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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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schreiten. Endlich schien er sogar durch die Berufung des Grafen von San
Luis (Sartorius) an die Spitze der Geschäfte (September 1853), seinen Plänen
entsagen zu wollen. Dieser Staatsmann, bisher ein genauer Freund des
Narvaez und Chef einer Nuance der Moderados, die anfangs zwar der
Coalition sich angeschlossen, nach Murillos Rücktritt aber zwischen dem Hof
und seinen Gegnern balancirt hatte, machte der Verbannung des Herzogs
von Valencia ein Ende, rief die vertagten Cortes zusammen und nahm die
von den früheren Cabineten vorgelegten Projecte zur Neviston der Verfassung
zurück. Wenn aber auch Narvaez sich von jetzt an in schweigende Neutralität
hüllte, so gelang es doch im Uevrigciv nicht, die moderirte Opposition durch
diese Zugeständnisse zu versöhnen. Mochte Mißtrauen gegen die Personen
der Minister zum Grund liegen oder wollten die Chefs der opponirenden Mo¬
derados ihren Sieg weiter verfolgen, bis zur Verbannung der Königin Mutter,
als der einzigen Garantie gegen die Erneuerung absolutistischer Versuche, sie
machten San Luis und seinen Kollegen in den Cortes den heftigsten Krieg.
Das Votum des Senats in Betreff der eigenmächtig und, wie man glaubte,
zum Vortheil der Familie Rianzares von den früheren Cabineten ertheilten
Eisenbahnconcessionen, erlassen von einer überwiegend inoderirten Mehrheit,
unter deren hervorragendsten, entschlossensten und beredtesten Häuptern sich der
General O'Dommel befand, führte zum Bruch. Das Ministerium warf jetzt
seine constitutionelle Politik mit einer Entschiedenheit und Schnelligkeit bei
Seite, die es kaum glauben läßt, sie sei mehr als eine Maske gewesen, be¬
stimmt, der Opposition die öffentliche Meinung zu entfremden. Es vertagte
sofort die Cortes und überbot weit alle aggressorische Maßregeln seiner Vor¬
gänger. Der absoluten Unterdrückung der Presse folgte die Verhaftung oder
Verbannung der einflußreichsten oppositionellen Generale, von denen nur einer
sich den Händen ver Gewalthaber zu entziehen wußte -- O'Dommel. Fast
sechs Monate hielt er sich in der Hauptstadt selbst verborgen, während die
Negierung von Gewaltact zu Gewaltact schritt. Von seinem Versteck aus
knüpfte er Verbindungen an und, als seine Pläne reif waren, erhob er am
28. Juni 185" auf dem Feld der Garden bei Madrid an der Spitze der zahl¬
reichen Cavalerie der Garnison, die ihm der Abfall Dulccs, des General-
inspectors dieser Waffe, zugeführt hatte, das Banner des Aufstandö. Wären
die andern Truppentheile der Besatzung jenem Beispiel gefolgt, oder hätte c>le
Königin sich vor dieser ersten Demonstration gebeugt, so wäre der Umschwung
nicht über die anfängliche Absicht seines Urhebers hinausgegangen, ein
Wechsel des Cabinets im Sinn der inoderirten Opposition, Herstellung der
Verfassung von -1845, die, wenn auch noch nicht ausdrücklich, so doch that¬
sächlich abgeschafft war, und eine wahrscheinlich etwas liberalere Ausführung


schreiten. Endlich schien er sogar durch die Berufung des Grafen von San
Luis (Sartorius) an die Spitze der Geschäfte (September 1853), seinen Plänen
entsagen zu wollen. Dieser Staatsmann, bisher ein genauer Freund des
Narvaez und Chef einer Nuance der Moderados, die anfangs zwar der
Coalition sich angeschlossen, nach Murillos Rücktritt aber zwischen dem Hof
und seinen Gegnern balancirt hatte, machte der Verbannung des Herzogs
von Valencia ein Ende, rief die vertagten Cortes zusammen und nahm die
von den früheren Cabineten vorgelegten Projecte zur Neviston der Verfassung
zurück. Wenn aber auch Narvaez sich von jetzt an in schweigende Neutralität
hüllte, so gelang es doch im Uevrigciv nicht, die moderirte Opposition durch
diese Zugeständnisse zu versöhnen. Mochte Mißtrauen gegen die Personen
der Minister zum Grund liegen oder wollten die Chefs der opponirenden Mo¬
derados ihren Sieg weiter verfolgen, bis zur Verbannung der Königin Mutter,
als der einzigen Garantie gegen die Erneuerung absolutistischer Versuche, sie
machten San Luis und seinen Kollegen in den Cortes den heftigsten Krieg.
Das Votum des Senats in Betreff der eigenmächtig und, wie man glaubte,
zum Vortheil der Familie Rianzares von den früheren Cabineten ertheilten
Eisenbahnconcessionen, erlassen von einer überwiegend inoderirten Mehrheit,
unter deren hervorragendsten, entschlossensten und beredtesten Häuptern sich der
General O'Dommel befand, führte zum Bruch. Das Ministerium warf jetzt
seine constitutionelle Politik mit einer Entschiedenheit und Schnelligkeit bei
Seite, die es kaum glauben läßt, sie sei mehr als eine Maske gewesen, be¬
stimmt, der Opposition die öffentliche Meinung zu entfremden. Es vertagte
sofort die Cortes und überbot weit alle aggressorische Maßregeln seiner Vor¬
gänger. Der absoluten Unterdrückung der Presse folgte die Verhaftung oder
Verbannung der einflußreichsten oppositionellen Generale, von denen nur einer
sich den Händen ver Gewalthaber zu entziehen wußte — O'Dommel. Fast
sechs Monate hielt er sich in der Hauptstadt selbst verborgen, während die
Negierung von Gewaltact zu Gewaltact schritt. Von seinem Versteck aus
knüpfte er Verbindungen an und, als seine Pläne reif waren, erhob er am
28. Juni 185» auf dem Feld der Garden bei Madrid an der Spitze der zahl¬
reichen Cavalerie der Garnison, die ihm der Abfall Dulccs, des General-
inspectors dieser Waffe, zugeführt hatte, das Banner des Aufstandö. Wären
die andern Truppentheile der Besatzung jenem Beispiel gefolgt, oder hätte c>le
Königin sich vor dieser ersten Demonstration gebeugt, so wäre der Umschwung
nicht über die anfängliche Absicht seines Urhebers hinausgegangen, ein
Wechsel des Cabinets im Sinn der inoderirten Opposition, Herstellung der
Verfassung von -1845, die, wenn auch noch nicht ausdrücklich, so doch that¬
sächlich abgeschafft war, und eine wahrscheinlich etwas liberalere Ausführung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/330>, abgerufen am 23.07.2024.