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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Streben nach phantastischer Freiheit der einen, die Bemühungen der andern,
den menschlichen Geist zu lahmen u. s. w,, alles das betrübt jeden Redlichen,
der nur in dem Blick nach dem Ucberirdischen Trost 'und Beruhigung finden
kann. Um ihn ungestört darauf verwenden, von einer Welt, die mich anekelt,
abwenden zu können, deshalb ist mir Einsamkeit theuer. Zu allem diesem
treten noch die Beschwerlichkeiten des Alters; von ihnen die empfindlichste,
das Verschwinden der Zeitgenossen, unter ihnen der Freunde der Jugend, der
Gefährten unsrer Thätigkeit, die uns mit Liebe und Theilnahme umgaben;
statt ihrer stehen wir unter einem uns fremden Geschlecht, uns unverständlich,
und wir ihnen, isolirt, Freunde- und Freudenlos." -- Wem fällt dabei nicht
Goethes schöner Spruch ein:


Ein alter Mann ist stets ein König Lear,
Was Hand in Hand mitwirkte, stritt,
Ist längst vorbeigegangen.
Was mit und an dir liebte, litt,
Hat sich wo anders angehangen. >
Die Jugend ist um ihretwillen hier,
Es wäre thöricht, zu verlangen
Komm, altke Du mit mir. --

Ehrfurcht vor dem hohen Greise, dessen schöne Stirn der Lorbeerkranz
glorreicher Tage schmückt; aber man wolle uns nicht zumuthen, die Stimmung
seines Alters als die letzten Resultate der menschlichen Weisheit zu verehren.
Goethe und Stein endigten mit der Philosophie der Resignation, als aber
der eine den Faust schrieb und der andere > die Franzosen aus Deutschland
verjagte, haben sie nicht resignirt und auch uns, dem Geschlecht der Gegenwart
wird jede andere Stimmung besser stehn, als stilles Entsagen.




Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Der wasunger Krieg.,

Der dreißigjährige Krieg war beendigt, der größte Theil von Deutschland
lag wie ein Kirchhof in Todtenruhe. Die Mehrzahl der Aecker war mit Un¬
kraut bedeckt, die Kraft der großen Städte gebrochen, viele Familien der ad¬
ligen Grundbesitzer ausgestorben; was von Menschen das Ende dieses Kampfes
erlebte, war muthlos, verarmt, verdorben. Wo das Unwetter des Kriegs hin¬
geschlagen hatte -- und es gab wenig Landschaften, die es nicht getroffen --
da hatte es die Bewohner weggesengt, die Häuser zerrissen, die Felder ver¬
wüstet. Zahlreiche Dörfer waren ganz vom Erdboden verschwunden, in andern
standen Scheuern und Ställe leer, mit zertrümmerten Thüren; der Wind hatte


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Streben nach phantastischer Freiheit der einen, die Bemühungen der andern,
den menschlichen Geist zu lahmen u. s. w,, alles das betrübt jeden Redlichen,
der nur in dem Blick nach dem Ucberirdischen Trost 'und Beruhigung finden
kann. Um ihn ungestört darauf verwenden, von einer Welt, die mich anekelt,
abwenden zu können, deshalb ist mir Einsamkeit theuer. Zu allem diesem
treten noch die Beschwerlichkeiten des Alters; von ihnen die empfindlichste,
das Verschwinden der Zeitgenossen, unter ihnen der Freunde der Jugend, der
Gefährten unsrer Thätigkeit, die uns mit Liebe und Theilnahme umgaben;
statt ihrer stehen wir unter einem uns fremden Geschlecht, uns unverständlich,
und wir ihnen, isolirt, Freunde- und Freudenlos." — Wem fällt dabei nicht
Goethes schöner Spruch ein:


Ein alter Mann ist stets ein König Lear,
Was Hand in Hand mitwirkte, stritt,
Ist längst vorbeigegangen.
Was mit und an dir liebte, litt,
Hat sich wo anders angehangen. >
Die Jugend ist um ihretwillen hier,
Es wäre thöricht, zu verlangen
Komm, altke Du mit mir. —

Ehrfurcht vor dem hohen Greise, dessen schöne Stirn der Lorbeerkranz
glorreicher Tage schmückt; aber man wolle uns nicht zumuthen, die Stimmung
seines Alters als die letzten Resultate der menschlichen Weisheit zu verehren.
Goethe und Stein endigten mit der Philosophie der Resignation, als aber
der eine den Faust schrieb und der andere > die Franzosen aus Deutschland
verjagte, haben sie nicht resignirt und auch uns, dem Geschlecht der Gegenwart
wird jede andere Stimmung besser stehn, als stilles Entsagen.




Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Der wasunger Krieg.,

Der dreißigjährige Krieg war beendigt, der größte Theil von Deutschland
lag wie ein Kirchhof in Todtenruhe. Die Mehrzahl der Aecker war mit Un¬
kraut bedeckt, die Kraft der großen Städte gebrochen, viele Familien der ad¬
ligen Grundbesitzer ausgestorben; was von Menschen das Ende dieses Kampfes
erlebte, war muthlos, verarmt, verdorben. Wo das Unwetter des Kriegs hin¬
geschlagen hatte — und es gab wenig Landschaften, die es nicht getroffen —
da hatte es die Bewohner weggesengt, die Häuser zerrissen, die Felder ver¬
wüstet. Zahlreiche Dörfer waren ganz vom Erdboden verschwunden, in andern
standen Scheuern und Ställe leer, mit zertrümmerten Thüren; der Wind hatte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/19>, abgerufen am 23.07.2024.