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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Die Handelsrechtconserenzen in Nürnberg.

Wenn in England eine Frage von allgemeinem Interesse verhandelt wird,
welcher Art dieselbe auch sein möge, so bietet man der Presse und dem Publi-
cum die größtmögliche Gelegenheit, sich darüber Auskunft zu verschaffen und
nach Kräften mit drein zu reden. Der Parlamentsausschuß, dem der betreffende
Gegenstand vielleicht vorliegt, vernimmt Zeugen und Sachverständige und ver¬
öffentlicht von Zeit zu Zeit die Aussagen in stenographischer Vollständigkeit.
Wer die Kunst des Aussragens lernen will, so daß der Ausgefragte nicht um¬
hin kann, seine wirkliche Meinung und alles, was er über irgend eine Sache
weiß, auszuplaudern, der studire ein solches Bündel eviciences. Ebenso ist es
dann mit den weitern Berathungen: es herrscht die größte Oeffentlichkeit von
Seiten der Berathenden und das unumwundenste Mitsprechen durch die Zeitun¬
gen. Man hat von diesem Verfahren auch noch keine üblen Folgen für Eng¬
land gespürt.

In Deutschland machen wir die Sache anders. Da wird von den ein¬
zelnen deutschen Staaten eine Handelsrechtconserenz niedergesetzt, deren Aus¬
gabe sich also auf einen Gegenstand beschränkt, an dem, wie wir zeigen werden,
das Publicum ein sehr großes, mindestens kein geringeres Interesse, als die
Regierungen hat, auf einen Gegenstand, der obendrein politisch so durchaus
ungefährlicher Natur ist, daß er kaum unverfänglicher gedacht werden kann.
Aber anstatt zu thun, was ihres Amtes ist, nämlich sich mit dem Publicum
und namentlich der Juristenwelt der einzelnen deutschen Staaten in Ein¬
vernehmen zu setzen, sie gewissermaßen zu Mithandelnden bei der ganzen Be¬
rathung zu machen, um etwaige bei aller Weisheit der Herren Conserenzmit-
gUeder jedenfalls denkbare Mängel oder Irrthümer noch rechtzeitig vermeiden
oder beseitigen zu können, werden die Thüren sorgfältig zugeschlossen und nur
einzelne Gerichtscollegien unter dem Siegel allerstrengster Verschwiegenheit zur
Lesung der gedruckten Protokolle zugelassen. Fragen wir, weshalb diese Aengst-
l'edlen, so antworten die officiösen Stimmen aus Baiern und aus Preußen,
das geschehe, damit die Abgeordneten nicht mißverstanden und also durch die
öffentliche Discussion nicht der gedeihliche Fortgang des Werkes gestört werde.
Wir wünschen nun allerdings sämmtlichen Conserenzmitgliedern die sicherste


Grenzboten II. 48S7. 26
Die Handelsrechtconserenzen in Nürnberg.

Wenn in England eine Frage von allgemeinem Interesse verhandelt wird,
welcher Art dieselbe auch sein möge, so bietet man der Presse und dem Publi-
cum die größtmögliche Gelegenheit, sich darüber Auskunft zu verschaffen und
nach Kräften mit drein zu reden. Der Parlamentsausschuß, dem der betreffende
Gegenstand vielleicht vorliegt, vernimmt Zeugen und Sachverständige und ver¬
öffentlicht von Zeit zu Zeit die Aussagen in stenographischer Vollständigkeit.
Wer die Kunst des Aussragens lernen will, so daß der Ausgefragte nicht um¬
hin kann, seine wirkliche Meinung und alles, was er über irgend eine Sache
weiß, auszuplaudern, der studire ein solches Bündel eviciences. Ebenso ist es
dann mit den weitern Berathungen: es herrscht die größte Oeffentlichkeit von
Seiten der Berathenden und das unumwundenste Mitsprechen durch die Zeitun¬
gen. Man hat von diesem Verfahren auch noch keine üblen Folgen für Eng¬
land gespürt.

