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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Spanien in den letzten Jahren.
MUI^I

Die deutsche Presse hat der letzten spanischen Krisis eine Theilnahme ge¬
widmet, wie sie den Zuständen dieses Landes sie seit Jahren nicht schenkte,
selbst nicht der Erhebung von 183i>, die durch den orientalischen Krieg in den
Hintergrund gedrängt wurde. Die Beurtheilung der neuesten Vorgänge zeigte
jedoch großenteils außer nur oberflächlicher Sachkenntniß, eine starke Partei¬
lichkeit, die ihre heimischen Zu- und Abneigungen auf jenes fernliegende
Politische Terrain übertrug. Um die neuesten Ereignisse gerecht zu würdigen,
ist es nothwendig, einen Rückblick auf die Revolution, welche das Ministerium
Sartorius stürzte, und auf die Hauptmomente ihrer Entwicklung bis zum gegen¬
wärtigen Augenblick zu werfen. Wir wollen hierbei nicht in das Detail der
Thatsachen eintreten, sondern nur den Gang der Dinge charakterisiren.

Der Keim der schweren Erschütterungen, welche seit zwei Jahren die
Halbinsel erfahren hat, ist in dem Sturz des Marschalls Narvaez (Januar 1831)
zu suchen. Der Bruch dieses Mannes -mit dem Hof und sein Rücktritt spal¬
teten die moderirte Partei, deren Gros, unbeschadet der Absonderung einer
liberaleren Fraction und trotz' vorübergehender Irrungen seit 1843 den Pro-
gressisten gegenüber zusammengehalten und durch seine Führer die Regierung
gehandhabt hatte. Die Ministerien, die nun folgten, waren auch dem Namen
"ach moderirt, waren factisch die Instrumente einer absolutistisch-klerikalen
Camarilla, deren Seele die Familie Rianzares war. Als nach dem französischen
Staatsstreich die Projecte zum Umsturz der Verfassung auch in Spanien un¬
verhüllt hervortraten, bildete sich eine große Koalition aller Oppositionspar¬
teien, in deren erster Reihe die entschieden conservativen, aber noch konstitu¬
tionellen Moderados standen. Die verschiedenen Phasen dieses Kampfes, die
einen Augenblick den Marschall Narvaez an die Spitze der Opposition brachten,
Um ihn gleich darauf ins Exil zu werfen, die nacheinander in kurzer Frist
die Ministerien Murillo, Roncali und Lersundi stürzten, haben wir zur Zeit
M diesen Blättern mit Aufmerksamkeit verfolgt. Der.Hof kam indeß über
halbe Maßregeln nicht hinaus; er wagte nicht, von der Verletzung der Ver¬
fassung, die allerdings schreiend war, zu deren ausdrücklicher Abschaffung zu


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Spanien in den letzten Jahren.
MUI^I

Die deutsche Presse hat der letzten spanischen Krisis eine Theilnahme ge¬
widmet, wie sie den Zuständen dieses Landes sie seit Jahren nicht schenkte,
selbst nicht der Erhebung von 183i>, die durch den orientalischen Krieg in den
Hintergrund gedrängt wurde. Die Beurtheilung der neuesten Vorgänge zeigte
jedoch großenteils außer nur oberflächlicher Sachkenntniß, eine starke Partei¬
lichkeit, die ihre heimischen Zu- und Abneigungen auf jenes fernliegende
Politische Terrain übertrug. Um die neuesten Ereignisse gerecht zu würdigen,
ist es nothwendig, einen Rückblick auf die Revolution, welche das Ministerium
Sartorius stürzte, und auf die Hauptmomente ihrer Entwicklung bis zum gegen¬
wärtigen Augenblick zu werfen. Wir wollen hierbei nicht in das Detail der
Thatsachen eintreten, sondern nur den Gang der Dinge charakterisiren.

