Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und behaglichste Stimmung, damit keinerlei Alterirung ihrer Gemüthsruhe sie
davon abhalte, mit äußerster Schärfe die Paragraphen deS neuen Handels¬
rechts festzusetzen, halten aber auf der anderen Seite dafür, daß sie, die in ih¬
rer Mehrzahl Juristen sind und als solche zum Theil schon hohe richterliche
Functionen ausgeübt haben, zu besonnen und kaltblütig sein werden, um über
gerechten Tadel anderes als Freude zu empfinden, und über ungerechten sich nicht
hinwegzusetzen. Sei dem aber wie ihm wolle, schwerlich dürsten die Herren
auch über den ungerechtesten Tadel in so tiefen Kummer versinken, um dadurch
arbeitsunfähig zu werden. Wir meinen aber auch, daß die sämmtlichen Her¬
ren klar genug zu denken und zu sprechen im Stande sein werden , um nicht
leicht einem Mißverständniß ihrer Ansichten und Motive ausgesetzt zu sein.
Klarer und präciser alö die Fassungsweise der Diplomaten wird die ihre ganz
gewiß sein, und doch scheuen jene so wenig alle möglichen Mißverständnisse
durch das Publicum, daß fortwährend die gewichtigsten diplomatischen Acten¬
stücke, wenn sie kaum aus den Kanzleien erpedirt sind, an die Oeffentlichkeit
gelangen. Die hohe europäische Diplomatie arbeitet bei offenen Fenstern; eine
deutsche Handelsrechtconferenz verstopft sogar die Schlüssellöcher, damit ihre
Geheimnisse nur ja nicht ausgeplaudert werden. Sonderbarer Gegensatz!

Die Sache liegt zudem so, daß der Entwurf, auf dessen Grundlage man
in Nürnberg berathet, nicht einmal vor Beginn der Verhandlungen zur Oeffent¬
lichkeit gelangt ist. Ursprünglich war es nur ein preußischer Entwurf, der
durch die Hinzuziehung preußischer Sachverständiger allerdings bedeutend ver¬
ändert worden ist; wäre es aber nicht zweckmäßig gewesen, ehe man daran ging,
nun auch ein deutsches Handelsrecht zu machen, die Sachverständigen der
andern deutschen, namentlich der Nvrdseestaaten zu hören? Bremen, Lübeck,
Hamburg, selbst Hannover, Oldenburg und Mecklenburg haben am Handel ein
so vorwiegendes Interesse, eS ist in ihnen eine so umfassende Kenntniß aller
Handelsbeziehungen zu finden, daß vernünftigerweise ein solches vorheriges
Einvernehmen gar nicht hätte ausgeschlossen werden dürfen. In England, in
Nordamerika, in Holland, Belgien, selbst in Frankreich hätte man ganz gewiß
in solcher Weise verfahren. Der preußische Entwurf ist aber auch specifisch
preußisch d. l). voll von Beamtenweisheit und staatlicher Reglementirerei, voll
von der Lust, alles Einzelne voraussehen und vorweg entscheiden zu wollen.
Das sind Fehler, die grade in den Handelsstaaten an der Nordsee sehr stark
empfunden werden, so stark, daß sie eigentlich eine Abneigung gegen den ganzen
Entwurf erzeugt haben. Gewiß wäre das vermieden worden, hätte man sie
vorher gehört, und gewiß würden auch die norddeutschen Abgeordneten mit
besserm Erfolg auf die Beseitigung dieses Grundfehlers hinarbeiten können, wenn
größere juristische und Handclskreise sie so stützen könnten, wie jetzt nur sehr
vereinzelte Stimmen es unter dem Druck des auf den Berathungen lastenden


und behaglichste Stimmung, damit keinerlei Alterirung ihrer Gemüthsruhe sie
davon abhalte, mit äußerster Schärfe die Paragraphen deS neuen Handels¬
rechts festzusetzen, halten aber auf der anderen Seite dafür, daß sie, die in ih¬
rer Mehrzahl Juristen sind und als solche zum Theil schon hohe richterliche
Functionen ausgeübt haben, zu besonnen und kaltblütig sein werden, um über
gerechten Tadel anderes als Freude zu empfinden, und über ungerechten sich nicht
hinwegzusetzen. Sei dem aber wie ihm wolle, schwerlich dürsten die Herren
auch über den ungerechtesten Tadel in so tiefen Kummer versinken, um dadurch
arbeitsunfähig zu werden. Wir meinen aber auch, daß die sämmtlichen Her¬
ren klar genug zu denken und zu sprechen im Stande sein werden , um nicht
leicht einem Mißverständniß ihrer Ansichten und Motive ausgesetzt zu sein.
Klarer und präciser alö die Fassungsweise der Diplomaten wird die ihre ganz
gewiß sein, und doch scheuen jene so wenig alle möglichen Mißverständnisse
durch das Publicum, daß fortwährend die gewichtigsten diplomatischen Acten¬
stücke, wenn sie kaum aus den Kanzleien erpedirt sind, an die Oeffentlichkeit
gelangen. Die hohe europäische Diplomatie arbeitet bei offenen Fenstern; eine
deutsche Handelsrechtconferenz verstopft sogar die Schlüssellöcher, damit ihre
Geheimnisse nur ja nicht ausgeplaudert werden. Sonderbarer Gegensatz!