In Deutschland machen wir die Sache anders. Da wird von den ein¬
zelnen deutschen Staaten eine Handelsrechtconserenz niedergesetzt, deren Aus¬
gabe sich also auf einen Gegenstand beschränkt, an dem, wie wir zeigen werden,
das Publicum ein sehr großes, mindestens kein geringeres Interesse, als die
Regierungen hat, auf einen Gegenstand, der obendrein politisch so durchaus
ungefährlicher Natur ist, daß er kaum unverfänglicher gedacht werden kann.
Aber anstatt zu thun, was ihres Amtes ist, nämlich sich mit dem Publicum
und namentlich der Juristenwelt der einzelnen deutschen Staaten in Ein¬
vernehmen zu setzen, sie gewissermaßen zu Mithandelnden bei der ganzen Be¬
rathung zu machen, um etwaige bei aller Weisheit der Herren Conserenzmit-
gUeder jedenfalls denkbare Mängel oder Irrthümer noch rechtzeitig vermeiden
oder beseitigen zu können, werden die Thüren sorgfältig zugeschlossen und nur
einzelne Gerichtscollegien unter dem Siegel allerstrengster Verschwiegenheit zur
Lesung der gedruckten Protokolle zugelassen. Fragen wir, weshalb diese Aengst-
l'edlen, so antworten die officiösen Stimmen aus Baiern und aus Preußen,
das geschehe, damit die Abgeordneten nicht mißverstanden und also durch die
öffentliche Discussion nicht der gedeihliche Fortgang des Werkes gestört werde.
Wir wünschen nun allerdings sämmtlichen Conserenzmitgliedern die sicherste


Grenzboten II. 48S7. 26
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[0209] Die Handelsrechtconserenzen in Nürnberg. Wenn in England eine Frage von allgemeinem Interesse verhandelt wird, welcher Art dieselbe auch sein möge, so bietet man der Presse und dem Publi- cum die größtmögliche Gelegenheit, sich darüber Auskunft zu verschaffen und nach Kräften mit drein zu reden. Der Parlamentsausschuß, dem der betreffende Gegenstand vielleicht vorliegt, vernimmt Zeugen und Sachverständige und ver¬ öffentlicht von Zeit zu Zeit die Aussagen in stenographischer Vollständigkeit. Wer die Kunst des Aussragens lernen will, so daß der Ausgefragte nicht um¬ hin kann, seine wirkliche Meinung und alles, was er über irgend eine Sache weiß, auszuplaudern, der studire ein solches Bündel eviciences. Ebenso ist es dann mit den weitern Berathungen: es herrscht die größte Oeffentlichkeit von Seiten der Berathenden und das unumwundenste Mitsprechen durch die Zeitun¬ gen. Man hat von diesem Verfahren auch noch keine üblen Folgen für Eng¬ land gespürt. In Deutschland machen wir die Sache anders. Da wird von den ein¬ zelnen deutschen Staaten eine Handelsrechtconserenz niedergesetzt, deren Aus¬ gabe sich also auf einen Gegenstand beschränkt, an dem, wie wir zeigen werden, das Publicum ein sehr großes, mindestens kein geringeres Interesse, als die Regierungen hat, auf einen Gegenstand, der obendrein politisch so durchaus ungefährlicher Natur ist, daß er kaum unverfänglicher gedacht werden kann. Aber anstatt zu thun, was ihres Amtes ist, nämlich sich mit dem Publicum und namentlich der Juristenwelt der einzelnen deutschen Staaten in Ein¬ vernehmen zu setzen, sie gewissermaßen zu Mithandelnden bei der ganzen Be¬ rathung zu machen, um etwaige bei aller Weisheit der Herren Conserenzmit- gUeder jedenfalls denkbare Mängel oder Irrthümer noch rechtzeitig vermeiden oder beseitigen zu können, werden die Thüren sorgfältig zugeschlossen und nur einzelne Gerichtscollegien unter dem Siegel allerstrengster Verschwiegenheit zur Lesung der gedruckten Protokolle zugelassen. Fragen wir, weshalb diese Aengst- l'edlen, so antworten die officiösen Stimmen aus Baiern und aus Preußen, das geschehe, damit die Abgeordneten nicht mißverstanden und also durch die öffentliche Discussion nicht der gedeihliche Fortgang des Werkes gestört werde. Wir wünschen nun allerdings sämmtlichen Conserenzmitgliedern die sicherste Grenzboten II. 48S7. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/209>, abgerufen am 27.07.2024.