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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band.

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Bilder mis der deutschen Vergangenheit.
Kleine Scenen aus den Hussitenkriegen.

I" einem der letzten Hefte ist bei einer kurzen Charakteristik der schlesischen
Nationalität der verderbliche Einfluß erwähnt worden, welchen die Hussiten¬
kriege auf die germanisirte Ostgrenze Deutschlands ausübten. Dabei wurde
der Bericht eines damals lebenden Schlesicrs, des Kaufmanns Martin in
Bolkenhain, angeführt. Das Bruchstück seiner Aufzeichnungen, welches uns
erhalten und durch Heinrich Hoffmann (in 8oript. rer. I-nsat. I. 1839) nach
der Handschrift herausgegeben ist, enthält kein reiches Material für den Histo¬
riker, denn der ehrliche Schlester schrieb nur auf, was er selbst erlebte oder was
sich in seiner Nähe ereignete. Sein, Bericht ist wie ein kleines glänzendes
Feuer auf einer weiten dunklen Haide, nur wenige Gegenstände werden sicht¬
bar, diese aber in scharfer Beleuchtung, und deshalb empfiehlt sich seine Er¬
zählung grade für solche Schilderungen, welche, das Leben der Einzelnen in
der großen Bewegung ihrer Zeit nahe zu bringen bestimmt sind. Bevor meh¬
rere Stellen seines Berichts aus der schlesischen Sprache des Is. Jahrhunderts
>n die vornehmere unsrer Zeit übertragen werden, möge der Leser sich vergegen¬
wärtigen, wie die Zeit war, aus welcher Martin berichtet.

Während im ganzen Odergebiet und noch weiter hinauf an den Ufern
der Ostsee die den.sche Race im Selbstgefühl ihres jungen Sieges über die
Slawen Bildung und Anschluß bei Deutschland suchte, war näher in der
Mitte des deutschen Landes ein großer Slawenstamm, uuter allen seinen
Brüdern der dauerhafteste und zäheste, bereits fest in den deutschen Staats¬
körper eingefügt und länger durch deutsche Cultur beeinflußt. Prag konnte
im Anfange des 13. Jahrhunderts für eine alte deutsche Stadt gelten, die
Nicht nur in Recht, Verkehr und Handwerk, sondern auch in Wissenschaft und
Kunst ein selbstständiges und kräftiges deutsches Leben zeigte. Während der König
von Böhmen seit als deutscher Kurfürst zur Kaiserwahl ritt, und bei der
Krönung den goldnen Becher schwenkte, dichteten böhmische Liedcrsänger
und Chronisten in Sprache und Versform der Schwaben und malten böh¬
mische Maler Heiligenbilder und Kirchenfenster für deutsche Gotteshäu¬
ser. Ja mit den Lützelburgern war Böhmen selbst der Mittelpunkt des
Reichs geworden; über dem böhmischen Königreich schwebte die Kaiserkrone
und der deutsche Reichsadler, und die Blüte der Jugend aus ganz Deutsch¬
land zog nach der vielthürmigen Mvldaustadt, um dort in der Corpo¬
ration der ersten deutschen Universität ein edleres Adelsrecht zu gewinnen,
als das Schwert verlieh. Damals schien es eine Zeitlang, als wenn dies schöne
geschlossene Slawenlaud, welches mit seinen Bergwällen wie eine ncsige Festung


^re"ze>e>et". IV. -I8no. 24
Bilder mis der deutschen Vergangenheit.
Kleine Scenen aus den Hussitenkriegen.

I» einem der letzten Hefte ist bei einer kurzen Charakteristik der schlesischen
Nationalität der verderbliche Einfluß erwähnt worden, welchen die Hussiten¬
kriege auf die germanisirte Ostgrenze Deutschlands ausübten. Dabei wurde
der Bericht eines damals lebenden Schlesicrs, des Kaufmanns Martin in
Bolkenhain, angeführt. Das Bruchstück seiner Aufzeichnungen, welches uns
erhalten und durch Heinrich Hoffmann (in 8oript. rer. I-nsat. I. 1839) nach
der Handschrift herausgegeben ist, enthält kein reiches Material für den Histo¬
riker, denn der ehrliche Schlester schrieb nur auf, was er selbst erlebte oder was
sich in seiner Nähe ereignete. Sein, Bericht ist wie ein kleines glänzendes
Feuer auf einer weiten dunklen Haide, nur wenige Gegenstände werden sicht¬
bar, diese aber in scharfer Beleuchtung, und deshalb empfiehlt sich seine Er¬
zählung grade für solche Schilderungen, welche, das Leben der Einzelnen in
der großen Bewegung ihrer Zeit nahe zu bringen bestimmt sind. Bevor meh¬
rere Stellen seines Berichts aus der schlesischen Sprache des Is. Jahrhunderts
>n die vornehmere unsrer Zeit übertragen werden, möge der Leser sich vergegen¬
wärtigen, wie die Zeit war, aus welcher Martin berichtet.

