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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Musterung römischer Bildhauerateliers.

"In Rom wurde kein Stein mehr angesehen, wenn er nicht gestaltet ist,"
schrieb Goethe an Knebel, als er, dem Bann der ewigen Stadt entflohen, in
Mailand wieder zum Glimmerschiefer und krystallischen Feldspath deS Pater
Pini zurückgekehrt war.

Man hat in Rom nun einmal nicht die Macht, sich der Kunst und ihren
Zauberkreisen zu entziehen, und fühlt doch deutlich, wenn man wieder Cam-
pagnaluft athmete, oder gar sich im Gebirg gegen die alte Zauberin sicher ver¬
schanzte, daß eine Art Tyrannei uns für die übrigen Reize, die der Natur
vor allem, unempfänglich machte, und daß in Italien überhaupt bald daS
Regiment der einen, bald das der andern über uns Gewalt übt.

Zum Glück läßt sich die Herrschaft beider schon ertragen.

Die Bildhauerei, unter den Trabanten der Herrin Kunst, führt zumal
ein mildes Scepter und läßt dem Geist mehr Freiheit und Frische, als die
unruhiger waltende Malerei es zu thun pflegt.

Wanderungen durch Sculpturwcrkstätten üben sogar eine Art Beruhigung
auf die Nerven aus, wenn diese rascher Farbenwechsel in den Ateliers der
Maler überreizt und unfähig gemacht hat, neue Eindrücke aufzunehmen.

Wir wollen von einigen dieser Wanderungen hier dasjenige aufzeichnen,
was zur Beurtheilung der Thätigkeit in Roms Künstlerviertel dienen mag.

Von deutschen Bildhauern leben in Rom u. a. Achtermann, Steinhäuser,
Jmhof, Matlhia, Troschel, Wolf. Schoeps und der Veteran Wagener. Küm¬
mels Atelier, das wir noch besuchten, ist jetzt verödet; er selbst starb vor
wenigen Monaten. Schubert und Vater Nußbaumer meißeln wol.noch neben¬
einander im Erdgeschoß des Palazzo ti Venezia.

Jerichau, Holberg und Kolberg sind Dänen, Stoever ist Holländer.
England ist durch Gibson, Cardwell, Crawford, Spanien durch Jost Vilches,
Frankreich durch Laboureur, Lemoyne, Italien endlich durch Tavolini, Tenerani,
Luccardi Stocchi, Strazzi, Bienaims (von Carrara), Gajassi. Benzoni ver¬
treten.

ES versteht sich, daß die größere Zahl der hier lebenden Künstler -- im
doppelten Sinne namenlos -- unerwähnt bleiben muß, so wie, daß wir auch
von den genannten nur einige w.eilige besprechen können. Weder Raum,
noch Zeit, noch überhaupt Interesse würden ausreichen, um allen gerecht zu
werden.

Mit dem räumlich größten Werke dürfen wir billigerweise anfangen. Es
ist ohnehin für Deutschland bestimmt, und wird vielleicht in diesem Jahre schon
den Dom zu Münster zieren: Achtermanns Kreuzabnahme Christi.

Die Gruppe besteht aus fünf Figuren in überlebensgroßen Verhältnissen,


Musterung römischer Bildhauerateliers.

„In Rom wurde kein Stein mehr angesehen, wenn er nicht gestaltet ist,"
schrieb Goethe an Knebel, als er, dem Bann der ewigen Stadt entflohen, in
Mailand wieder zum Glimmerschiefer und krystallischen Feldspath deS Pater
Pini zurückgekehrt war.

Man hat in Rom nun einmal nicht die Macht, sich der Kunst und ihren
Zauberkreisen zu entziehen, und fühlt doch deutlich, wenn man wieder Cam-
pagnaluft athmete, oder gar sich im Gebirg gegen die alte Zauberin sicher ver¬
schanzte, daß eine Art Tyrannei uns für die übrigen Reize, die der Natur
vor allem, unempfänglich machte, und daß in Italien überhaupt bald daS
Regiment der einen, bald das der andern über uns Gewalt übt.

Zum Glück läßt sich die Herrschaft beider schon ertragen.

Die Bildhauerei, unter den Trabanten der Herrin Kunst, führt zumal
ein mildes Scepter und läßt dem Geist mehr Freiheit und Frische, als die
unruhiger waltende Malerei es zu thun pflegt.

Wanderungen durch Sculpturwcrkstätten üben sogar eine Art Beruhigung
auf die Nerven aus, wenn diese rascher Farbenwechsel in den Ateliers der
Maler überreizt und unfähig gemacht hat, neue Eindrücke aufzunehmen.

Wir wollen von einigen dieser Wanderungen hier dasjenige aufzeichnen,
was zur Beurtheilung der Thätigkeit in Roms Künstlerviertel dienen mag.

