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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Mvzm'es Leben.

W. N. Mozart von Otto Jahr. 1. Theil. Mit 2 Bildnissen Mozarts und
einem Facsimile seiner Handschrift. Leipzig, Breitkopf und Hcirtcl. 18156. --

Wenn eine Biographie Mozarts den Namen eines so gründlich forschenden
und fein urtheilenden Mannes an der Spitze trägt, wie der Verfasser auf dem
Gebiete der Alterthumskunde und ver musikalischen Kritik ist, so verspricht sie eine
so reiche Ausbeute neuen Materials und eine so eingehende Verarbeitung des¬
selben, daß für die, welche eine Art berufsmäßiges Interesse an der künstleri¬
schen Individualität Mozarts und an seinem Einflüsse ans die Entwicklung der
Musik haben, eil.le Empfehlung des Buchs kaum nöthig scheint. Bücher wie
dieses haben aber ihrer Natur nach zugleich Anspruch, von einem größeren
Publieum beachtet und benutzt zu werden. Die Musik ist in diesem Augen¬
blick in Deutschland ziemlich die populärste aller Künste; und während unter
der großen Masse ihrer Erzeugnisse weitaus der größte Theil zuletzt doch nur
dem Zeitvertreib dient, ein kleinerer, aber desto anspruchsvollerer Theil dagegen,
das Barocke mit dem Originelle", das Effectvvlle mit dem Schönen, bisweilen
wol auch das Unverständige mit dem Großen und Erhabenen zu verwechseln
in Gefahr ist, ergreift Mozarts anmutige Schönheit, wie die Gestalten der
griechischen.Götterwelt, immer noch eine Menge von Gemüthern, die, ungerührt
von der Musik der Zukunft, sich ihrer Genügsamkeit an der Musik der Ver¬
gangenheit in' aller Stille herzlich erfreuen. Solchen Lesern nun, die weder
Musiker von Fach sind, noch Kunstgeschichte berufsmäßig treiben, aber sich für
einen ihrer großen musikalische" Lieblinge lebhaft iuteresstren, könnte der An¬
blick dieses ersten, über 70V, wenn auch nicht gar zu eng gedruckte Seiten
starken Bandes, doch wol eine kleine Angst vor allzuviel Gelehrsamkeit oder
sonstigen Weitläufigkeiten einjagen; und Schreiber dieses muß gestehen, daß er
mit Rücksicht auf das Publieum, in dessen Händen er das Buch am liebsten
sähe, 'selbst den Anflug einer ähnlichen Empfindung gehabt hat. Gleichwol
darf er hinzusetzen, daß er bei genauerer Prüfung und mit Abrechnung einiger
Nebenpunkte, wohin er namentlich die Analysen der den ältern Opern Mo¬
zarts zu Grunde liegenden Terte rechnet, die ohne Verlust etwas kürzer ge-


Grciijbvten. I. t8ö". > (i
Mvzm'es Leben.

W. N. Mozart von Otto Jahr. 1. Theil. Mit 2 Bildnissen Mozarts und
einem Facsimile seiner Handschrift. Leipzig, Breitkopf und Hcirtcl. 18156. —

