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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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wenn sie liebt. Aber zweierlei wird ihr sehr schwer möglich. Sie kann schwer¬
lich die zweite sein in der Ehe; schwerlich eine Gefährtin, deren Glück und
Stolz sein soll, die Vertraute der Gedanken und Ideale eines andern zu
werden, und mit ihrer Seele an dem Stamm seines Lebens feftznranken, denn
ihr Geist und ihr Idealismus sind sehr selbstständig und anspruchsvoll aus¬
gebildet, sie ist schneller, dreister und eigner in Urtheil, Empfindung und Träu¬
men, als sonst ein Weib. Und ferner noch eins kann sie schwerlich, wenn sie
eine wahre Künstlerin ist. Sei sie noch so gut und noch so pflichtvoll, sie
kann nicht sich und nicht ihrer Umgebung verbergen, daß das beste und höchste
Leben ihrer Seele den Geistern der Kunst verfallen ist, und daß der Drang
durch Ton und Geberde zu gestalten das innerste Bedürfniß ihrer idealen
Natur ist.

Und dies Höchste, Schönste soll sie entbehren, ohne das Gefühl des Be¬
dauerns, ohne innerlich kleiner, schwächer, ärmer zu werden! -- DaS wird
nur sehr selten möglich sein.

Wol gönnt die darstellende Kunst dem Menschenleben, das sich ihr weiht,
Glanz und Schmuck, deren jedes andere entbehrt, aber wer dieser Kunst in
schnellem Entschluß den Rücken wendet, und seis in dem besten Wollen, der hüte
sich wohl. Leicht verwandeln sich die lachenden Genien in finstere Dämonen, die
alle Gefühle, die der Sterbliche einst im freien Spiel für andere so schön zu
schildern wußte, jetzt ihm selbst in das eigne ruhelose Herz senken, unauf-
Bils. hörlich, in fürchterlichem Wechsel.




-- Seit dem neuen Jahre befinden wir uns hier milde" in
der Epoche der neuen Bücher und der Pantomimen. Von ersteren bringt jeder
Verleger mindestens sein Dutzend auf den Markt; von den Pantomimen jedes Thea¬
ter blos eine, führt aber diese eine bis kurz vor Ostern jeden Abend ans, voraus¬
gesetzt daß sie possierlich genug ist. um so lange Neugierige anzulocken. Das sind
Spectakel. wie man sie in Deutschland, wenn ich nicht irre, nirgend mehr sieht.
Sie könnten bei uns auch heutzutage schwerlich gedeihen. Denn erstens kostet die
Herrichtung einer solchen Pantomime ein Heidengeld, und zweitens fehlt uns der
kindische Sinn, den sich das englische Volk, -- wahrscheinlich infolge seiner insu-
larischen Abgeschlossenheit -- trotz seiner hohen Cultur zu erhalten gewußt hat.
Ich sagte kindisch, nicht kindlich; denn kindlich können auch wir Deutsche sei";
in dieser Tugend nehmen wir es noch mit allen Völkern der Erde auf; aber lin-


wenn sie liebt. Aber zweierlei wird ihr sehr schwer möglich. Sie kann schwer¬
lich die zweite sein in der Ehe; schwerlich eine Gefährtin, deren Glück und
Stolz sein soll, die Vertraute der Gedanken und Ideale eines andern zu
werden, und mit ihrer Seele an dem Stamm seines Lebens feftznranken, denn
ihr Geist und ihr Idealismus sind sehr selbstständig und anspruchsvoll aus¬
gebildet, sie ist schneller, dreister und eigner in Urtheil, Empfindung und Träu¬
men, als sonst ein Weib. Und ferner noch eins kann sie schwerlich, wenn sie
eine wahre Künstlerin ist. Sei sie noch so gut und noch so pflichtvoll, sie
kann nicht sich und nicht ihrer Umgebung verbergen, daß das beste und höchste
Leben ihrer Seele den Geistern der Kunst verfallen ist, und daß der Drang
durch Ton und Geberde zu gestalten das innerste Bedürfniß ihrer idealen
Natur ist.

Und dies Höchste, Schönste soll sie entbehren, ohne das Gefühl des Be¬
dauerns, ohne innerlich kleiner, schwächer, ärmer zu werden! — DaS wird
nur sehr selten möglich sein.