Von deutschen Bildhauern leben in Rom u. a. Achtermann, Steinhäuser,
Jmhof, Matlhia, Troschel, Wolf. Schoeps und der Veteran Wagener. Küm¬
mels Atelier, das wir noch besuchten, ist jetzt verödet; er selbst starb vor
wenigen Monaten. Schubert und Vater Nußbaumer meißeln wol.noch neben¬
einander im Erdgeschoß des Palazzo ti Venezia.

Jerichau, Holberg und Kolberg sind Dänen, Stoever ist Holländer.
England ist durch Gibson, Cardwell, Crawford, Spanien durch Jost Vilches,
Frankreich durch Laboureur, Lemoyne, Italien endlich durch Tavolini, Tenerani,
Luccardi Stocchi, Strazzi, Bienaims (von Carrara), Gajassi. Benzoni ver¬
treten.

ES versteht sich, daß die größere Zahl der hier lebenden Künstler — im
doppelten Sinne namenlos — unerwähnt bleiben muß, so wie, daß wir auch
von den genannten nur einige w.eilige besprechen können. Weder Raum,
noch Zeit, noch überhaupt Interesse würden ausreichen, um allen gerecht zu
werden.

Mit dem räumlich größten Werke dürfen wir billigerweise anfangen. Es
ist ohnehin für Deutschland bestimmt, und wird vielleicht in diesem Jahre schon
den Dom zu Münster zieren: Achtermanns Kreuzabnahme Christi.

Die Gruppe besteht aus fünf Figuren in überlebensgroßen Verhältnissen,


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[0069] Musterung römischer Bildhauerateliers. „In Rom wurde kein Stein mehr angesehen, wenn er nicht gestaltet ist," schrieb Goethe an Knebel, als er, dem Bann der ewigen Stadt entflohen, in Mailand wieder zum Glimmerschiefer und krystallischen Feldspath deS Pater Pini zurückgekehrt war. Man hat in Rom nun einmal nicht die Macht, sich der Kunst und ihren Zauberkreisen zu entziehen, und fühlt doch deutlich, wenn man wieder Cam- pagnaluft athmete, oder gar sich im Gebirg gegen die alte Zauberin sicher ver¬ schanzte, daß eine Art Tyrannei uns für die übrigen Reize, die der Natur vor allem, unempfänglich machte, und daß in Italien überhaupt bald daS Regiment der einen, bald das der andern über uns Gewalt übt. Zum Glück läßt sich die Herrschaft beider schon ertragen. Die Bildhauerei, unter den Trabanten der Herrin Kunst, führt zumal ein mildes Scepter und läßt dem Geist mehr Freiheit und Frische, als die unruhiger waltende Malerei es zu thun pflegt. Wanderungen durch Sculpturwcrkstätten üben sogar eine Art Beruhigung auf die Nerven aus, wenn diese rascher Farbenwechsel in den Ateliers der Maler überreizt und unfähig gemacht hat, neue Eindrücke aufzunehmen. Wir wollen von einigen dieser Wanderungen hier dasjenige aufzeichnen, was zur Beurtheilung der Thätigkeit in Roms Künstlerviertel dienen mag. Von deutschen Bildhauern leben in Rom u. a. Achtermann, Steinhäuser, Jmhof, Matlhia, Troschel, Wolf. Schoeps und der Veteran Wagener. Küm¬ mels Atelier, das wir noch besuchten, ist jetzt verödet; er selbst starb vor wenigen Monaten. Schubert und Vater Nußbaumer meißeln wol.noch neben¬ einander im Erdgeschoß des Palazzo ti Venezia. Jerichau, Holberg und Kolberg sind Dänen, Stoever ist Holländer. England ist durch Gibson, Cardwell, Crawford, Spanien durch Jost Vilches, Frankreich durch Laboureur, Lemoyne, Italien endlich durch Tavolini, Tenerani, Luccardi Stocchi, Strazzi, Bienaims (von Carrara), Gajassi. Benzoni ver¬ treten. ES versteht sich, daß die größere Zahl der hier lebenden Künstler — im doppelten Sinne namenlos — unerwähnt bleiben muß, so wie, daß wir auch von den genannten nur einige w.eilige besprechen können. Weder Raum, noch Zeit, noch überhaupt Interesse würden ausreichen, um allen gerecht zu werden. Mit dem räumlich größten Werke dürfen wir billigerweise anfangen. Es ist ohnehin für Deutschland bestimmt, und wird vielleicht in diesem Jahre schon den Dom zu Münster zieren: Achtermanns Kreuzabnahme Christi. Die Gruppe besteht aus fünf Figuren in überlebensgroßen Verhältnissen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/69>, abgerufen am 03.07.2024.