Der Keim der schweren Erschütterungen, welche seit zwei Jahren die
Halbinsel erfahren hat, ist in dem Sturz des Marschalls Narvaez (Januar 1831)
zu suchen. Der Bruch dieses Mannes -mit dem Hof und sein Rücktritt spal¬
teten die moderirte Partei, deren Gros, unbeschadet der Absonderung einer
liberaleren Fraction und trotz' vorübergehender Irrungen seit 1843 den Pro-
gressisten gegenüber zusammengehalten und durch seine Führer die Regierung
gehandhabt hatte. Die Ministerien, die nun folgten, waren auch dem Namen
«ach moderirt, waren factisch die Instrumente einer absolutistisch-klerikalen
Camarilla, deren Seele die Familie Rianzares war. Als nach dem französischen
Staatsstreich die Projecte zum Umsturz der Verfassung auch in Spanien un¬
verhüllt hervortraten, bildete sich eine große Koalition aller Oppositionspar¬
teien, in deren erster Reihe die entschieden conservativen, aber noch konstitu¬
tionellen Moderados standen. Die verschiedenen Phasen dieses Kampfes, die
einen Augenblick den Marschall Narvaez an die Spitze der Opposition brachten,
Um ihn gleich darauf ins Exil zu werfen, die nacheinander in kurzer Frist
die Ministerien Murillo, Roncali und Lersundi stürzten, haben wir zur Zeit
M diesen Blättern mit Aufmerksamkeit verfolgt. Der.Hof kam indeß über
halbe Maßregeln nicht hinaus; er wagte nicht, von der Verletzung der Ver¬
fassung, die allerdings schreiend war, zu deren ausdrücklicher Abschaffung zu


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[0329] Spanien in den letzten Jahren. MUI^I Die deutsche Presse hat der letzten spanischen Krisis eine Theilnahme ge¬ widmet, wie sie den Zuständen dieses Landes sie seit Jahren nicht schenkte, selbst nicht der Erhebung von 183i>, die durch den orientalischen Krieg in den Hintergrund gedrängt wurde. Die Beurtheilung der neuesten Vorgänge zeigte jedoch großenteils außer nur oberflächlicher Sachkenntniß, eine starke Partei¬ lichkeit, die ihre heimischen Zu- und Abneigungen auf jenes fernliegende Politische Terrain übertrug. Um die neuesten Ereignisse gerecht zu würdigen, ist es nothwendig, einen Rückblick auf die Revolution, welche das Ministerium Sartorius stürzte, und auf die Hauptmomente ihrer Entwicklung bis zum gegen¬ wärtigen Augenblick zu werfen. Wir wollen hierbei nicht in das Detail der Thatsachen eintreten, sondern nur den Gang der Dinge charakterisiren. Der Keim der schweren Erschütterungen, welche seit zwei Jahren die Halbinsel erfahren hat, ist in dem Sturz des Marschalls Narvaez (Januar 1831) zu suchen. Der Bruch dieses Mannes -mit dem Hof und sein Rücktritt spal¬ teten die moderirte Partei, deren Gros, unbeschadet der Absonderung einer liberaleren Fraction und trotz' vorübergehender Irrungen seit 1843 den Pro- gressisten gegenüber zusammengehalten und durch seine Führer die Regierung gehandhabt hatte. Die Ministerien, die nun folgten, waren auch dem Namen «ach moderirt, waren factisch die Instrumente einer absolutistisch-klerikalen Camarilla, deren Seele die Familie Rianzares war. Als nach dem französischen Staatsstreich die Projecte zum Umsturz der Verfassung auch in Spanien un¬ verhüllt hervortraten, bildete sich eine große Koalition aller Oppositionspar¬ teien, in deren erster Reihe die entschieden conservativen, aber noch konstitu¬ tionellen Moderados standen. Die verschiedenen Phasen dieses Kampfes, die einen Augenblick den Marschall Narvaez an die Spitze der Opposition brachten, Um ihn gleich darauf ins Exil zu werfen, die nacheinander in kurzer Frist die Ministerien Murillo, Roncali und Lersundi stürzten, haben wir zur Zeit M diesen Blättern mit Aufmerksamkeit verfolgt. Der.Hof kam indeß über halbe Maßregeln nicht hinaus; er wagte nicht, von der Verletzung der Ver¬ fassung, die allerdings schreiend war, zu deren ausdrücklicher Abschaffung zu Ärcnzboteu. IV. t8S6. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/329>, abgerufen am 23.07.2024.