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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Aber die lange, bange Nacht geht zu Ende. Um vier Uhr lauten die Glocken
zur Fmhmctte, ihr gesegneter Klang verscheucht den Spuk und treibt die
armen Seelen an den Ort zurück, wo sie für die Irrthümer und Sünden
ihres Erdenlebens büßen. In allen Häusern wird es lebendig; wer nicht
durch Altersschwäche oder Krankheit ans Haus gefesselt ist, eilt in die Kirche,
und nachdem hier abermals in Gemeinschaft für die Verstorbenen gebetet ist,
ordnet sich die Gemeinde zur Procession um den Kirchhof.

Es ist ein düstrer Zug, der im Morgengrauen aus der Kirche hervor¬
kommt. Die Männer gehen baarhaupt, von ihren langherabhängenden
Haaren wie von einem Schleier umwallt; die Frauen tragen weite, dunkle
Kapuzen. Alle halten Rosenkränze in den Händen, einige auch brennende
Kerzen, deren Flämmchen vom Winde bewegt unsicher hin und herschwanken.
Keine Kirchenfahne breitet ihre glänzenden Falten über den gesenkten Häuptern
aus, nur das Crucifix, das mit schwarzen Bändern oder Floren geschmückt ist,
wird vor dem Pfarrer hergetragen, der, wie die Chorknaben, ein. schwarz¬
weißes Meßgewand trägt.

Langsam bewegt sich der Zug um den Kirchhof; der Pfarrer sprengt
Weihwasser auf die Gräber und singt eine Litanei, in weiche der Chor psalmo-
dirend einfällt. Nach vollendetem Rundgang knien alle zwischen den Grä¬
bern nieder, um den Segen des Pfarrers zu empfangen, und kehren dann
nach Haus zurück, getröstet durch den schonen Kinderglauben, daß sie in Gebet
und guten Werken in fast unmittelbarer Verbindung mit ihren geliebten Todten
zu bleiben vermögen.




Bilder ans Griechenland.
7.
, Die Burgen von Argolis. -- Mantinea und Tripolis".

Der nächste Weg von Korinth nach Argos führt über die Hochebene von
Kleonä. nach welcher man durch eine etwa anderthalb Meilen lange, tiefe
Schlucht allmälig hinaufsteigt. Die Wände der Schlucht bestehen aus graugelbem
lockern Sandstein und sind vielfach von Regenrinnen durchfurcht und fast nur
mit Gestrüpp bewachsen. Im Grunde unten murmelt zwischen Oleandern,
Myrthen und einzelnen wilden Birnbäumen ein kleines Gebirgswasser, welches
sich ein tiefes, schroff abstürzendes Bett in das Erdreich gewühlt hat. Etwa


Aber die lange, bange Nacht geht zu Ende. Um vier Uhr lauten die Glocken
zur Fmhmctte, ihr gesegneter Klang verscheucht den Spuk und treibt die
armen Seelen an den Ort zurück, wo sie für die Irrthümer und Sünden
ihres Erdenlebens büßen. In allen Häusern wird es lebendig; wer nicht
durch Altersschwäche oder Krankheit ans Haus gefesselt ist, eilt in die Kirche,
und nachdem hier abermals in Gemeinschaft für die Verstorbenen gebetet ist,
ordnet sich die Gemeinde zur Procession um den Kirchhof.

Es ist ein düstrer Zug, der im Morgengrauen aus der Kirche hervor¬
kommt. Die Männer gehen baarhaupt, von ihren langherabhängenden
Haaren wie von einem Schleier umwallt; die Frauen tragen weite, dunkle
Kapuzen. Alle halten Rosenkränze in den Händen, einige auch brennende
Kerzen, deren Flämmchen vom Winde bewegt unsicher hin und herschwanken.
Keine Kirchenfahne breitet ihre glänzenden Falten über den gesenkten Häuptern
aus, nur das Crucifix, das mit schwarzen Bändern oder Floren geschmückt ist,
wird vor dem Pfarrer hergetragen, der, wie die Chorknaben, ein. schwarz¬
weißes Meßgewand trägt.

