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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Ew. Majestät dafür, daß sich unter diesen Leuten weder ein Brutus noch ein
Cassius finden wird." Könnte der Minister des Innern nicht so geantwortet
haben? Und kann man sich erklären, daß die Regierung ein so großes Gewicht
auf die Boutaden des Faubourg Se. Germain legt, nachdem die Erfahrung die
Unfähigkeit und Verrottetheit dieser Partei genugsam gelehrt hat? Ja wenn
die Russen oder Deutschen Frankreich für sie erobern wollten! Das 'Gewicht,
welches man auf die öffentliche Meinung legt, ist selbstverständlich und daß
L. Philipp die Legitimisten fürchtete, ist begreiflich, aber diese Leute, "die mit
einer Hand zerreißen, während sie mit der andern bittstellern", sind keinem
Regime gefährlich. Wenn die Furcht doch besteht, so ist diese aus dem
eignen Bewußtsein der Situation zu erklären, nicht aber aus der politischen
Rolle, welche die Legitimisten alö Partei im Lande spielen. Ein anderer
Grund, warum diese Nadelstiche des noblen Viertels empfindlich sind, ist in
gewissen persönlichen Eitelkeiten zu suchen.




Staatstmssenschafteil.
Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften. In Monographien dargestellt
von Robert von Mo si. 2 Bde. Erlangen, Ente. --

"Bei der Auffassung und Beurtheilung eines bedeutenden Menschen hat
man sich vor zwei entgegengesetzten Fehlern zu hüten. Einerseits, daß Man
die Anlegung eines objectiven sittlichen Maßstabes nicht ganz unterlasse, offen¬
bare Laster, unehrenhafte Gesinnungen und eine schädliche hieraus folgende
Handlungsweise lediglich als Thatsachen darstelle, welche die Eigenthümlichkeit
des Mannes bezeichnen und als solche wie eine Art von Schickung und fatali¬
stischer Vorausbestimmung genommen werden müssen. Andrerseits aber davor,
daß man das Urtheil über einen Mann nicht lediglich abschließe nach dem Er¬
gebniß, welches die Prüfung seiner Sittlichkeit liefert, ohne daß Rücksicht ge-'
nommer werde auf das, was er gewirkt und namentlich, was er in der That
Gutes gethan hat. Die erste Art, angeblich eine hoch über den menschlichen
Schwachheiten und Zufälligkeiten stehende Unparteilichkeit, bringt in die Gefahr
einer verwaschenen Gleichgiltigkeit gegen Tugend und Gemeinheit, entzieht der
Geschichte ihr Richtercunt und nimmt den Reiz zur Selbstüberwindung und zu
außerordentlichen Leistungen, welcher in dem gerechten Lob und Tadel der
Mir- und Nachwelt liegt. Und je glatter und gefälliger eine solche Darstellung
ist,, je künstlicher die Mischung der Farben, damit ja keine einzelne schreiend
hervortrete, desto gefährlicher ist das ganze Beginnen. Das entgegengesetzte
Verfahren ist zwar menschlich richtiger, und achtungswerth, wenn ungesundes,


Ew. Majestät dafür, daß sich unter diesen Leuten weder ein Brutus noch ein
Cassius finden wird." Könnte der Minister des Innern nicht so geantwortet
haben? Und kann man sich erklären, daß die Regierung ein so großes Gewicht
auf die Boutaden des Faubourg Se. Germain legt, nachdem die Erfahrung die
Unfähigkeit und Verrottetheit dieser Partei genugsam gelehrt hat? Ja wenn
die Russen oder Deutschen Frankreich für sie erobern wollten! Das 'Gewicht,
welches man auf die öffentliche Meinung legt, ist selbstverständlich und daß
L. Philipp die Legitimisten fürchtete, ist begreiflich, aber diese Leute, „die mit
einer Hand zerreißen, während sie mit der andern bittstellern", sind keinem
Regime gefährlich. Wenn die Furcht doch besteht, so ist diese aus dem
eignen Bewußtsein der Situation zu erklären, nicht aber aus der politischen
Rolle, welche die Legitimisten alö Partei im Lande spielen. Ein anderer
Grund, warum diese Nadelstiche des noblen Viertels empfindlich sind, ist in
gewissen persönlichen Eitelkeiten zu suchen.




Staatstmssenschafteil.
Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften. In Monographien dargestellt
von Robert von Mo si. 2 Bde. Erlangen, Ente. —

„Bei der Auffassung und Beurtheilung eines bedeutenden Menschen hat
man sich vor zwei entgegengesetzten Fehlern zu hüten. Einerseits, daß Man
die Anlegung eines objectiven sittlichen Maßstabes nicht ganz unterlasse, offen¬
bare Laster, unehrenhafte Gesinnungen und eine schädliche hieraus folgende
Handlungsweise lediglich als Thatsachen darstelle, welche die Eigenthümlichkeit
des Mannes bezeichnen und als solche wie eine Art von Schickung und fatali¬
stischer Vorausbestimmung genommen werden müssen. Andrerseits aber davor,
daß man das Urtheil über einen Mann nicht lediglich abschließe nach dem Er¬
gebniß, welches die Prüfung seiner Sittlichkeit liefert, ohne daß Rücksicht ge-'
nommer werde auf das, was er gewirkt und namentlich, was er in der That
Gutes gethan hat. Die erste Art, angeblich eine hoch über den menschlichen
Schwachheiten und Zufälligkeiten stehende Unparteilichkeit, bringt in die Gefahr
einer verwaschenen Gleichgiltigkeit gegen Tugend und Gemeinheit, entzieht der
Geschichte ihr Richtercunt und nimmt den Reiz zur Selbstüberwindung und zu
außerordentlichen Leistungen, welcher in dem gerechten Lob und Tadel der
Mir- und Nachwelt liegt. Und je glatter und gefälliger eine solche Darstellung
ist,, je künstlicher die Mischung der Farben, damit ja keine einzelne schreiend
hervortrete, desto gefährlicher ist das ganze Beginnen. Das entgegengesetzte
Verfahren ist zwar menschlich richtiger, und achtungswerth, wenn ungesundes,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/222>, abgerufen am 05.07.2024.