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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Geschichte der bildenden Künste.

Von der. Carl Schnaase. Fünfter Band. Mit 92 in den Text eingedruckten
Holzschnitten. Düsseldorf, Julius Buddeus. --

Die Kunstgeschichte hat seit etwa drei Jahrzehnten namentlich in Deutsch¬
land einen Ausschwung genommen, der um so erfreulicher ist, da sich die
Theilnahme für diese Studien ungewöhnlich tief ins Volk hinein erstreckt. Diese
Blätter haben bereits mehrfach Veranlassung gehabt, neu erschienene Werke der
Art rühmend zu erwähnen, meistens von einem populären Charakrer, zusammen¬
gedrängte Gruppirungen mit philosophischen Gedanken ausgerüstet und auch
in Bezug aus die künstlerische Form des Inhalts würdig. Wie schal und
nüchtern kommen uns jetzt die Theorien vor, die man noch vor einem halben
Jahrhundert anstaunte. Damals waren die Sympathien daS ausschließliche
Motiv der Darstellung, und man mußte es schon der romantischen Schule
großen Dank wissen, baß sie nur überhaupt die Sympathien zu erwecken und
anzuregen verstand. Von eindringendem Verständniß war überall wenig die
Rede, und da alle Neigungen des Zeitalters in der schönen Literatur ihren
Sammelpunkt fanden, so darf man sich nicht so sehr darüber wundern, daß
auch die bildende Kunst vorzugsweise wie eine Art Illustration zu den beliebten
literarischen Grundsätzen verwerthet wurde. Weder der kölnischen Schule noch
den weimarischen Kunstfreunden war die Kunstgeschichte die Hauptsache; sie
suchten zumeist nach Vorbildern für ihr abstractes Princip, und je objectiver
sie zu Werke zu gehen glaubten, desto blinder verrannten sie sich in das Netz
ihrer Dogmatik. ES waren auch nicht ausübende Künstler, die sich für ihre
Bedürfnisse bei der Vergangenheit Rath erholten, sondern Schriftsteller, und
zwar Tendenzschriflsteller, Virtuosen in der Redekunst und außerordentlich geübt,
die seltsamsten Gesichtspunkte aufzufinden und geltend zu machen.

Von dieser tendenziösen Auffassung der Kunstgeschichte kann heute in ernst¬
haften wissenschaftlichen Kreisen nicht mehr die Rede sein, sie dauert zwar noch
fort, ja sie hat an Umfang bedeutend zugenommen, und namentlich die moderne
christlich-germanische Schule geht in der Zuversicht ihrer Paradorien weit über
Fr. Schlegel hinaus; aber es gelingt ihr nicht mehr, ihre geheimen Absichten
zu verstecken, sie hält es nicht einmal für nöthig. Mit der Lockspeise der go-


Grenzbvten. IV. -Isöti. 26
Geschichte der bildenden Künste.

Von der. Carl Schnaase. Fünfter Band. Mit 92 in den Text eingedruckten
Holzschnitten. Düsseldorf, Julius Buddeus. —

Die Kunstgeschichte hat seit etwa drei Jahrzehnten namentlich in Deutsch¬
land einen Ausschwung genommen, der um so erfreulicher ist, da sich die
Theilnahme für diese Studien ungewöhnlich tief ins Volk hinein erstreckt. Diese
Blätter haben bereits mehrfach Veranlassung gehabt, neu erschienene Werke der
Art rühmend zu erwähnen, meistens von einem populären Charakrer, zusammen¬
gedrängte Gruppirungen mit philosophischen Gedanken ausgerüstet und auch
in Bezug aus die künstlerische Form des Inhalts würdig. Wie schal und
nüchtern kommen uns jetzt die Theorien vor, die man noch vor einem halben
Jahrhundert anstaunte. Damals waren die Sympathien daS ausschließliche
Motiv der Darstellung, und man mußte es schon der romantischen Schule
großen Dank wissen, baß sie nur überhaupt die Sympathien zu erwecken und
anzuregen verstand. Von eindringendem Verständniß war überall wenig die
Rede, und da alle Neigungen des Zeitalters in der schönen Literatur ihren
Sammelpunkt fanden, so darf man sich nicht so sehr darüber wundern, daß
auch die bildende Kunst vorzugsweise wie eine Art Illustration zu den beliebten
literarischen Grundsätzen verwerthet wurde. Weder der kölnischen Schule noch
den weimarischen Kunstfreunden war die Kunstgeschichte die Hauptsache; sie
suchten zumeist nach Vorbildern für ihr abstractes Princip, und je objectiver
sie zu Werke zu gehen glaubten, desto blinder verrannten sie sich in das Netz
ihrer Dogmatik. ES waren auch nicht ausübende Künstler, die sich für ihre
Bedürfnisse bei der Vergangenheit Rath erholten, sondern Schriftsteller, und
zwar Tendenzschriflsteller, Virtuosen in der Redekunst und außerordentlich geübt,
die seltsamsten Gesichtspunkte aufzufinden und geltend zu machen.

