Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.zonte ihrer Schule aus. Sie durften es allerdings wagen, une Frau zur Nur Dinge, die im Gesammtleben eines Volkes wurzeln, haben eine zonte ihrer Schule aus. Sie durften es allerdings wagen, une Frau zur Nur Dinge, die im Gesammtleben eines Volkes wurzeln, haben eine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104280"/> <p xml:id="ID_223" prev="#ID_222"> zonte ihrer Schule aus. Sie durften es allerdings wagen, une Frau zur<lb/> Heldin ihrer Dichtung zu machen, da die Cultur aus dem Kreise der philo-<lb/> sophirenden Hetäre endlich auch in das Gynäceum der ehrbaren Frau gedrungen<lb/> war. Aber sie versuchten eS nicht, diese Frau in ihrer neuen Lebensstellung<lb/> zu zeichnen. Sie erfanden für sie außerordentliche Schicksale und schilderten<lb/> das Außerordentlichste nicht, daß nämlich die Frau jetzt wirklich die gebildete<lb/> geistige Freundin des Mannes geworden war. Sie befreien sie aus dem lange<lb/> geschlossenen Gynäceum, aber nur um sie in die Rhetorenschule zu führen.<lb/> Die weiblichen Charaktere der griechischen Romane gehören weder in die Zei¬<lb/> ten der marathonischen Schlacht, noch in die Periode des Perikles, noch in<lb/> die der Sophisten selbst. Wie mit den Frauen, so verfuhr der Sophist auch<lb/> mit allen andern Elementen seiner Zeit. Immer der Wiederhall seiner Schule,<lb/> nirgend ein Klang aus dem Leben.</p><lb/> <p xml:id="ID_224" next="#ID_225"> Nur Dinge, die im Gesammtleben eines Volkes wurzeln, haben eine<lb/> Geschichte. Der griechische Roman hat keine Geschichte. Kaum entstanden<lb/> schleppte er eine Zeitlang sein eintöniges Dasein hin, indem er sich immer aus<lb/> sich selbst, niemals nach dem Leben copirte, niemals einen andern Inhalt er¬<lb/> griff. Er erlosch bald, nicht, weil es keine Griechen, sondern weil eS keine<lb/> Sophisten mehr gab; nicht, weil ihn das Volk nicht mehr liebte, sondern, weil<lb/> es ihn nie geliebt hatte. — Diese Dichtungsart, die eine beispiellose Entwick¬<lb/> lung unter den modernen Völkern durchlaufen hat, jetzt die Herrschaft über<lb/> die europäische Literatur anstrebt und noch eine lange Zukunft haben wirb,<lb/> hatte gar keine Bedeutung in Griechenland. Der schlechteste Romanschriftsteller<lb/> unserer Zeit, so gleichgiltig er auch gegen die Form sein mag, behandelt doch den<lb/> Inhalt, den Gegenstand noch mit einigem sachlichen Ernst. Dieser Ernst da-<lb/> tirt schon seit der Entstehung d^ö mittelalterlichen Romans. Aus der epischen<lb/> Sage geboren, trat sein Inhalt gleich mit dem Anspruch auf jene Achtung<lb/> hervor, die jeder das Interesse einer Nation fesselnde Stoff verlangt. Diese<lb/> Achtung blieb noch, als die Schriftsteller frei ersonnene Stoffe bearbeiteten,<lb/> und sie ist eS, die den mittelalterlichen und modernen Roman vor dem Schick¬<lb/> sal bewahrt hat, in bloße Formtändelei auszuarten. Er hat sich häufig in<lb/> unwürdige, aber selten in ganz nichtige Stoffe verloren. Wurzelnd im Geiste<lb/> der modernen Nationen mußte er eine Entwicklung und Geschichte haben, wie<lb/> jedes andere naturwüchsige Erzeugniß der Nation. In seiner Geschichte läßt<lb/> sich dasselbe Gesetz wahrnehmen, das die Entwicklung der modernen Nationen<lb/> beherrscht. Aus den Ketten des Herkommens und der Sitte, die der Einzelne<lb/> bewußtlos anerkannt, erhebt er sich zur freien Selbstbestimmung. An die Stelle<lb/> deö Allgemeinwillens tritt nicht die entfesselte Willkür des eignen Beliebens,<lb/> aber der Zwang der eignen Vernunft. So beugte sich der moderne Roman<lb/> anfangs bewußtlos dem Gebote der Sage, also der Phantasie deö ganzen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0079]
zonte ihrer Schule aus. Sie durften es allerdings wagen, une Frau zur
Heldin ihrer Dichtung zu machen, da die Cultur aus dem Kreise der philo-
sophirenden Hetäre endlich auch in das Gynäceum der ehrbaren Frau gedrungen
war. Aber sie versuchten eS nicht, diese Frau in ihrer neuen Lebensstellung
zu zeichnen. Sie erfanden für sie außerordentliche Schicksale und schilderten
das Außerordentlichste nicht, daß nämlich die Frau jetzt wirklich die gebildete
geistige Freundin des Mannes geworden war. Sie befreien sie aus dem lange
geschlossenen Gynäceum, aber nur um sie in die Rhetorenschule zu führen.