Die Sache liegt zudem so, daß der Entwurf, auf dessen Grundlage man
in Nürnberg berathet, nicht einmal vor Beginn der Verhandlungen zur Oeffent¬
lichkeit gelangt ist. Ursprünglich war es nur ein preußischer Entwurf, der
durch die Hinzuziehung preußischer Sachverständiger allerdings bedeutend ver¬
ändert worden ist; wäre es aber nicht zweckmäßig gewesen, ehe man daran ging,
nun auch ein deutsches Handelsrecht zu machen, die Sachverständigen der
andern deutschen, namentlich der Nvrdseestaaten zu hören? Bremen, Lübeck,
Hamburg, selbst Hannover, Oldenburg und Mecklenburg haben am Handel ein
so vorwiegendes Interesse, eS ist in ihnen eine so umfassende Kenntniß aller
Handelsbeziehungen zu finden, daß vernünftigerweise ein solches vorheriges
Einvernehmen gar nicht hätte ausgeschlossen werden dürfen. In England, in
Nordamerika, in Holland, Belgien, selbst in Frankreich hätte man ganz gewiß
in solcher Weise verfahren. Der preußische Entwurf ist aber auch specifisch
preußisch d. l). voll von Beamtenweisheit und staatlicher Reglementirerei, voll
von der Lust, alles Einzelne voraussehen und vorweg entscheiden zu wollen.
Das sind Fehler, die grade in den Handelsstaaten an der Nordsee sehr stark
empfunden werden, so stark, daß sie eigentlich eine Abneigung gegen den ganzen
Entwurf erzeugt haben. Gewiß wäre das vermieden worden, hätte man sie
vorher gehört, und gewiß würden auch die norddeutschen Abgeordneten mit
besserm Erfolg auf die Beseitigung dieses Grundfehlers hinarbeiten können, wenn
größere juristische und Handclskreise sie so stützen könnten, wie jetzt nur sehr
vereinzelte Stimmen es unter dem Druck des auf den Berathungen lastenden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103877"/>
          <p xml:id="ID_629" prev="#ID_628"> und behaglichste Stimmung, damit keinerlei Alterirung ihrer Gemüthsruhe sie<lb/>
davon abhalte, mit äußerster Schärfe die Paragraphen deS neuen Handels¬<lb/>
rechts festzusetzen, halten aber auf der anderen Seite dafür, daß sie, die in ih¬<lb/>
rer Mehrzahl Juristen sind und als solche zum Theil schon hohe richterliche<lb/>
Functionen ausgeübt haben, zu besonnen und kaltblütig sein werden, um über<lb/>
gerechten Tadel anderes als Freude zu empfinden, und über ungerechten sich nicht<lb/>
hinwegzusetzen. Sei dem aber wie ihm wolle, schwerlich dürsten die Herren<lb/>
auch über den ungerechtesten Tadel in so tiefen Kummer versinken, um dadurch<lb/>
arbeitsunfähig zu werden. Wir meinen aber auch, daß die sämmtlichen Her¬<lb/>
ren klar genug zu denken und zu sprechen im Stande sein werden , um nicht<lb/>
leicht einem Mißverständniß ihrer Ansichten und Motive ausgesetzt zu sein.<lb/>
Klarer und präciser alö die Fassungsweise der Diplomaten wird die ihre ganz<lb/>
gewiß sein, und doch scheuen jene so wenig alle möglichen Mißverständnisse<lb/>
durch das Publicum, daß fortwährend die gewichtigsten diplomatischen Acten¬<lb/>
stücke, wenn sie kaum aus den Kanzleien erpedirt sind, an die Oeffentlichkeit<lb/>
gelangen. Die hohe europäische Diplomatie arbeitet bei offenen Fenstern; eine<lb/>
deutsche Handelsrechtconferenz verstopft sogar die Schlüssellöcher, damit ihre<lb/>
Geheimnisse nur ja nicht ausgeplaudert werden.  Sonderbarer Gegensatz!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_630" next="#ID_631"> Die Sache liegt zudem so, daß der Entwurf, auf dessen Grundlage man<lb/>
in Nürnberg berathet, nicht einmal vor Beginn der Verhandlungen zur Oeffent¬<lb/>
lichkeit gelangt ist. Ursprünglich war es nur ein preußischer Entwurf, der<lb/>
durch die Hinzuziehung preußischer Sachverständiger allerdings bedeutend ver¬<lb/>
ändert worden ist; wäre es aber nicht zweckmäßig gewesen, ehe man daran ging,<lb/>
nun auch ein deutsches Handelsrecht zu machen, die Sachverständigen der<lb/>
andern deutschen, namentlich der Nvrdseestaaten zu hören? Bremen, Lübeck,<lb/>
Hamburg, selbst Hannover, Oldenburg und Mecklenburg haben am Handel ein<lb/>
so vorwiegendes Interesse, eS ist in ihnen eine so umfassende Kenntniß aller<lb/>
Handelsbeziehungen zu finden, daß vernünftigerweise ein solches vorheriges<lb/>
Einvernehmen gar nicht hätte ausgeschlossen werden dürfen. In England, in<lb/>
