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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Regierung und Volk in Neapel.

"Mplizs, e'We, un heult als rire!" so schildert ein sehr bezeichnendes
Wort im Geiste unserer Nachbarn jenseits des Rheins; und um den ersten
Eindruck wiederzugeben, welchen Neapels sonnig lachende Erscheinung hervor¬
bringt, gibt es kaum eine glücklichere Wendung.

Da liegt es, wenn wir aus der Allee von Capo ti monte ins Freie
treten, tief unten wie der Hafen der Glückseligkeit selbst, vor uns ausgebreitet:
weiße Häuserreihen ohne Zahl um den tiefblauen Meerbusen, dessen Fläche
blendende'Segel durchkreuzen und dessen Wellen im Süden die steilen Tuff¬
steinuser von Meta und Sorrento bespülen, dem oliven-, orangen- und myrten¬
reichen Sorrento mit seinen winkenden Villen und seinem malerischen Gebirgs-
hintergrunde. Aber kaum, daß sich das Auge losreißt von den Buchten und weißen
Städtchen, von ringsum zerstreuten Kirchen, Castellen, Winzerwohnungen,
Weingeländen, Palmen und Aloen, so fesselt zur Linken den Blick schon wieder
die immer dampfende Esse des Vesuvs mit dem auferstehenden Pompeji zu
seinen Füßen, während zur Rechten die Inseln Capri, Ischia, Procida,, Nisida
den Beschauer fast ungeduldig und unfähig machen, so vielgestaltige Reize auf
einmal in sich aufzunehmen.

Verfolgt er von Capo ti monte seine Straße weiter, so nimmt ihn bald
der geräuschvolle Toledo aus, die -ruheloseste Straße des ganzen Festlandes.
Zwischen goldstrahlenden Caricolos voll geputzter Weiber, Mönche, Bettel¬
jungen, zwischen buntgeschmückten Eseln, rasselnden Karossen, schreienden Eis¬
verkäufern, eiligen Begräbnißzügen, zufälligen Processionen mit flitterbehcmgnen
Heiligen und wehenden Fahnen, zwischen gelangweilten Schweizersoldaten,
spionirenden Polizeiwächtern, zwischen Austern-, Orangen- und Brocoliaus-
rufern, zwischen schwarzäugigen Schönen, modernen Elegants, zwischen bärti¬
gen Matrosen, stumpfnasigem Negern, halb rankenden Lazzaroni, langfingerigen
Taschendieben und dem laut ausgeschellten Allerheiligsten, vor dem nun plötz¬
lich alle Welt auf den Knien liegt oder doch das Haupt entblößt, zwischen
diesem bunten, lärmenden, aufregenden und zugleich betäubenden Durcheinander
sucht und findet der neue Ankömmling feinen Weg und gesteht sich, am Ziele
seiner Wünsche angelangt, mit Kopfschütteln, daß Neapel allerdings ein
Salat 6s rire ist.

Aber mit diesem Lachen hat es eine unheimliche Bewandtnis;. Wäre
ein neapolitanischer Herrscher auf den Einfall gekommen ^-- wie Venedigs
schwarze Gondeln die Trauer der Lagunenstadt darzuthun bestimmt sind --
der lachenden Stadt auch äußerlich ein Trauerzeichen anzuhängen, wahrlich
der Anlaß dazu hätte nicht gefehlt!

Auch der flüchtige Reisende, welcher zum ersten Mal die Reize der schönen


Grenzboten. IV. -I8SS. 29
Regierung und Volk in Neapel.

„Mplizs, e'We, un heult als rire!" so schildert ein sehr bezeichnendes
Wort im Geiste unserer Nachbarn jenseits des Rheins; und um den ersten
Eindruck wiederzugeben, welchen Neapels sonnig lachende Erscheinung hervor¬
bringt, gibt es kaum eine glücklichere Wendung.

Da liegt es, wenn wir aus der Allee von Capo ti monte ins Freie
treten, tief unten wie der Hafen der Glückseligkeit selbst, vor uns ausgebreitet:
weiße Häuserreihen ohne Zahl um den tiefblauen Meerbusen, dessen Fläche
blendende'Segel durchkreuzen und dessen Wellen im Süden die steilen Tuff¬
steinuser von Meta und Sorrento bespülen, dem oliven-, orangen- und myrten¬
reichen Sorrento mit seinen winkenden Villen und seinem malerischen Gebirgs-
hintergrunde. Aber kaum, daß sich das Auge losreißt von den Buchten und weißen
Städtchen, von ringsum zerstreuten Kirchen, Castellen, Winzerwohnungen,
Weingeländen, Palmen und Aloen, so fesselt zur Linken den Blick schon wieder
die immer dampfende Esse des Vesuvs mit dem auferstehenden Pompeji zu
seinen Füßen, während zur Rechten die Inseln Capri, Ischia, Procida,, Nisida
den Beschauer fast ungeduldig und unfähig machen, so vielgestaltige Reize auf
einmal in sich aufzunehmen.