Während im ganzen Odergebiet und noch weiter hinauf an den Ufern
der Ostsee die den.sche Race im Selbstgefühl ihres jungen Sieges über die
Slawen Bildung und Anschluß bei Deutschland suchte, war näher in der
Mitte des deutschen Landes ein großer Slawenstamm, uuter allen seinen
Brüdern der dauerhafteste und zäheste, bereits fest in den deutschen Staats¬
körper eingefügt und länger durch deutsche Cultur beeinflußt. Prag konnte
im Anfange des 13. Jahrhunderts für eine alte deutsche Stadt gelten, die
Nicht nur in Recht, Verkehr und Handwerk, sondern auch in Wissenschaft und
Kunst ein selbstständiges und kräftiges deutsches Leben zeigte. Während der König
von Böhmen seit als deutscher Kurfürst zur Kaiserwahl ritt, und bei der
Krönung den goldnen Becher schwenkte, dichteten böhmische Liedcrsänger
und Chronisten in Sprache und Versform der Schwaben und malten böh¬
mische Maler Heiligenbilder und Kirchenfenster für deutsche Gotteshäu¬
ser. Ja mit den Lützelburgern war Böhmen selbst der Mittelpunkt des
Reichs geworden; über dem böhmischen Königreich schwebte die Kaiserkrone
und der deutsche Reichsadler, und die Blüte der Jugend aus ganz Deutsch¬
land zog nach der vielthürmigen Mvldaustadt, um dort in der Corpo¬
ration der ersten deutschen Universität ein edleres Adelsrecht zu gewinnen,
als das Schwert verlieh. Damals schien es eine Zeitlang, als wenn dies schöne
geschlossene Slawenlaud, welches mit seinen Bergwällen wie eine ncsige Festung


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[0193] Bilder mis der deutschen Vergangenheit. Kleine Scenen aus den Hussitenkriegen. I» einem der letzten Hefte ist bei einer kurzen Charakteristik der schlesischen Nationalität der verderbliche Einfluß erwähnt worden, welchen die Hussiten¬ kriege auf die germanisirte Ostgrenze Deutschlands ausübten. Dabei wurde der Bericht eines damals lebenden Schlesicrs, des Kaufmanns Martin in Bolkenhain, angeführt. Das Bruchstück seiner Aufzeichnungen, welches uns erhalten und durch Heinrich Hoffmann (in 8oript. rer. I-nsat. I. 1839) nach der Handschrift herausgegeben ist, enthält kein reiches Material für den Histo¬ riker, denn der ehrliche Schlester schrieb nur auf, was er selbst erlebte oder was sich in seiner Nähe ereignete. Sein, Bericht ist wie ein kleines glänzendes Feuer auf einer weiten dunklen Haide, nur wenige Gegenstände werden sicht¬ bar, diese aber in scharfer Beleuchtung, und deshalb empfiehlt sich seine Er¬ zählung grade für solche Schilderungen, welche, das Leben der Einzelnen in der großen Bewegung ihrer Zeit nahe zu bringen bestimmt sind. Bevor meh¬ rere Stellen seines Berichts aus der schlesischen Sprache des Is. Jahrhunderts >n die vornehmere unsrer Zeit übertragen werden, möge der Leser sich vergegen¬ wärtigen, wie die Zeit war, aus welcher Martin berichtet. Während im ganzen Odergebiet und noch weiter hinauf an den Ufern der Ostsee die den.sche Race im Selbstgefühl ihres jungen Sieges über die Slawen Bildung und Anschluß bei Deutschland suchte, war näher in der Mitte des deutschen Landes ein großer Slawenstamm, uuter allen seinen Brüdern der dauerhafteste und zäheste, bereits fest in den deutschen Staats¬ körper eingefügt und länger durch deutsche Cultur beeinflußt. Prag konnte im Anfange des 13. Jahrhunderts für eine alte deutsche Stadt gelten, die Nicht nur in Recht, Verkehr und Handwerk, sondern auch in Wissenschaft und Kunst ein selbstständiges und kräftiges deutsches Leben zeigte. Während der König von Böhmen seit als deutscher Kurfürst zur Kaiserwahl ritt, und bei der Krönung den goldnen Becher schwenkte, dichteten böhmische Liedcrsänger und Chronisten in Sprache und Versform der Schwaben und malten böh¬ mische Maler Heiligenbilder und Kirchenfenster für deutsche Gotteshäu¬ ser. Ja mit den Lützelburgern war Böhmen selbst der Mittelpunkt des Reichs geworden; über dem böhmischen Königreich schwebte die Kaiserkrone und der deutsche Reichsadler, und die Blüte der Jugend aus ganz Deutsch¬ land zog nach der vielthürmigen Mvldaustadt, um dort in der Corpo¬ ration der ersten deutschen Universität ein edleres Adelsrecht zu gewinnen, als das Schwert verlieh. Damals schien es eine Zeitlang, als wenn dies schöne geschlossene Slawenlaud, welches mit seinen Bergwällen wie eine ncsige Festung ^re»ze>e>et». IV. -I8no. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_102594/193>, abgerufen am 03.07.2024.