Nordamerika, in Holland, Belgien, selbst in Frankreich hätte man ganz gewiß<lb/>
in solcher Weise verfahren. Der preußische Entwurf ist aber auch specifisch<lb/>
preußisch d. l). voll von Beamtenweisheit und staatlicher Reglementirerei, voll<lb/>
von der Lust, alles Einzelne voraussehen und vorweg entscheiden zu wollen.<lb/>
Das sind Fehler, die grade in den Handelsstaaten an der Nordsee sehr stark<lb/>
empfunden werden, so stark, daß sie eigentlich eine Abneigung gegen den ganzen<lb/>
Entwurf erzeugt haben. Gewiß wäre das vermieden worden, hätte man sie<lb/>
vorher gehört, und gewiß würden auch die norddeutschen Abgeordneten mit<lb/>
besserm Erfolg auf die Beseitigung dieses Grundfehlers hinarbeiten können, wenn<lb/>
größere juristische und Handclskreise sie so stützen könnten, wie jetzt nur sehr<lb/>
vereinzelte Stimmen es unter dem Druck des auf den Berathungen lastenden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0210] und behaglichste Stimmung, damit keinerlei Alterirung ihrer Gemüthsruhe sie davon abhalte, mit äußerster Schärfe die Paragraphen deS neuen Handels¬ rechts festzusetzen, halten aber auf der anderen Seite dafür, daß sie, die in ih¬ rer Mehrzahl Juristen sind und als solche zum Theil schon hohe richterliche Functionen ausgeübt haben, zu besonnen und kaltblütig sein werden, um über gerechten Tadel anderes als Freude zu empfinden, und über ungerechten sich nicht hinwegzusetzen. Sei dem aber wie ihm wolle, schwerlich dürsten die Herren auch über den ungerechtesten Tadel in so tiefen Kummer versinken, um dadurch arbeitsunfähig zu werden. Wir meinen aber auch, daß die sämmtlichen Her¬ ren klar genug zu denken und zu sprechen im Stande sein werden , um nicht leicht einem Mißverständniß ihrer Ansichten und Motive ausgesetzt zu sein. Klarer und präciser alö die Fassungsweise der Diplomaten wird die ihre ganz gewiß sein, und doch scheuen jene so wenig alle möglichen Mißverständnisse durch das Publicum, daß fortwährend die gewichtigsten diplomatischen Acten¬ stücke, wenn sie kaum aus den Kanzleien erpedirt sind, an die Oeffentlichkeit gelangen. Die hohe europäische Diplomatie arbeitet bei offenen Fenstern; eine deutsche Handelsrechtconferenz verstopft sogar die Schlüssellöcher, damit ihre Geheimnisse nur ja nicht ausgeplaudert werden. Sonderbarer Gegensatz! Die Sache liegt zudem so, daß der Entwurf, auf dessen Grundlage man in Nürnberg berathet, nicht einmal vor Beginn der Verhandlungen zur Oeffent¬ lichkeit gelangt ist. Ursprünglich war es nur ein preußischer Entwurf, der durch die Hinzuziehung preußischer Sachverständiger allerdings bedeutend ver¬ ändert worden ist; wäre es aber nicht zweckmäßig gewesen, ehe man daran ging, nun auch ein deutsches Handelsrecht zu machen, die Sachverständigen der andern deutschen, namentlich der Nvrdseestaaten zu hören? Bremen, Lübeck, Hamburg, selbst Hannover, Oldenburg und Mecklenburg haben am Handel ein so vorwiegendes Interesse, eS ist in ihnen eine so umfassende Kenntniß aller Handelsbeziehungen zu finden, daß vernünftigerweise ein solches vorheriges Einvernehmen gar nicht hätte ausgeschlossen werden dürfen. In England, in Nordamerika, in Holland, Belgien, selbst in Frankreich hätte man ganz gewiß in solcher Weise verfahren. Der preußische Entwurf ist aber auch specifisch preußisch d. l). voll von Beamtenweisheit und staatlicher Reglementirerei, voll von der Lust, alles Einzelne voraussehen und vorweg entscheiden zu wollen. Das sind Fehler, die grade in den Handelsstaaten an der Nordsee sehr stark empfunden werden, so stark, daß sie eigentlich eine Abneigung gegen den ganzen Entwurf erzeugt haben. Gewiß wäre das vermieden worden, hätte man sie vorher gehört, und gewiß würden auch die norddeutschen Abgeordneten mit besserm Erfolg auf die Beseitigung dieses Grundfehlers hinarbeiten können, wenn größere juristische und Handclskreise sie so stützen könnten, wie jetzt nur sehr vereinzelte Stimmen es unter dem Druck des auf den Berathungen lastenden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/210
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/210>, abgerufen am 01.09.2024.