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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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gens, und wird der eingeschossene Thaler mehr als einen einzigen Procentsatz
bringen können im Verhältniß zu der ungeheuern Vervielfältigung durch täg¬
liche Umsätze? Ein Credit-Mobilier ist aber in der That nichts, als der Gesammt-
millionär freilich nicht von einer Million armer Teufel, aber vieler tausende
von Besitzern kleiner Vermögen. Da steht er nun, und soll Geld verdienen,
die Unternehmer wollen sich nicht blamiren, die Verwaltungen nicht die schönen
Gehalte verlieren, mit den brillanten Versprechungen aus "industriellen und
andern Unternehmungen" bezahlt man keine Dividenden; also gehen wir hübsch
aus die Fondsbörse, kaufen und verkaufen Papierchen, machen in Gerüchten,
verkünden Dividenden nach dem Tagescourse der Papiere ^ die im Portefeuille
liegen, der freilich stündlich sich als Fata Morgana auflösen kann, und fahren
im Uebrigen fort, uns als Wohlthäter der Menschheit zu preisen. Auch dies
Geschäft bringt unter Umständen seine Zinsen ein. Das ist der Kern der
Sache, Hauffe, Baisse, Prämien, Differenzen. Report und Deport, das sind
die Zauberformeln, welche die Welt reich und glücklich machen sollen. Doch
von diesen schönen Dingen wollen wir unsere Leser ein anderes Mal unter¬
halten.




Alfred de Musset.

Zu frühzeitig hat (13. Mai -1837) der Tod der französischen Literatur einen
Dichter entrissen, der in Bezug auf die Größe seines Talents, wie man auch
über die Anwendung desselben denken mag, in den ersten Rang gehört. Leider
ist er zugleich vielleicht das schlimmste Beispiel von der ungesunden Richtung
der neuesten Poesie. Wenn E. Sue und Aehnliche ihr starkes, aber rohes
Talent dazu mißbrauchen, den gemeinsten Neigungen der Menge zu schmeicheln,
so empfindet man wol Mißbehagen, aber kein Bedauern; bei einem Dichter
dagegen von dem feinen Geschmack und dem edlen Jnstinct Alfred de Müssets
wird man .durch diese Verirrung gradezu erschreckt und fühlt sich zur Unter¬
suchung getrieben, ob die Schuld nicht in der That mehr den allgemeinen
Verhältnissen, als der Individualität aufzubürden ist. Ohnehin ist man all¬
gemein geneigt, bei einem Dichter das Große und Schöne aus der eignen
Natur, die Krankheit aus dem Zeitalter herzuleiten, und dies liebenswürdige
Bestreben wäre vollkommen gerechtfertigt, wenn es nicht zugleich ein Unrecht
gegen das Zeitalter enthielte. Das Zeitalter ist aber nicht ein abstracter Be¬
griff, sondern eS drückt die Summe unserer sittlichen Einrichtungen, unserer
Lebensgewohnheiten, der Neigungen, Wünsche und Ideale aus, die, je nach-


gens, und wird der eingeschossene Thaler mehr als einen einzigen Procentsatz
bringen können im Verhältniß zu der ungeheuern Vervielfältigung durch täg¬
liche Umsätze? Ein Credit-Mobilier ist aber in der That nichts, als der Gesammt-
millionär freilich nicht von einer Million armer Teufel, aber vieler tausende
von Besitzern kleiner Vermögen. Da steht er nun, und soll Geld verdienen,
die Unternehmer wollen sich nicht blamiren, die Verwaltungen nicht die schönen
Gehalte verlieren, mit den brillanten Versprechungen aus „industriellen und
andern Unternehmungen" bezahlt man keine Dividenden; also gehen wir hübsch
aus die Fondsbörse, kaufen und verkaufen Papierchen, machen in Gerüchten,
verkünden Dividenden nach dem Tagescourse der Papiere ^ die im Portefeuille
liegen, der freilich stündlich sich als Fata Morgana auflösen kann, und fahren
im Uebrigen fort, uns als Wohlthäter der Menschheit zu preisen. Auch dies
Geschäft bringt unter Umständen seine Zinsen ein. Das ist der Kern der
Sache, Hauffe, Baisse, Prämien, Differenzen. Report und Deport, das sind
die Zauberformeln, welche die Welt reich und glücklich machen sollen. Doch
von diesen schönen Dingen wollen wir unsere Leser ein anderes Mal unter¬
halten.




Alfred de Musset.

Zu frühzeitig hat (13. Mai -1837) der Tod der französischen Literatur einen
Dichter entrissen, der in Bezug auf die Größe seines Talents, wie man auch
über die Anwendung desselben denken mag, in den ersten Rang gehört. Leider
ist er zugleich vielleicht das schlimmste Beispiel von der ungesunden Richtung
der neuesten Poesie. Wenn E. Sue und Aehnliche ihr starkes, aber rohes
Talent dazu mißbrauchen, den gemeinsten Neigungen der Menge zu schmeicheln,
so empfindet man wol Mißbehagen, aber kein Bedauern; bei einem Dichter
dagegen von dem feinen Geschmack und dem edlen Jnstinct Alfred de Müssets
wird man .durch diese Verirrung gradezu erschreckt und fühlt sich zur Unter¬
suchung getrieben, ob die Schuld nicht in der That mehr den allgemeinen
Verhältnissen, als der Individualität aufzubürden ist. Ohnehin ist man all¬
gemein geneigt, bei einem Dichter das Große und Schöne aus der eignen
Natur, die Krankheit aus dem Zeitalter herzuleiten, und dies liebenswürdige
Bestreben wäre vollkommen gerechtfertigt, wenn es nicht zugleich ein Unrecht
gegen das Zeitalter enthielte. Das Zeitalter ist aber nicht ein abstracter Be¬
griff, sondern eS drückt die Summe unserer sittlichen Einrichtungen, unserer
Lebensgewohnheiten, der Neigungen, Wünsche und Ideale aus, die, je nach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/420>, abgerufen am 27.07.2024.