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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Die Bildertmifen.

Der bekannte Galeriedirector Waagen hat kürzlich ein Büchlein unter dem
Titel: "Einige Bemerkungen über die neue Aufstellung, Beleuch¬
tung und Katalogisirung der k. Gemäldegalerie zu Dresden"
veröffentlicht, welches vorzugsweise gegen die von Julius Hübner im officiellen
Galcrieverzeichniß neu gewühlten oder beibehaltenen Bildcrnamen gerichtet ist.
Wie alles, was von dem Nestor deutscher Kunstkenner stammt, ist auch diese
Gabe willkommen und bestimmt, in weiten Kreisen fruchtbar und anregend
zu wirken. Nahezu vierzigjähriges Studium der europäischen Kunstsammlungen
hat Waagens Anschauungen einen größern Umfang verliehen, als sich vielleicht
irgend ein andrer Zeitgenosse rühmen kann; sein Blick gewann eine solche
Schürfe, sein Gefühl für die Eigenthümlichkeiten der einzelnen Meister eine
so große Sicherheit, daß jedes von ihm gefällte Urtheil, ja selbst seine ein¬
fachen Behauptungen das Ansehen hoher Autorität genießen und nur in sel¬
tenen Fällen und dann nur mit scheuer Vorsicht bezweifelt werden. Dies
alles, dünkt uns, ist ziemlich allgemein zugestanden. Desto ausfallender muß
es erscheinen, daß Waagen am Schluß der vorliegenden Broschüre seine
eigne Ueberzeugung ausspricht, man werde "seinen Bemerkungen die unwür¬
digsten Motive unterschieben". Wir suchen vergeblich nach dem Schlüssel zu
dieser unerhörten Selbstdenunciation. Ebenso unerklärlich bleibt uns der ge¬
reizte Ton, die Bitterkeit, die durch die ganze Darstellung klingt, und als deren
unschuldiges Opfer der arme Julius Hübner fällt. Eine harmlose Bemerkung
des letzteren über den im siebenjährigen Kriege der Galerie zugefügten Scha¬
den wird als systematischer Preußenhaß gebrandmarkt, eine aus den ältern
Katalogen herübergenommene Flüchtigkeit, die Schreibung des Namens "?ire!or"
statt ,,I>!it,ör" spöttisch als Beweis, wie sehr Hübner, der geborne Preuße, sich
bereits zum Sachsen umgewandelt habe, angeführt. Solche unwürdige Seiten¬
hiebe hätten füglich wegbleiben können, um so mehr, als wir der Ueberzeu¬
gung sind, daß eine nicht geringe Zahl der Waagenschen Vorschläge auf die


Grenzboten III. 18S8. 56
Die Bildertmifen.

Der bekannte Galeriedirector Waagen hat kürzlich ein Büchlein unter dem
Titel: „Einige Bemerkungen über die neue Aufstellung, Beleuch¬
tung und Katalogisirung der k. Gemäldegalerie zu Dresden"
veröffentlicht, welches vorzugsweise gegen die von Julius Hübner im officiellen
Galcrieverzeichniß neu gewühlten oder beibehaltenen Bildcrnamen gerichtet ist.
Wie alles, was von dem Nestor deutscher Kunstkenner stammt, ist auch diese
Gabe willkommen und bestimmt, in weiten Kreisen fruchtbar und anregend
zu wirken. Nahezu vierzigjähriges Studium der europäischen Kunstsammlungen
hat Waagens Anschauungen einen größern Umfang verliehen, als sich vielleicht
irgend ein andrer Zeitgenosse rühmen kann; sein Blick gewann eine solche
Schürfe, sein Gefühl für die Eigenthümlichkeiten der einzelnen Meister eine
so große Sicherheit, daß jedes von ihm gefällte Urtheil, ja selbst seine ein¬
fachen Behauptungen das Ansehen hoher Autorität genießen und nur in sel¬
tenen Fällen und dann nur mit scheuer Vorsicht bezweifelt werden. Dies
alles, dünkt uns, ist ziemlich allgemein zugestanden. Desto ausfallender muß
es erscheinen, daß Waagen am Schluß der vorliegenden Broschüre seine
eigne Ueberzeugung ausspricht, man werde „seinen Bemerkungen die unwür¬
digsten Motive unterschieben". Wir suchen vergeblich nach dem Schlüssel zu
dieser unerhörten Selbstdenunciation. Ebenso unerklärlich bleibt uns der ge¬
reizte Ton, die Bitterkeit, die durch die ganze Darstellung klingt, und als deren
unschuldiges Opfer der arme Julius Hübner fällt. Eine harmlose Bemerkung
des letzteren über den im siebenjährigen Kriege der Galerie zugefügten Scha¬
den wird als systematischer Preußenhaß gebrandmarkt, eine aus den ältern
Katalogen herübergenommene Flüchtigkeit, die Schreibung des Namens „?ire!or"
statt ,,I>!it,ör« spöttisch als Beweis, wie sehr Hübner, der geborne Preuße, sich
bereits zum Sachsen umgewandelt habe, angeführt. Solche unwürdige Seiten¬
hiebe hätten füglich wegbleiben können, um so mehr, als wir der Ueberzeu¬
gung sind, daß eine nicht geringe Zahl der Waagenschen Vorschläge auf die


