Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.Die Gebrüder ClMier und das Theater während der Revolution. Bei jeder größern Volkserhebung hat man die Ueberzeugung, es werde Bei der französischen Revolution von 1789 kam noch hinzu, daß sie bald So wurde auch bei uns im Jahre 1848 der Gang der bisherigen Lite¬ Die Gebrüder ClMier und das Theater während der Revolution. Bei jeder größern Volkserhebung hat man die Ueberzeugung, es werde Bei der französischen Revolution von 1789 kam noch hinzu, daß sie bald So wurde auch bei uns im Jahre 1848 der Gang der bisherigen Lite¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0183" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103850"/> </div> <div n="1"> <head> Die Gebrüder ClMier und das Theater während der<lb/> Revolution.</head><lb/> <p xml:id="ID_550"> Bei jeder größern Volkserhebung hat man die Ueberzeugung, es werde<lb/> auch für die Kunst und Literatur eine neue Aera beginnen. Man wird darin<lb/> jedesmal getäuscht, und bei reiflicher Ueberlegung begreift man wohl, daß eine<lb/> Stockung derjenigen Geisteskräfte, die sich nicht unmittelbar auf das wirkliche<lb/> Leben richten, in der Natur der Sache liegt. Während der Revolution ist eS<lb/> nur ein Gedanke, der alle beschäftigt, nur eine Leidenschaft, die jedes Herz<lb/> mit sich fortreißt, und wer so viel Gemüthsruhe bewahrt, sich dem Fieber der<lb/> allgemeinen Aufregung zu entziehen, wirb gewiß auf seine Zeitgenossen keinen<lb/> Einfluß ausüben. Das künstlerische Schaffen steht aber in der engsten Wechsel¬<lb/> wirkung mit den Empfindungen des Volks, und wo diese dem Dichter nicht<lb/> hilfreich entgegenkommen, wird er sich vergebens nach einer Eingebung von<lb/> anderswoher umsehen. Auch wenn der Sturm nachgelassen hat, bedarf eS<lb/> noch einer geraumen Zeit, bevor die Flut der öffentlichen Meinung sich wieder<lb/> >n die alten Formen findet.</p><lb/> <p xml:id="ID_551"> Bei der französischen Revolution von 1789 kam noch hinzu, daß sie bald<lb/> Nach ihrem Beginn zum Despotismus führte, zuerst zum Despotismus des<lb/> Pöbels, dann zum militärischen Despotismus. Die alte Regierung war nur<lb/> dem Anschein nach despotisch gewesen. Zwar unterdrückte die Censur in<lb/> Frankreich jede mißliebige Aeußerung, aber nichts hinderte den Schriftsteller,<lb/> seine Werke außerhalb des Landes drucken zu lassen, wenn er einige Wochen<lb/> Bastille und ähnliche Unbequemlichkeiten nicht scheute, und der gesellschaftliche<lb/> Ton war so ungebunden als möglich. Von 1790 an war es unbequemer,<lb/> etwas zu schreiben oder auch nur zu reden, was dem neuen Souverän miß-<lb/> stel; wenn man der Laterne entging, so war man in Gefahr, der Guillotine<lb/> !U verfallen, und in den Zeiten des Schreckensregiments saß beinahe der<lb/> größte Theil aller Talente in den Gefängnissen. Shakspeare, der mit seinem<lb/> wunderbaren Jnstinct fast alle Ereignisse, deo Zukunft prophetisch angedeutet<lb/> Hat, schildert in seinem Jack Kate die neusranzöstsche Demagogie vortrefflich.<lb/> Wer sich durch die Lese- und Schreibkunst über seine Mitmenschen erhebt, ist<lb/> ein Aristokrat und muß geköpft werden. Es ist nicht blos die äußere Furcht,<lb/> die in solchen Augenblicken die Gemüther niederdrückt. Der cynische Ton der<lb/> herrschenden Masse übt eine ansteckende Wirkung aus, selbst auf die Gegner,<lb/> und von der Freiheit deö Gemüths, die zum Schaffen nothwendig ist, bleibt<lb/> keine Spur zurück.</p><lb/> <p xml:id="ID_552" next="#ID_553"> So wurde auch bei uns im Jahre 1848 der Gang der bisherigen Lite¬<lb/> ratur plötzlich unterbrochen, sogar die politische Lyrik, die doch mit dem neuen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0183]
Die Gebrüder ClMier und das Theater während der
Revolution.
Bei jeder größern Volkserhebung hat man die Ueberzeugung, es werde
auch für die Kunst und Literatur eine neue Aera beginnen. Man wird darin
jedesmal getäuscht, und bei reiflicher Ueberlegung begreift man wohl, daß eine
Stockung derjenigen Geisteskräfte, die sich nicht unmittelbar auf das wirkliche
Leben richten, in der Natur der Sache liegt. Während der Revolution ist eS
nur ein Gedanke, der alle beschäftigt, nur eine Leidenschaft, die jedes Herz
mit sich fortreißt, und wer so viel Gemüthsruhe bewahrt, sich dem Fieber der
allgemeinen Aufregung zu entziehen, wirb gewiß auf seine Zeitgenossen keinen
Einfluß ausüben. Das künstlerische Schaffen steht aber in der engsten Wechsel¬
wirkung mit den Empfindungen des Volks, und wo diese dem Dichter nicht
hilfreich entgegenkommen, wird er sich vergebens nach einer Eingebung von
anderswoher umsehen. Auch wenn der Sturm nachgelassen hat, bedarf eS
noch einer geraumen Zeit, bevor die Flut der öffentlichen Meinung sich wieder
>n die alten Formen findet.
Bei der französischen Revolution von 1789 kam noch hinzu, daß sie bald
Nach ihrem Beginn zum Despotismus führte, zuerst zum Despotismus des
Pöbels, dann zum militärischen Despotismus. Die alte Regierung war nur
dem Anschein nach despotisch gewesen. Zwar unterdrückte die Censur in
Frankreich jede mißliebige Aeußerung, aber nichts hinderte den Schriftsteller,
seine Werke außerhalb des Landes drucken zu lassen, wenn er einige Wochen
Bastille und ähnliche Unbequemlichkeiten nicht scheute, und der gesellschaftliche
Ton war so ungebunden als möglich. Von 1790 an war es unbequemer,
etwas zu schreiben oder auch nur zu reden, was dem neuen Souverän miß-
stel; wenn man der Laterne entging, so war man in Gefahr, der Guillotine
!U verfallen, und in den Zeiten des Schreckensregiments saß beinahe der
größte Theil aller Talente in den Gefängnissen. Shakspeare, der mit seinem
wunderbaren Jnstinct fast alle Ereignisse, deo Zukunft prophetisch angedeutet
Hat, schildert in seinem Jack Kate die neusranzöstsche Demagogie vortrefflich.
Wer sich durch die Lese- und Schreibkunst über seine Mitmenschen erhebt, ist
ein Aristokrat und muß geköpft werden. Es ist nicht blos die äußere Furcht,
die in solchen Augenblicken die Gemüther niederdrückt. Der cynische Ton der
herrschenden Masse übt eine ansteckende Wirkung aus, selbst auf die Gegner,
und von der Freiheit deö Gemüths, die zum Schaffen nothwendig ist, bleibt
keine Spur zurück.
So wurde auch bei uns im Jahre 1848 der Gang der bisherigen Lite¬
ratur plötzlich unterbrochen, sogar die politische Lyrik, die doch mit dem neuen
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