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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Friede von Basel setzte zwar nur fort, was die deutschen Fürsten seit dem
dreißigjährigen Krieg begonnen hatten, aber er war allerdings der erste ver-
hüngnißvolle Schritt, durch welchen jener französischen Uebermacht Bahn ge¬
brochen wurde, die zwanzig schwere Jahre auf Deutschland gelastet hat. Jene
beiden Ereignisse zu rechtfertigen, sie ga< als wohlthätig sür die neuere Ent¬
wickelung nachzuweisen, wird kaum gelingen, aber bei einer detaillirten Dar¬
stellung kommt man bald zu der Ueberzeugung, daß ein Schritt den andern
bedingte und daß in dem Naturproceß, der darin waltet, die Schuld des Ein¬
zelnen und namentlich Preußens kaum in Betracht kommt.

Diese innere Nothwendigkeit klar gemacht zu dabey, ist eines der vor¬
züglichsten Verdienste des Geschichtschreibers, dessen Werk uns zu diesen
Bemerkungen veranlaßt. Mit einer Reife der Bildung, einer Vollständigkeit
und Unbefangenheit der Forschungen und einer kalten Besonnenheit des Ur¬
theils, wie sie sich unter unsern Schriftstellern sehr selten findet, verbindet
Heinrich v. Sybel eine Rechtschaffenheit des Gefühls, die ihn davor be¬
wahrt, was er begreift auch zu billigen. Die Verwickelung der Umstände hat
eine sehr weitreichende Macht, aber der Wille des Menschen, durch das Ge¬
wissen gekräftigt, ist doch sähig sich darüber zu erheben, und sast überall wird
sich zeigen, daß die Hochherzigkeit der Gesinnung, die im Stande ist, die Ver¬
hältnisse groß aufzufassen und die kleinen Motive des augenblicklichen Erfolgs
dem Gefühl der Pflicht und des allgemeinen Berufs unterzuordnen, auf die
Dauer auch in der Politik den richtigsten und namentlich auch den sichersten
Weg weist. Die traurigste Rolle aber spielen diejenigen Charaktere, die, in
eine kritische Zeit gestellt, wo es darauf ankommt, mit. schnellem Entschluß den
Augenblick zu ergreifen, von verschiedenen Motiven erregt werden, und bald
der Pflicht und der Ehre, bald dem Interesse Gehör geben. Eine solche Rolle
hat Preußen seit dem Tode Friedrich des Großen sast ununterbrochen gespielt
und sie würde seinen Untergang herbeigeführt haben, wenn nicht die unversieg-
liche Lebenskraft in den natürlichen Grundlagen dieses Staats auch aus den
ungünstigsten Verhältnissen immer neue Nahrung zu ziehn wüßte.

Seit dem dreißigjährigen Krieg war der preußisch-brandenburgische Staat
durch den großen Kurfürsten in die europäische Politik eingeführt worden. Er
hat nicht blos seinen Staat in die Hohe gebracht, er hat auch das völlig
zerrüttete und in seinem Lebensnerv angegriffene, dem allgemeinen Schimpf
und Hohn ausgesetzte Deutschland, so weit es unter den traurigen Umständen
möglich war, wieder in seine Fugen eingerenkt. Schon damals begann Oest¬
reich, mit den scheinbaren Rechten und Pflichten der alten Kaiserwürde aus¬
gestattet, jene Politik, die es Preußen gegenüber stets aufrecht erhalten hat:
es benutzte den frisch aufkeimenden, in seinen inneren Verhältnissen geordneten
tüchtigen Kriegcrstaat, dem Feind die entscheidenden Schläge, beizubringen,


Friede von Basel setzte zwar nur fort, was die deutschen Fürsten seit dem
dreißigjährigen Krieg begonnen hatten, aber er war allerdings der erste ver-
hüngnißvolle Schritt, durch welchen jener französischen Uebermacht Bahn ge¬
brochen wurde, die zwanzig schwere Jahre auf Deutschland gelastet hat. Jene
beiden Ereignisse zu rechtfertigen, sie ga< als wohlthätig sür die neuere Ent¬
wickelung nachzuweisen, wird kaum gelingen, aber bei einer detaillirten Dar¬
stellung kommt man bald zu der Ueberzeugung, daß ein Schritt den andern
bedingte und daß in dem Naturproceß, der darin waltet, die Schuld des Ein¬
zelnen und namentlich Preußens kaum in Betracht kommt.

Diese innere Nothwendigkeit klar gemacht zu dabey, ist eines der vor¬
züglichsten Verdienste des Geschichtschreibers, dessen Werk uns zu diesen
Bemerkungen veranlaßt. Mit einer Reife der Bildung, einer Vollständigkeit
und Unbefangenheit der Forschungen und einer kalten Besonnenheit des Ur¬
theils, wie sie sich unter unsern Schriftstellern sehr selten findet, verbindet
Heinrich v. Sybel eine Rechtschaffenheit des Gefühls, die ihn davor be¬
wahrt, was er begreift auch zu billigen. Die Verwickelung der Umstände hat
eine sehr weitreichende Macht, aber der Wille des Menschen, durch das Ge¬
wissen gekräftigt, ist doch sähig sich darüber zu erheben, und sast überall wird
sich zeigen, daß die Hochherzigkeit der Gesinnung, die im Stande ist, die Ver¬
hältnisse groß aufzufassen und die kleinen Motive des augenblicklichen Erfolgs
dem Gefühl der Pflicht und des allgemeinen Berufs unterzuordnen, auf die
Dauer auch in der Politik den richtigsten und namentlich auch den sichersten
Weg weist. Die traurigste Rolle aber spielen diejenigen Charaktere, die, in
eine kritische Zeit gestellt, wo es darauf ankommt, mit. schnellem Entschluß den
Augenblick zu ergreifen, von verschiedenen Motiven erregt werden, und bald
der Pflicht und der Ehre, bald dem Interesse Gehör geben. Eine solche Rolle
hat Preußen seit dem Tode Friedrich des Großen sast ununterbrochen gespielt
und sie würde seinen Untergang herbeigeführt haben, wenn nicht die unversieg-
liche Lebenskraft in den natürlichen Grundlagen dieses Staats auch aus den
ungünstigsten Verhältnissen immer neue Nahrung zu ziehn wüßte.

Seit dem dreißigjährigen Krieg war der preußisch-brandenburgische Staat
durch den großen Kurfürsten in die europäische Politik eingeführt worden. Er
hat nicht blos seinen Staat in die Hohe gebracht, er hat auch das völlig
zerrüttete und in seinem Lebensnerv angegriffene, dem allgemeinen Schimpf
und Hohn ausgesetzte Deutschland, so weit es unter den traurigen Umständen
möglich war, wieder in seine Fugen eingerenkt. Schon damals begann Oest¬
reich, mit den scheinbaren Rechten und Pflichten der alten Kaiserwürde aus¬
gestattet, jene Politik, die es Preußen gegenüber stets aufrecht erhalten hat:
es benutzte den frisch aufkeimenden, in seinen inneren Verhältnissen geordneten
tüchtigen Kriegcrstaat, dem Feind die entscheidenden Schläge, beizubringen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/140>, abgerufen am 05.07.2024.