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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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gehandelt, und daß ausschließlich der formelle Ausweg einer Jmmediateingabe
an den König ihre Auflösung veranlaßt habe. Da sie aber ihre Bedenken
gegen viele Zweige der innern Verwaltung, ihre Beschwerden über die finan¬
ziellen Ausschreitungen im Kriegsdepartement, ihre Klagen gegen die Hintan¬
setzung der konstitutionellen Institutionen durch die Verwaltung und gegen den
grundgesctzfeindlichen Geist der gouvernementalen, vom Staat subvenirten Pre߬
organe aus keine andere Weise zu wirksamer Geltung bringen zu können über¬
zeugt war, so erschien grade erst jetzt die Auflösung als Mittel, die Stimme der
Landesvertretung vom König fern zu halten, die Ueberzeugungen der Landes-
vertrcter mundtodt zu machen, dem gouvernementalen Ermessen alle grund¬
gesetzliche Rechte und Befugnisse der Landesvertretung unterzuordnen.




Preußen in der polnisch-französischen Revolutionszeit.

Geschichte der Revolutionszeit von 1789 bis 1795. Von Heinrich von Sybel.
Dritter Band, erste Abtheilung. Düsseldorf, I. Buddeus.

Es gibt wenig Begebenheiten in der neuern Geschichte, die von der öffent¬
lichen Meinung so allgemein gebrandmarkt wären, als die Theilung Polens
und der Friede von Basel. Hört man die gewöhnlichen Urtheile, so sollte man
annehmen, in der Politik des achtzehnten Jahrhunderts habe sonst die voll¬
kommenste Sittlichkeit geherrscht, und nur durch jene beiden Thatsachen sei
der böse Geist des Macchicwcllismus in die europäischen Zustände eingeführt
worden. Beide Mal ist es Preußen, dem man die Last dieser schweren Ver¬
antwortlichkeit aufbürdet. Etwas Richtiges liegt so allgemein ausgesproche¬
nen Ansichten immer zu Grunde. Die Theilung Polens ist zwar nicht un¬
moralischer als irgend ein anderer Ausdruck des Arrondirungssystems, welches
un achtzehnten Jahrhundert für die Politik der Fürsten maßgebend war und
maßgebend sein mußte, wenn man sich aus dem verwickelten, lebensunfähigen
Rechtssystem des siebzehnten Jahrhunderts freimachen wollte, aber die Form,
,^n der sie ausgeführt wurde, ist allerdings cynischer als irgend etwas, das
sonst nach dieser Richtung geschehn ist. Außerdem hat sie für die Theil-
nehmer bittere Früchte getragen, namentlich für Preußen, welches dies fremd¬
artige Element nych immer nicht hat absorbiren können, und dadurch in Ver¬
bindungen verstrickt ist, die seinen wahren Bedürfnissen widersprechen. Der'''''"'


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gehandelt, und daß ausschließlich der formelle Ausweg einer Jmmediateingabe
an den König ihre Auflösung veranlaßt habe. Da sie aber ihre Bedenken
gegen viele Zweige der innern Verwaltung, ihre Beschwerden über die finan¬
ziellen Ausschreitungen im Kriegsdepartement, ihre Klagen gegen die Hintan¬
setzung der konstitutionellen Institutionen durch die Verwaltung und gegen den
grundgesctzfeindlichen Geist der gouvernementalen, vom Staat subvenirten Pre߬
organe aus keine andere Weise zu wirksamer Geltung bringen zu können über¬
zeugt war, so erschien grade erst jetzt die Auflösung als Mittel, die Stimme der
Landesvertretung vom König fern zu halten, die Ueberzeugungen der Landes-
vertrcter mundtodt zu machen, dem gouvernementalen Ermessen alle grund¬
gesetzliche Rechte und Befugnisse der Landesvertretung unterzuordnen.




Preußen in der polnisch-französischen Revolutionszeit.

Geschichte der Revolutionszeit von 1789 bis 1795. Von Heinrich von Sybel.
Dritter Band, erste Abtheilung. Düsseldorf, I. Buddeus.

Es gibt wenig Begebenheiten in der neuern Geschichte, die von der öffent¬
lichen Meinung so allgemein gebrandmarkt wären, als die Theilung Polens
und der Friede von Basel. Hört man die gewöhnlichen Urtheile, so sollte man
annehmen, in der Politik des achtzehnten Jahrhunderts habe sonst die voll¬
kommenste Sittlichkeit geherrscht, und nur durch jene beiden Thatsachen sei
der böse Geist des Macchicwcllismus in die europäischen Zustände eingeführt
worden. Beide Mal ist es Preußen, dem man die Last dieser schweren Ver¬
antwortlichkeit aufbürdet. Etwas Richtiges liegt so allgemein ausgesproche¬
nen Ansichten immer zu Grunde. Die Theilung Polens ist zwar nicht un¬
moralischer als irgend ein anderer Ausdruck des Arrondirungssystems, welches
un achtzehnten Jahrhundert für die Politik der Fürsten maßgebend war und
maßgebend sein mußte, wenn man sich aus dem verwickelten, lebensunfähigen
Rechtssystem des siebzehnten Jahrhunderts freimachen wollte, aber die Form,
,^n der sie ausgeführt wurde, ist allerdings cynischer als irgend etwas, das
sonst nach dieser Richtung geschehn ist. Außerdem hat sie für die Theil-
nehmer bittere Früchte getragen, namentlich für Preußen, welches dies fremd¬
artige Element nych immer nicht hat absorbiren können, und dadurch in Ver¬
bindungen verstrickt ist, die seinen wahren Bedürfnissen widersprechen. Der'''''"'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/139>, abgerufen am 05.07.2024.