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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Parteien, und wenn es an feindseligen Gegensätzen vielleicht nicht fehlte, so
hatte die politische Schwärmerei dieselben übertüncht. Der gesammten Künst-
lerschaft war die Fahne geweiht. Als aber später der innere Zwiespalt auch
äußerlich in den verschiedenen Künstlervereinen einen schroffen Ausdruck fand,
entstand die Frage, wer die Fahne hüten und bewahren sollte. Ohne den geringsten
Widerstreit einigten sich alle Künstler auf Lessing. In den Händen eines jeden
andern hätte die Fahne als Parteiabzeichen gegolten, in Lessings Hause wu߬
ten sie alle als das Eigenthum der gestimmten Körperschaft. Lessing vertrat
die Einheit, während rings um ihn Zwiespalt herrschte. Wird man nicht jetzt
die Fahne in Stücke theilen müssen? Oder gibt.es noch einen Künstler in
Düsseldorf, der befähigt wäre , Lessings Stelle auszufüllen? Wer die Zustände
der rheinischen Kunststadt kennt, weiß, wie wenig an die Erfüllung dieser
Hoffnung gedacht werden kann. Wie man einst in Frankfurt seufzend nach
einem Dalberg sich umsah, so wird man auch in Düsseldorf oft fragen: Ist
kein Lessing dn? Wir wissen nicht, ob und welche Mittel angewendet wurden,
an Lessing für seinen gegenwärtigen Wirkungskreis zu erhalten. Wir wollen
daher auch keine Klage aussprechen. War es aber möglich und ließ man ihn
unbekümmert ziehen, so hat man arg an Düsseldorf gesündigt. Sein Abgang
ist der Grabstein für das alte Düsseldorf.




Georg Forster.

G. Försters Leben in Haus und Welt. Von Heinrich König. 2. Bd. Zweite,
sehr verbesserte Auflage. Leipzig, Brockhaus.

Wenn unter dem Umschwung der öffentlichen Meinung viele Berühmt¬
heiten unserer classischen Zeit gelitten haben, so ist er hingegen Forster zu
gut gekommen. Zuerst hat Gervinus aus die Bedeutung seiner Ideen über
die Revolution aufmerksam gemacht und man hat ihn bald mit natürlicher
Uebertreibung als politischen Propheten und Märtyrer gefeiert, dann ist man
auf das tiefe Gemüth in seinen Briefen und kleinen Schriften aufmerksam
geworden, und zuletzt hat ihn Moleschott als Naturforscher des Volks gepriesen;
als den ersten großen Vertreter derjenigen Richtung, die gegenwärtig in der
Naturwissenschaft die herrschende ist. Durch Moleschotts Werk ist Heinrich
König veranlaßt, die abweichenden Ansichten, die er früher in seiner Biographie
Forsters niedergelegt, einer neuen Revision zu unterwerfen, mit neuen Belegen zu


Grenzlioten III. 16S8. ^

Parteien, und wenn es an feindseligen Gegensätzen vielleicht nicht fehlte, so
hatte die politische Schwärmerei dieselben übertüncht. Der gesammten Künst-
lerschaft war die Fahne geweiht. Als aber später der innere Zwiespalt auch
äußerlich in den verschiedenen Künstlervereinen einen schroffen Ausdruck fand,
entstand die Frage, wer die Fahne hüten und bewahren sollte. Ohne den geringsten
Widerstreit einigten sich alle Künstler auf Lessing. In den Händen eines jeden
andern hätte die Fahne als Parteiabzeichen gegolten, in Lessings Hause wu߬
ten sie alle als das Eigenthum der gestimmten Körperschaft. Lessing vertrat
die Einheit, während rings um ihn Zwiespalt herrschte. Wird man nicht jetzt
die Fahne in Stücke theilen müssen? Oder gibt.es noch einen Künstler in
Düsseldorf, der befähigt wäre , Lessings Stelle auszufüllen? Wer die Zustände
der rheinischen Kunststadt kennt, weiß, wie wenig an die Erfüllung dieser
Hoffnung gedacht werden kann. Wie man einst in Frankfurt seufzend nach
einem Dalberg sich umsah, so wird man auch in Düsseldorf oft fragen: Ist
kein Lessing dn? Wir wissen nicht, ob und welche Mittel angewendet wurden,
an Lessing für seinen gegenwärtigen Wirkungskreis zu erhalten. Wir wollen
daher auch keine Klage aussprechen. War es aber möglich und ließ man ihn
unbekümmert ziehen, so hat man arg an Düsseldorf gesündigt. Sein Abgang
ist der Grabstein für das alte Düsseldorf.




Georg Forster.

G. Försters Leben in Haus und Welt. Von Heinrich König. 2. Bd. Zweite,
sehr verbesserte Auflage. Leipzig, Brockhaus.

Wenn unter dem Umschwung der öffentlichen Meinung viele Berühmt¬
heiten unserer classischen Zeit gelitten haben, so ist er hingegen Forster zu
gut gekommen. Zuerst hat Gervinus aus die Bedeutung seiner Ideen über
die Revolution aufmerksam gemacht und man hat ihn bald mit natürlicher
Uebertreibung als politischen Propheten und Märtyrer gefeiert, dann ist man
auf das tiefe Gemüth in seinen Briefen und kleinen Schriften aufmerksam
geworden, und zuletzt hat ihn Moleschott als Naturforscher des Volks gepriesen;
als den ersten großen Vertreter derjenigen Richtung, die gegenwärtig in der
Naturwissenschaft die herrschende ist. Durch Moleschotts Werk ist Heinrich
König veranlaßt, die abweichenden Ansichten, die er früher in seiner Biographie
Forsters niedergelegt, einer neuen Revision zu unterwerfen, mit neuen Belegen zu


Grenzlioten III. 16S8. ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/25>, abgerufen am 22.07.2024.