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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Volkes und gehorcht jetzt nur der Phantasie, aber der disciplinirten Phantasie
des Einzelnen und weiß auch mit dieser Freiheit des individuellen Schaffens,
sich die Neigung der Nation zu erhalten und stets mehr zu gewinnen.

Ganz anders der griechische Roman. Er hat nie jenes Kindesalter gekannt,
in welchem er die Kraft für ein langes Leben hätte sammeln können. Aus
der Stirn eines neuigkeitslustigett Sophisten sprang er fertig hervor, taumelte
eine Zeitlang in den Jrrgängen einer künstlich erhitzten Gclehrtenphantasie
herum, redete in geschwätzigen Pretiosen Worten von alten bekannten Dingen,
setzte einiges Neue und Nichtige hinzu und verschwand. Verschwand, weil er
aus dem "Schatten" der Schule nicht den Weg zum "Lichte" des National¬
lebens finden konnte. Von Sophisten für sophistisch Gebildete geschrieben
verlangte er nichts von der Nation und gab ihr auch nichts. Den ästhetischen
Genuß, den er verspricht, gewährt er nicht. Eine culturgeschichtliche Ausbeute
gibt er nicht, weil er daS nothwendigste Correlat aller Kulturgeschichte, das
Volk, mit Gleichmütigkeit behandelt. Nur wer die griechische Sprache aus
linguistischen Gründen bis in ihre letzten Stadien verfolgt und die griechische
Poesie aus dem Gesichtspunkte der Literaturgeschichte studirt, wird in diesen
Romanen einige Belehrung finden. --




Skizzen aus der Moldau.
2.
Klöster und Geistlichkeit.

Es gibt mehre sehr bedeutende Frauenklöster in den Donauländern; --
sie liegen großentheils am AbHange der Karpathen und gleichen sich in Be¬
treff der Lebensweise der Nonnen und der inneren Einrichtung so vollkommen,
daß wir am besten thun, ohne Weiteres einen Ausflug in eins derselben
wiederzugeben.

Alle Ideen von verwitterten Ringmauern muß man bei einer solchen Ge¬
legenheit daheimlassen; rollt der Reisende seinem Ziele nach, dem Gebirge zu,
so sieht er von frischen Wiesen und Wald umgeben eine sich weit ausdeh¬
nende Ansiedlung vor sich liegen. Ohne Symmetrie stehen Häuser und Häus¬
chen zerstreut umher, von alten Bäumen beschattet, einzelne haben sich bis
hinauf an den Saum des Waldes verirrt, und die Fenster blitzen wie Gold
in den Strahlen der Abendsonne. Staketenzäune von verschiedenen Formen
trennen die Gärten voneinander; alles ist sauber und zierlich gehalten, und
macht den Eindruck des geregelten Zusammenlebens einer zahlreichen, friedlichen


Volkes und gehorcht jetzt nur der Phantasie, aber der disciplinirten Phantasie
des Einzelnen und weiß auch mit dieser Freiheit des individuellen Schaffens,
sich die Neigung der Nation zu erhalten und stets mehr zu gewinnen.

Ganz anders der griechische Roman. Er hat nie jenes Kindesalter gekannt,
in welchem er die Kraft für ein langes Leben hätte sammeln können. Aus
der Stirn eines neuigkeitslustigett Sophisten sprang er fertig hervor, taumelte
eine Zeitlang in den Jrrgängen einer künstlich erhitzten Gclehrtenphantasie
herum, redete in geschwätzigen Pretiosen Worten von alten bekannten Dingen,
setzte einiges Neue und Nichtige hinzu und verschwand. Verschwand, weil er
aus dem „Schatten" der Schule nicht den Weg zum „Lichte" des National¬
lebens finden konnte. Von Sophisten für sophistisch Gebildete geschrieben
verlangte er nichts von der Nation und gab ihr auch nichts. Den ästhetischen
Genuß, den er verspricht, gewährt er nicht. Eine culturgeschichtliche Ausbeute
gibt er nicht, weil er daS nothwendigste Correlat aller Kulturgeschichte, das
Volk, mit Gleichmütigkeit behandelt. Nur wer die griechische Sprache aus
linguistischen Gründen bis in ihre letzten Stadien verfolgt und die griechische
Poesie aus dem Gesichtspunkte der Literaturgeschichte studirt, wird in diesen
Romanen einige Belehrung finden. —




Skizzen aus der Moldau.
2.
Klöster und Geistlichkeit.

Es gibt mehre sehr bedeutende Frauenklöster in den Donauländern; —
sie liegen großentheils am AbHange der Karpathen und gleichen sich in Be¬
treff der Lebensweise der Nonnen und der inneren Einrichtung so vollkommen,
daß wir am besten thun, ohne Weiteres einen Ausflug in eins derselben
wiederzugeben.

Alle Ideen von verwitterten Ringmauern muß man bei einer solchen Ge¬
legenheit daheimlassen; rollt der Reisende seinem Ziele nach, dem Gebirge zu,
so sieht er von frischen Wiesen und Wald umgeben eine sich weit ausdeh¬
nende Ansiedlung vor sich liegen. Ohne Symmetrie stehen Häuser und Häus¬
chen zerstreut umher, von alten Bäumen beschattet, einzelne haben sich bis
hinauf an den Saum des Waldes verirrt, und die Fenster blitzen wie Gold
in den Strahlen der Abendsonne. Staketenzäune von verschiedenen Formen
trennen die Gärten voneinander; alles ist sauber und zierlich gehalten, und
macht den Eindruck des geregelten Zusammenlebens einer zahlreichen, friedlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/80>, abgerufen am 29.06.2024.