Wenn eine Biographie Mozarts den Namen eines so gründlich forschenden
und fein urtheilenden Mannes an der Spitze trägt, wie der Verfasser auf dem
Gebiete der Alterthumskunde und ver musikalischen Kritik ist, so verspricht sie eine
so reiche Ausbeute neuen Materials und eine so eingehende Verarbeitung des¬
selben, daß für die, welche eine Art berufsmäßiges Interesse an der künstleri¬
schen Individualität Mozarts und an seinem Einflüsse ans die Entwicklung der
Musik haben, eil.le Empfehlung des Buchs kaum nöthig scheint. Bücher wie
dieses haben aber ihrer Natur nach zugleich Anspruch, von einem größeren
Publieum beachtet und benutzt zu werden. Die Musik ist in diesem Augen¬
blick in Deutschland ziemlich die populärste aller Künste; und während unter
der großen Masse ihrer Erzeugnisse weitaus der größte Theil zuletzt doch nur
dem Zeitvertreib dient, ein kleinerer, aber desto anspruchsvollerer Theil dagegen,
das Barocke mit dem Originelle», das Effectvvlle mit dem Schönen, bisweilen
wol auch das Unverständige mit dem Großen und Erhabenen zu verwechseln
in Gefahr ist, ergreift Mozarts anmutige Schönheit, wie die Gestalten der
griechischen.Götterwelt, immer noch eine Menge von Gemüthern, die, ungerührt
von der Musik der Zukunft, sich ihrer Genügsamkeit an der Musik der Ver¬
gangenheit in' aller Stille herzlich erfreuen. Solchen Lesern nun, die weder
Musiker von Fach sind, noch Kunstgeschichte berufsmäßig treiben, aber sich für
einen ihrer großen musikalische» Lieblinge lebhaft iuteresstren, könnte der An¬
blick dieses ersten, über 70V, wenn auch nicht gar zu eng gedruckte Seiten
starken Bandes, doch wol eine kleine Angst vor allzuviel Gelehrsamkeit oder
sonstigen Weitläufigkeiten einjagen; und Schreiber dieses muß gestehen, daß er
mit Rücksicht auf das Publieum, in dessen Händen er das Buch am liebsten
sähe, 'selbst den Anflug einer ähnlichen Empfindung gehabt hat. Gleichwol
darf er hinzusetzen, daß er bei genauerer Prüfung und mit Abrechnung einiger
Nebenpunkte, wohin er namentlich die Analysen der den ältern Opern Mo¬
zarts zu Grunde liegenden Terte rechnet, die ohne Verlust etwas kürzer ge-


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[0049] Mvzm'es Leben. W. N. Mozart von Otto Jahr. 1. Theil. Mit 2 Bildnissen Mozarts und einem Facsimile seiner Handschrift. Leipzig, Breitkopf und Hcirtcl. 18156. — Wenn eine Biographie Mozarts den Namen eines so gründlich forschenden und fein urtheilenden Mannes an der Spitze trägt, wie der Verfasser auf dem Gebiete der Alterthumskunde und ver musikalischen Kritik ist, so verspricht sie eine so reiche Ausbeute neuen Materials und eine so eingehende Verarbeitung des¬ selben, daß für die, welche eine Art berufsmäßiges Interesse an der künstleri¬ schen Individualität Mozarts und an seinem Einflüsse ans die Entwicklung der Musik haben, eil.le Empfehlung des Buchs kaum nöthig scheint. Bücher wie dieses haben aber ihrer Natur nach zugleich Anspruch, von einem größeren Publieum beachtet und benutzt zu werden. Die Musik ist in diesem Augen¬ blick in Deutschland ziemlich die populärste aller Künste; und während unter der großen Masse ihrer Erzeugnisse weitaus der größte Theil zuletzt doch nur dem Zeitvertreib dient, ein kleinerer, aber desto anspruchsvollerer Theil dagegen, das Barocke mit dem Originelle», das Effectvvlle mit dem Schönen, bisweilen wol auch das Unverständige mit dem Großen und Erhabenen zu verwechseln in Gefahr ist, ergreift Mozarts anmutige Schönheit, wie die Gestalten der griechischen.Götterwelt, immer noch eine Menge von Gemüthern, die, ungerührt von der Musik der Zukunft, sich ihrer Genügsamkeit an der Musik der Ver¬ gangenheit in' aller Stille herzlich erfreuen. Solchen Lesern nun, die weder Musiker von Fach sind, noch Kunstgeschichte berufsmäßig treiben, aber sich für einen ihrer großen musikalische» Lieblinge lebhaft iuteresstren, könnte der An¬ blick dieses ersten, über 70V, wenn auch nicht gar zu eng gedruckte Seiten starken Bandes, doch wol eine kleine Angst vor allzuviel Gelehrsamkeit oder sonstigen Weitläufigkeiten einjagen; und Schreiber dieses muß gestehen, daß er mit Rücksicht auf das Publieum, in dessen Händen er das Buch am liebsten sähe, 'selbst den Anflug einer ähnlichen Empfindung gehabt hat. Gleichwol darf er hinzusetzen, daß er bei genauerer Prüfung und mit Abrechnung einiger Nebenpunkte, wohin er namentlich die Analysen der den ältern Opern Mo¬ zarts zu Grunde liegenden Terte rechnet, die ohne Verlust etwas kürzer ge- Grciijbvten. I. t8ö«. > (i

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/49>, abgerufen am 23.07.2024.