Wol gönnt die darstellende Kunst dem Menschenleben, das sich ihr weiht,
Glanz und Schmuck, deren jedes andere entbehrt, aber wer dieser Kunst in
schnellem Entschluß den Rücken wendet, und seis in dem besten Wollen, der hüte
sich wohl. Leicht verwandeln sich die lachenden Genien in finstere Dämonen, die
alle Gefühle, die der Sterbliche einst im freien Spiel für andere so schön zu
schildern wußte, jetzt ihm selbst in das eigne ruhelose Herz senken, unauf-
Bils. hörlich, in fürchterlichem Wechsel.




— Seit dem neuen Jahre befinden wir uns hier milde» in
der Epoche der neuen Bücher und der Pantomimen. Von ersteren bringt jeder
Verleger mindestens sein Dutzend auf den Markt; von den Pantomimen jedes Thea¬
ter blos eine, führt aber diese eine bis kurz vor Ostern jeden Abend ans, voraus¬
gesetzt daß sie possierlich genug ist. um so lange Neugierige anzulocken. Das sind
Spectakel. wie man sie in Deutschland, wenn ich nicht irre, nirgend mehr sieht.
Sie könnten bei uns auch heutzutage schwerlich gedeihen. Denn erstens kostet die
Herrichtung einer solchen Pantomime ein Heidengeld, und zweitens fehlt uns der
kindische Sinn, den sich das englische Volk, — wahrscheinlich infolge seiner insu-
larischen Abgeschlossenheit — trotz seiner hohen Cultur zu erhalten gewußt hat.
Ich sagte kindisch, nicht kindlich; denn kindlich können auch wir Deutsche sei»;
in dieser Tugend nehmen wir es noch mit allen Völkern der Erde auf; aber lin-


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[0356] wenn sie liebt. Aber zweierlei wird ihr sehr schwer möglich. Sie kann schwer¬ lich die zweite sein in der Ehe; schwerlich eine Gefährtin, deren Glück und Stolz sein soll, die Vertraute der Gedanken und Ideale eines andern zu werden, und mit ihrer Seele an dem Stamm seines Lebens feftznranken, denn ihr Geist und ihr Idealismus sind sehr selbstständig und anspruchsvoll aus¬ gebildet, sie ist schneller, dreister und eigner in Urtheil, Empfindung und Träu¬ men, als sonst ein Weib. Und ferner noch eins kann sie schwerlich, wenn sie eine wahre Künstlerin ist. Sei sie noch so gut und noch so pflichtvoll, sie kann nicht sich und nicht ihrer Umgebung verbergen, daß das beste und höchste Leben ihrer Seele den Geistern der Kunst verfallen ist, und daß der Drang durch Ton und Geberde zu gestalten das innerste Bedürfniß ihrer idealen Natur ist. Und dies Höchste, Schönste soll sie entbehren, ohne das Gefühl des Be¬ dauerns, ohne innerlich kleiner, schwächer, ärmer zu werden! — DaS wird nur sehr selten möglich sein. Wol gönnt die darstellende Kunst dem Menschenleben, das sich ihr weiht, Glanz und Schmuck, deren jedes andere entbehrt, aber wer dieser Kunst in schnellem Entschluß den Rücken wendet, und seis in dem besten Wollen, der hüte sich wohl. Leicht verwandeln sich die lachenden Genien in finstere Dämonen, die alle Gefühle, die der Sterbliche einst im freien Spiel für andere so schön zu schildern wußte, jetzt ihm selbst in das eigne ruhelose Herz senken, unauf- Bils. hörlich, in fürchterlichem Wechsel. — Seit dem neuen Jahre befinden wir uns hier milde» in der Epoche der neuen Bücher und der Pantomimen. Von ersteren bringt jeder Verleger mindestens sein Dutzend auf den Markt; von den Pantomimen jedes Thea¬ ter blos eine, führt aber diese eine bis kurz vor Ostern jeden Abend ans, voraus¬ gesetzt daß sie possierlich genug ist. um so lange Neugierige anzulocken. Das sind Spectakel. wie man sie in Deutschland, wenn ich nicht irre, nirgend mehr sieht. Sie könnten bei uns auch heutzutage schwerlich gedeihen. Denn erstens kostet die Herrichtung einer solchen Pantomime ein Heidengeld, und zweitens fehlt uns der kindische Sinn, den sich das englische Volk, — wahrscheinlich infolge seiner insu- larischen Abgeschlossenheit — trotz seiner hohen Cultur zu erhalten gewußt hat. Ich sagte kindisch, nicht kindlich; denn kindlich können auch wir Deutsche sei»; in dieser Tugend nehmen wir es noch mit allen Völkern der Erde auf; aber lin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/356>, abgerufen am 21.12.2024.