Die weiblichen Charaktere der griechischen Romane gehören weder in die Zei¬
ten der marathonischen Schlacht, noch in die Periode des Perikles, noch in
die der Sophisten selbst. Wie mit den Frauen, so verfuhr der Sophist auch
mit allen andern Elementen seiner Zeit. Immer der Wiederhall seiner Schule,
nirgend ein Klang aus dem Leben.
Nur Dinge, die im Gesammtleben eines Volkes wurzeln, haben eine
Geschichte. Der griechische Roman hat keine Geschichte. Kaum entstanden
schleppte er eine Zeitlang sein eintöniges Dasein hin, indem er sich immer aus
sich selbst, niemals nach dem Leben copirte, niemals einen andern Inhalt er¬
griff. Er erlosch bald, nicht, weil es keine Griechen, sondern weil eS keine
Sophisten mehr gab; nicht, weil ihn das Volk nicht mehr liebte, sondern, weil
es ihn nie geliebt hatte. — Diese Dichtungsart, die eine beispiellose Entwick¬
lung unter den modernen Völkern durchlaufen hat, jetzt die Herrschaft über
die europäische Literatur anstrebt und noch eine lange Zukunft haben wirb,
hatte gar keine Bedeutung in Griechenland. Der schlechteste Romanschriftsteller
unserer Zeit, so gleichgiltig er auch gegen die Form sein mag, behandelt doch den
Inhalt, den Gegenstand noch mit einigem sachlichen Ernst. Dieser Ernst da-
tirt schon seit der Entstehung d^ö mittelalterlichen Romans. Aus der epischen
Sage geboren, trat sein Inhalt gleich mit dem Anspruch auf jene Achtung
hervor, die jeder das Interesse einer Nation fesselnde Stoff verlangt. Diese
Achtung blieb noch, als die Schriftsteller frei ersonnene Stoffe bearbeiteten,
und sie ist eS, die den mittelalterlichen und modernen Roman vor dem Schick¬
sal bewahrt hat, in bloße Formtändelei auszuarten. Er hat sich häufig in
unwürdige, aber selten in ganz nichtige Stoffe verloren. Wurzelnd im Geiste
der modernen Nationen mußte er eine Entwicklung und Geschichte haben, wie
jedes andere naturwüchsige Erzeugniß der Nation. In seiner Geschichte läßt
sich dasselbe Gesetz wahrnehmen, das die Entwicklung der modernen Nationen
beherrscht. Aus den Ketten des Herkommens und der Sitte, die der Einzelne
bewußtlos anerkannt, erhebt er sich zur freien Selbstbestimmung. An die Stelle
deö Allgemeinwillens tritt nicht die entfesselte Willkür des eignen Beliebens,
aber der Zwang der eignen Vernunft. So beugte sich der moderne Roman
anfangs bewußtlos dem Gebote der Sage, also der Phantasie deö ganzen
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