Verfolgt er von Capo ti monte seine Straße weiter, so nimmt ihn bald
der geräuschvolle Toledo aus, die -ruheloseste Straße des ganzen Festlandes.
Zwischen goldstrahlenden Caricolos voll geputzter Weiber, Mönche, Bettel¬
jungen, zwischen buntgeschmückten Eseln, rasselnden Karossen, schreienden Eis¬
verkäufern, eiligen Begräbnißzügen, zufälligen Processionen mit flitterbehcmgnen
Heiligen und wehenden Fahnen, zwischen gelangweilten Schweizersoldaten,
spionirenden Polizeiwächtern, zwischen Austern-, Orangen- und Brocoliaus-
rufern, zwischen schwarzäugigen Schönen, modernen Elegants, zwischen bärti¬
gen Matrosen, stumpfnasigem Negern, halb rankenden Lazzaroni, langfingerigen
Taschendieben und dem laut ausgeschellten Allerheiligsten, vor dem nun plötz¬
lich alle Welt auf den Knien liegt oder doch das Haupt entblößt, zwischen
diesem bunten, lärmenden, aufregenden und zugleich betäubenden Durcheinander
sucht und findet der neue Ankömmling feinen Weg und gesteht sich, am Ziele
seiner Wünsche angelangt, mit Kopfschütteln, daß Neapel allerdings ein
Salat 6s rire ist.

Aber mit diesem Lachen hat es eine unheimliche Bewandtnis;. Wäre
ein neapolitanischer Herrscher auf den Einfall gekommen ^— wie Venedigs
schwarze Gondeln die Trauer der Lagunenstadt darzuthun bestimmt sind —
der lachenden Stadt auch äußerlich ein Trauerzeichen anzuhängen, wahrlich
der Anlaß dazu hätte nicht gefehlt!

Auch der flüchtige Reisende, welcher zum ersten Mal die Reize der schönen


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[0233] Regierung und Volk in Neapel. „Mplizs, e'We, un heult als rire!" so schildert ein sehr bezeichnendes Wort im Geiste unserer Nachbarn jenseits des Rheins; und um den ersten Eindruck wiederzugeben, welchen Neapels sonnig lachende Erscheinung hervor¬ bringt, gibt es kaum eine glücklichere Wendung. Da liegt es, wenn wir aus der Allee von Capo ti monte ins Freie treten, tief unten wie der Hafen der Glückseligkeit selbst, vor uns ausgebreitet: weiße Häuserreihen ohne Zahl um den tiefblauen Meerbusen, dessen Fläche blendende'Segel durchkreuzen und dessen Wellen im Süden die steilen Tuff¬ steinuser von Meta und Sorrento bespülen, dem oliven-, orangen- und myrten¬ reichen Sorrento mit seinen winkenden Villen und seinem malerischen Gebirgs- hintergrunde. Aber kaum, daß sich das Auge losreißt von den Buchten und weißen Städtchen, von ringsum zerstreuten Kirchen, Castellen, Winzerwohnungen, Weingeländen, Palmen und Aloen, so fesselt zur Linken den Blick schon wieder die immer dampfende Esse des Vesuvs mit dem auferstehenden Pompeji zu seinen Füßen, während zur Rechten die Inseln Capri, Ischia, Procida,, Nisida den Beschauer fast ungeduldig und unfähig machen, so vielgestaltige Reize auf einmal in sich aufzunehmen. Verfolgt er von Capo ti monte seine Straße weiter, so nimmt ihn bald der geräuschvolle Toledo aus, die -ruheloseste Straße des ganzen Festlandes. Zwischen goldstrahlenden Caricolos voll geputzter Weiber, Mönche, Bettel¬ jungen, zwischen buntgeschmückten Eseln, rasselnden Karossen, schreienden Eis¬ verkäufern, eiligen Begräbnißzügen, zufälligen Processionen mit flitterbehcmgnen Heiligen und wehenden Fahnen, zwischen gelangweilten Schweizersoldaten, spionirenden Polizeiwächtern, zwischen Austern-, Orangen- und Brocoliaus- rufern, zwischen schwarzäugigen Schönen, modernen Elegants, zwischen bärti¬ gen Matrosen, stumpfnasigem Negern, halb rankenden Lazzaroni, langfingerigen Taschendieben und dem laut ausgeschellten Allerheiligsten, vor dem nun plötz¬ lich alle Welt auf den Knien liegt oder doch das Haupt entblößt, zwischen diesem bunten, lärmenden, aufregenden und zugleich betäubenden Durcheinander sucht und findet der neue Ankömmling feinen Weg und gesteht sich, am Ziele seiner Wünsche angelangt, mit Kopfschütteln, daß Neapel allerdings ein Salat 6s rire ist. Aber mit diesem Lachen hat es eine unheimliche Bewandtnis;. Wäre ein neapolitanischer Herrscher auf den Einfall gekommen ^— wie Venedigs schwarze Gondeln die Trauer der Lagunenstadt darzuthun bestimmt sind — der lachenden Stadt auch äußerlich ein Trauerzeichen anzuhängen, wahrlich der Anlaß dazu hätte nicht gefehlt! Auch der flüchtige Reisende, welcher zum ersten Mal die Reize der schönen Grenzboten. IV. -I8SS. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/233>, abgerufen am 23.07.2024.