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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Die Folgen des Proceß Bernard.

Man wird dem Schicksal des Kaisers von Frankreich, wie sehr man auch
Gegner seiner innern Politik sei, einen gewissen Antheil nicht versagen können.
Kühn und gewaltsam und frei von vielen Bedenken, welche den Egoismus
der Menschen zügeln, hat er Frankreich unter seinen Willen gezwungen, mit
nicht gewöhnlicher Klugheit hat er die Hindernisse überwunden, welche einer
festen Allianz mit der ersten Macht der Erde entgegenstanden. Durch Blut,
Siege und große Opfer Frankreichs wurde dies Bündniß besiegelt, der Kaiser
hatte zahlreiche Gelegenheit, den Regierenden in England zu beweisen, wie
furchtbar er als Feind, wie unentbehrlich er als treuer Helfer sei. Es war
ihm gelungen sowol durch seine Macht, als durch das Maßvolle seiner Per¬
sönlichkeit Achtung, ja nicht geringes Vertrauen bei der königlichen Familie
selbst zu erwecken, bei den Führern der Whigs und Tones, man darf sagen bei
allen, welche von Angesicht mit ihm zu thun hatten. Sein Wille herrschte
souverän in Frankreich, wie kaum der Wille Ludwig XIV. oder des ersten
Kaisers. Ein ruchloses Attentat, besonders abscheulich durch die Grausamkeit
seiner Ausführung, gewinnt ihm für einige Tage sogar die Theilnahme seiner
Gegner. Und doch erfüllt sich, so weit man urtheilen kann, von demselben
Tage mit reißender Schnelle der finstere Fluch, welcher auf dem Leben des Kaisers
und aller liegt, die ihr egoistisches Wollen rücksichtslos über die sittlichen
Gesetze ihrer Zeit und ihres Volkes erheben. Die neuen Voraussetzungen,
welche seine Willkür für sein und Frankreichs Leben geschaffen hat, die Si¬
tuationen, welche er so souverän und rücksichtslos herbeigeführt hat, werden all-
mälig stärker als sein Herrenwille. Und sein Dämon, der ihn so schnell zu
schwindelnder Höhe heraufgeführt hat, beginnt in einem Kampf mit andern
dunkeln Mächten seine Kraft zu verlieren. Wer so lebt und herrscht wie der
Kaiser, der darf keine Stunde der Schwäche haben. Eine Abspannung der
Nerven, eine Täuschung seines scharfen Gesichts, Zufälle gefährlich für jeden,
der über Großes zu entscheiden hat, ihm drohen sie mit sicherem Verderben.
Der nervöse Schauer, den ihm die fürchterliche Nähe des Todes verursacht
hat, nimmt ihm aus Stunden die Freiheit des bedächtigen Abwägens, welche
!"use seine Operationen charakterisirt, er taxirt den Werth, welchen das Atten¬
tat ihm selbst in den Augen des conservativen Europas gegeben hat. nur,
ein wenig zu hoch, das Entsetzen seiner Umgebung und der loyale Eifer der
zahlreichen Eigennützigen, welche ihr Fahrzeug an das seine gehängt haben,
machen nur ein wenig zu starken Eindruck aus ihn. und die Folge solcher
vorübergehende" Schwäche ist die Production einer Reihe bedenklicher Maß-


Die Folgen des Proceß Bernard.