Langsam bewegt sich der Zug um den Kirchhof; der Pfarrer sprengt
Weihwasser auf die Gräber und singt eine Litanei, in weiche der Chor psalmo-
dirend einfällt. Nach vollendetem Rundgang knien alle zwischen den Grä¬
bern nieder, um den Segen des Pfarrers zu empfangen, und kehren dann
nach Haus zurück, getröstet durch den schonen Kinderglauben, daß sie in Gebet
und guten Werken in fast unmittelbarer Verbindung mit ihren geliebten Todten
zu bleiben vermögen.




Bilder ans Griechenland.
7.
, Die Burgen von Argolis. — Mantinea und Tripolis«.

Der nächste Weg von Korinth nach Argos führt über die Hochebene von
Kleonä. nach welcher man durch eine etwa anderthalb Meilen lange, tiefe
Schlucht allmälig hinaufsteigt. Die Wände der Schlucht bestehen aus graugelbem
lockern Sandstein und sind vielfach von Regenrinnen durchfurcht und fast nur
mit Gestrüpp bewachsen. Im Grunde unten murmelt zwischen Oleandern,
Myrthen und einzelnen wilden Birnbäumen ein kleines Gebirgswasser, welches
sich ein tiefes, schroff abstürzendes Bett in das Erdreich gewühlt hat. Etwa


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[0476] Aber die lange, bange Nacht geht zu Ende. Um vier Uhr lauten die Glocken zur Fmhmctte, ihr gesegneter Klang verscheucht den Spuk und treibt die armen Seelen an den Ort zurück, wo sie für die Irrthümer und Sünden ihres Erdenlebens büßen. In allen Häusern wird es lebendig; wer nicht durch Altersschwäche oder Krankheit ans Haus gefesselt ist, eilt in die Kirche, und nachdem hier abermals in Gemeinschaft für die Verstorbenen gebetet ist, ordnet sich die Gemeinde zur Procession um den Kirchhof. Es ist ein düstrer Zug, der im Morgengrauen aus der Kirche hervor¬ kommt. Die Männer gehen baarhaupt, von ihren langherabhängenden Haaren wie von einem Schleier umwallt; die Frauen tragen weite, dunkle Kapuzen. Alle halten Rosenkränze in den Händen, einige auch brennende Kerzen, deren Flämmchen vom Winde bewegt unsicher hin und herschwanken. Keine Kirchenfahne breitet ihre glänzenden Falten über den gesenkten Häuptern aus, nur das Crucifix, das mit schwarzen Bändern oder Floren geschmückt ist, wird vor dem Pfarrer hergetragen, der, wie die Chorknaben, ein. schwarz¬ weißes Meßgewand trägt. Langsam bewegt sich der Zug um den Kirchhof; der Pfarrer sprengt Weihwasser auf die Gräber und singt eine Litanei, in weiche der Chor psalmo- dirend einfällt. Nach vollendetem Rundgang knien alle zwischen den Grä¬ bern nieder, um den Segen des Pfarrers zu empfangen, und kehren dann nach Haus zurück, getröstet durch den schonen Kinderglauben, daß sie in Gebet und guten Werken in fast unmittelbarer Verbindung mit ihren geliebten Todten zu bleiben vermögen. Bilder ans Griechenland. 7. , Die Burgen von Argolis. — Mantinea und Tripolis«. Der nächste Weg von Korinth nach Argos führt über die Hochebene von Kleonä. nach welcher man durch eine etwa anderthalb Meilen lange, tiefe Schlucht allmälig hinaufsteigt. Die Wände der Schlucht bestehen aus graugelbem lockern Sandstein und sind vielfach von Regenrinnen durchfurcht und fast nur mit Gestrüpp bewachsen. Im Grunde unten murmelt zwischen Oleandern, Myrthen und einzelnen wilden Birnbäumen ein kleines Gebirgswasser, welches sich ein tiefes, schroff abstürzendes Bett in das Erdreich gewühlt hat. Etwa

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/476>, abgerufen am 03.07.2024.