Von dieser tendenziösen Auffassung der Kunstgeschichte kann heute in ernst¬
haften wissenschaftlichen Kreisen nicht mehr die Rede sein, sie dauert zwar noch
fort, ja sie hat an Umfang bedeutend zugenommen, und namentlich die moderne
christlich-germanische Schule geht in der Zuversicht ihrer Paradorien weit über
Fr. Schlegel hinaus; aber es gelingt ihr nicht mehr, ihre geheimen Absichten
zu verstecken, sie hält es nicht einmal für nöthig. Mit der Lockspeise der go-


Grenzbvten. IV. -Isöti. 26
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[0209] Geschichte der bildenden Künste. Von der. Carl Schnaase. Fünfter Band. Mit 92 in den Text eingedruckten Holzschnitten. Düsseldorf, Julius Buddeus. — Die Kunstgeschichte hat seit etwa drei Jahrzehnten namentlich in Deutsch¬ land einen Ausschwung genommen, der um so erfreulicher ist, da sich die Theilnahme für diese Studien ungewöhnlich tief ins Volk hinein erstreckt. Diese Blätter haben bereits mehrfach Veranlassung gehabt, neu erschienene Werke der Art rühmend zu erwähnen, meistens von einem populären Charakrer, zusammen¬ gedrängte Gruppirungen mit philosophischen Gedanken ausgerüstet und auch in Bezug aus die künstlerische Form des Inhalts würdig. Wie schal und nüchtern kommen uns jetzt die Theorien vor, die man noch vor einem halben Jahrhundert anstaunte. Damals waren die Sympathien daS ausschließliche Motiv der Darstellung, und man mußte es schon der romantischen Schule großen Dank wissen, baß sie nur überhaupt die Sympathien zu erwecken und anzuregen verstand. Von eindringendem Verständniß war überall wenig die Rede, und da alle Neigungen des Zeitalters in der schönen Literatur ihren Sammelpunkt fanden, so darf man sich nicht so sehr darüber wundern, daß auch die bildende Kunst vorzugsweise wie eine Art Illustration zu den beliebten literarischen Grundsätzen verwerthet wurde. Weder der kölnischen Schule noch den weimarischen Kunstfreunden war die Kunstgeschichte die Hauptsache; sie suchten zumeist nach Vorbildern für ihr abstractes Princip, und je objectiver sie zu Werke zu gehen glaubten, desto blinder verrannten sie sich in das Netz ihrer Dogmatik. ES waren auch nicht ausübende Künstler, die sich für ihre Bedürfnisse bei der Vergangenheit Rath erholten, sondern Schriftsteller, und zwar Tendenzschriflsteller, Virtuosen in der Redekunst und außerordentlich geübt, die seltsamsten Gesichtspunkte aufzufinden und geltend zu machen. Von dieser tendenziösen Auffassung der Kunstgeschichte kann heute in ernst¬ haften wissenschaftlichen Kreisen nicht mehr die Rede sein, sie dauert zwar noch fort, ja sie hat an Umfang bedeutend zugenommen, und namentlich die moderne christlich-germanische Schule geht in der Zuversicht ihrer Paradorien weit über Fr. Schlegel hinaus; aber es gelingt ihr nicht mehr, ihre geheimen Absichten zu verstecken, sie hält es nicht einmal für nöthig. Mit der Lockspeise der go- Grenzbvten. IV. -Isöti. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/209>, abgerufen am 03.07.2024.