Man wird dem Schicksal des Kaisers von Frankreich, wie sehr man auch
Gegner seiner innern Politik sei, einen gewissen Antheil nicht versagen können.
Kühn und gewaltsam und frei von vielen Bedenken, welche den Egoismus
der Menschen zügeln, hat er Frankreich unter seinen Willen gezwungen, mit
nicht gewöhnlicher Klugheit hat er die Hindernisse überwunden, welche einer
festen Allianz mit der ersten Macht der Erde entgegenstanden. Durch Blut,
Siege und große Opfer Frankreichs wurde dies Bündniß besiegelt, der Kaiser
hatte zahlreiche Gelegenheit, den Regierenden in England zu beweisen, wie
furchtbar er als Feind, wie unentbehrlich er als treuer Helfer sei. Es war
ihm gelungen sowol durch seine Macht, als durch das Maßvolle seiner Per¬
sönlichkeit Achtung, ja nicht geringes Vertrauen bei der königlichen Familie
selbst zu erwecken, bei den Führern der Whigs und Tones, man darf sagen bei
allen, welche von Angesicht mit ihm zu thun hatten. Sein Wille herrschte
souverän in Frankreich, wie kaum der Wille Ludwig XIV. oder des ersten
Kaisers. Ein ruchloses Attentat, besonders abscheulich durch die Grausamkeit
seiner Ausführung, gewinnt ihm für einige Tage sogar die Theilnahme seiner
Gegner. Und doch erfüllt sich, so weit man urtheilen kann, von demselben
Tage mit reißender Schnelle der finstere Fluch, welcher auf dem Leben des Kaisers
und aller liegt, die ihr egoistisches Wollen rücksichtslos über die sittlichen
Gesetze ihrer Zeit und ihres Volkes erheben. Die neuen Voraussetzungen,
welche seine Willkür für sein und Frankreichs Leben geschaffen hat, die Si¬
tuationen, welche er so souverän und rücksichtslos herbeigeführt hat, werden all-
mälig stärker als sein Herrenwille. Und sein Dämon, der ihn so schnell zu
schwindelnder Höhe heraufgeführt hat, beginnt in einem Kampf mit andern
dunkeln Mächten seine Kraft zu verlieren. Wer so lebt und herrscht wie der
Kaiser, der darf keine Stunde der Schwäche haben. Eine Abspannung der
Nerven, eine Täuschung seines scharfen Gesichts, Zufälle gefährlich für jeden,
der über Großes zu entscheiden hat, ihm drohen sie mit sicherem Verderben.
Der nervöse Schauer, den ihm die fürchterliche Nähe des Todes verursacht
hat, nimmt ihm aus Stunden die Freiheit des bedächtigen Abwägens, welche
!»use seine Operationen charakterisirt, er taxirt den Werth, welchen das Atten¬
tat ihm selbst in den Augen des conservativen Europas gegeben hat. nur,
ein wenig zu hoch, das Entsetzen seiner Umgebung und der loyale Eifer der
zahlreichen Eigennützigen, welche ihr Fahrzeug an das seine gehängt haben,
machen nur ein wenig zu starken Eindruck aus ihn. und die Folge solcher
vorübergehende» Schwäche ist die Production einer Reihe bedenklicher Maß-


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[0205] Die Folgen des Proceß Bernard. Man wird dem Schicksal des Kaisers von Frankreich, wie sehr man auch Gegner seiner innern Politik sei, einen gewissen Antheil nicht versagen können. Kühn und gewaltsam und frei von vielen Bedenken, welche den Egoismus der Menschen zügeln, hat er Frankreich unter seinen Willen gezwungen, mit nicht gewöhnlicher Klugheit hat er die Hindernisse überwunden, welche einer festen Allianz mit der ersten Macht der Erde entgegenstanden. Durch Blut, Siege und große Opfer Frankreichs wurde dies Bündniß besiegelt, der Kaiser hatte zahlreiche Gelegenheit, den Regierenden in England zu beweisen, wie furchtbar er als Feind, wie unentbehrlich er als treuer Helfer sei. Es war ihm gelungen sowol durch seine Macht, als durch das Maßvolle seiner Per¬ sönlichkeit Achtung, ja nicht geringes Vertrauen bei der königlichen Familie selbst zu erwecken, bei den Führern der Whigs und Tones, man darf sagen bei allen, welche von Angesicht mit ihm zu thun hatten. Sein Wille herrschte souverän in Frankreich, wie kaum der Wille Ludwig XIV. oder des ersten Kaisers. Ein ruchloses Attentat, besonders abscheulich durch die Grausamkeit seiner Ausführung, gewinnt ihm für einige Tage sogar die Theilnahme seiner Gegner. Und doch erfüllt sich, so weit man urtheilen kann, von demselben Tage mit reißender Schnelle der finstere Fluch, welcher auf dem Leben des Kaisers und aller liegt, die ihr egoistisches Wollen rücksichtslos über die sittlichen Gesetze ihrer Zeit und ihres Volkes erheben. Die neuen Voraussetzungen, welche seine Willkür für sein und Frankreichs Leben geschaffen hat, die Si¬ tuationen, welche er so souverän und rücksichtslos herbeigeführt hat, werden all- mälig stärker als sein Herrenwille. Und sein Dämon, der ihn so schnell zu schwindelnder Höhe heraufgeführt hat, beginnt in einem Kampf mit andern dunkeln Mächten seine Kraft zu verlieren. Wer so lebt und herrscht wie der Kaiser, der darf keine Stunde der Schwäche haben. Eine Abspannung der Nerven, eine Täuschung seines scharfen Gesichts, Zufälle gefährlich für jeden, der über Großes zu entscheiden hat, ihm drohen sie mit sicherem Verderben. Der nervöse Schauer, den ihm die fürchterliche Nähe des Todes verursacht hat, nimmt ihm aus Stunden die Freiheit des bedächtigen Abwägens, welche !»use seine Operationen charakterisirt, er taxirt den Werth, welchen das Atten¬ tat ihm selbst in den Augen des conservativen Europas gegeben hat. nur, ein wenig zu hoch, das Entsetzen seiner Umgebung und der loyale Eifer der zahlreichen Eigennützigen, welche ihr Fahrzeug an das seine gehängt haben, machen nur ein wenig zu starken Eindruck aus ihn. und die Folge solcher vorübergehende» Schwäche ist die Production einer Reihe bedenklicher Maß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/205>, abgerufen am 30.12.2024.