Ansprüche begebe. Suwarow kam und machte mit seiner
gewöhnlichen Entschlossenheit dem Kampf ein Ende. Zur factischen Besitz
Polens eröffnete nun Rußland seine Unterhandlungen mit Oestreich, das es
für seine türkischen Pläne gewinnen wollte und beide Kcriserhöfe ordneten die
Art der Theilung Polens, wobei Preußen nur ein schmaler Bissen zufiel. Als
Preußen erklärte, daß es unter diesen Umständen gegen jede Theilung Polens
protcstire, wurde es mit Hohn zurückgewiesen und der Theilungsvertrag zwischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/148>, abgerufen am 30.06.2024.