Grenzboten III. 18S8. 56
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[0449] Die Bildertmifen. Der bekannte Galeriedirector Waagen hat kürzlich ein Büchlein unter dem Titel: „Einige Bemerkungen über die neue Aufstellung, Beleuch¬ tung und Katalogisirung der k. Gemäldegalerie zu Dresden" veröffentlicht, welches vorzugsweise gegen die von Julius Hübner im officiellen Galcrieverzeichniß neu gewühlten oder beibehaltenen Bildcrnamen gerichtet ist. Wie alles, was von dem Nestor deutscher Kunstkenner stammt, ist auch diese Gabe willkommen und bestimmt, in weiten Kreisen fruchtbar und anregend zu wirken. Nahezu vierzigjähriges Studium der europäischen Kunstsammlungen hat Waagens Anschauungen einen größern Umfang verliehen, als sich vielleicht irgend ein andrer Zeitgenosse rühmen kann; sein Blick gewann eine solche Schürfe, sein Gefühl für die Eigenthümlichkeiten der einzelnen Meister eine so große Sicherheit, daß jedes von ihm gefällte Urtheil, ja selbst seine ein¬ fachen Behauptungen das Ansehen hoher Autorität genießen und nur in sel¬ tenen Fällen und dann nur mit scheuer Vorsicht bezweifelt werden. Dies alles, dünkt uns, ist ziemlich allgemein zugestanden. Desto ausfallender muß es erscheinen, daß Waagen am Schluß der vorliegenden Broschüre seine eigne Ueberzeugung ausspricht, man werde „seinen Bemerkungen die unwür¬ digsten Motive unterschieben". Wir suchen vergeblich nach dem Schlüssel zu dieser unerhörten Selbstdenunciation. Ebenso unerklärlich bleibt uns der ge¬ reizte Ton, die Bitterkeit, die durch die ganze Darstellung klingt, und als deren unschuldiges Opfer der arme Julius Hübner fällt. Eine harmlose Bemerkung des letzteren über den im siebenjährigen Kriege der Galerie zugefügten Scha¬ den wird als systematischer Preußenhaß gebrandmarkt, eine aus den ältern Katalogen herübergenommene Flüchtigkeit, die Schreibung des Namens „?ire!or" statt ,,I>!it,ör« spöttisch als Beweis, wie sehr Hübner, der geborne Preuße, sich bereits zum Sachsen umgewandelt habe, angeführt. Solche unwürdige Seiten¬ hiebe hätten füglich wegbleiben können, um so mehr, als wir der Ueberzeu¬ gung sind, daß eine nicht geringe Zahl der Waagenschen Vorschläge auf die Grenzboten III. 18S8. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/449>, abgerufen am 22.07.2024.