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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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gewohnt hatte, war von mittlerer Größe, untersetzter, stämmiger Gestalt, starken
Gliedern, breiter Brust und Schultern und hatte im Laus eines langen, heftig
bewegten Lebens.seine M)e, ausdauernde Kraft bewährt. Noch wenige Jahre
zuvor besaß er alle seine Zähne, wie sie sein Vater im 81. Jahre mit ins
Grab genommen hatte. Aus der breiten, gewölbten Stirn und der mächtigen
Nase, den starken Kinnbacken und dem festgeschlossenen Munde sprach der
scharfe, durchdringende und umfassende Geist, die mächtige unverwüstliche
Willenskraft, die, wo Pflicht gebot, vor keinem Hinderniß zurückwich; und die
rasche Beweglichkeit seines Wesens spiegelte sich in den feinen braunen Augen,
wie auf den feinen schmalen Lippen der Ausdruck des strengen Ernstes mit kind¬
licher Milde und Gutmüthigkeit oder raschem Spotte leicht abwechselte. Rasch und
bestimmt, wie sein ganzes Sein, sein Empfangen und Urtheilen, sein Wollen
und Ausführen, .war seine Bewegung. Seine Rede kurz und entschieden, wie
er sie auch bei andern liebte; schwatzen und um die Sache herumgehen, war
ihm ein Greuel. Sei" Gang fest und kräftig, wobei er sich im Alter eines
Krückstockes, seines "braunen Hengstes" bediente, mit dem er sich auf seinen
täglichen Spaziergängen, in Frankfurt wie auf dem Lande, nöthigenfalls vor
den Füßen freie Bahn machte. Fremde Hilfe, wo sie etwa aus guter Absicht
geleistet werden wollte, wies er mit Entschiedenheit zurück, wie er auch zu nahe
körperliche Berührung, selbst der Seinigen, schroff ablehnte. Sein Anzug ein¬
fach, dem Bedürfniß gemäß; ein dunkelblaues oder schwarzes Kleid bezeichnete
den Vertrauten Alexanders mitten unter den glänzenden Uniformen des kaiser¬
lichen Hauptquartiers zu Kalisch, wie später in der ländlichen Zurückgezogen¬
heit in Cappenberg.' Man muß die Stelle selbst nachschlagen, die weitere Be¬
schreibung seiner Lebensgewohnheiten ist sehr interessant, aber sie ist zu lang,
um hier mitgetheilt zu werden.

Das Bild des großen, echt deutschen Mannes, der das schönste
Blatt unsrer Geschichte vollgeschrieben hat, wird durch die Haltung seines
Alters nicht im mindesten verdunkelt und wir müssen dem Herausgeber
seiner Denkwürdigkeiten, in deren Anordnung wir manches anders wünschten,
den größten Dank wissen, daß er sich niemals durch falsche Pietät gegen
diesen oder jenen hat verleiten lassen, irgendetwas zu unterdrücken. Eine
Heldengestalt wie Stein bedarf der Beschönigungen nicht; sie ist in zu großen
Zügen auf die Tafel der Geschichte gezeichnet, als daß kleine Züge in
Betracht kommen könnten. Aber eins müssen wir denjenigen, die sich auf
Steins Alter berufen, um ihre antiquirten Doctrinen der Welt durch ein
leuchtendes Beispiel zu empfehlen, in Erinnerung bringen: Stein war ein
alter Mann. "Es fehlt nicht/' schreibt er Juli an Gagern, "an
mancherlei Ursachen zu gegründeten Klagen. Der Zustand der öffentlichen
Angelegenheiten ist nirgend, am wenigsten in Deutschland, erfreulich. DaS


gewohnt hatte, war von mittlerer Größe, untersetzter, stämmiger Gestalt, starken
Gliedern, breiter Brust und Schultern und hatte im Laus eines langen, heftig
bewegten Lebens.seine M)e, ausdauernde Kraft bewährt. Noch wenige Jahre
zuvor besaß er alle seine Zähne, wie sie sein Vater im 81. Jahre mit ins
Grab genommen hatte. Aus der breiten, gewölbten Stirn und der mächtigen
Nase, den starken Kinnbacken und dem festgeschlossenen Munde sprach der
scharfe, durchdringende und umfassende Geist, die mächtige unverwüstliche
Willenskraft, die, wo Pflicht gebot, vor keinem Hinderniß zurückwich; und die
rasche Beweglichkeit seines Wesens spiegelte sich in den feinen braunen Augen,
wie auf den feinen schmalen Lippen der Ausdruck des strengen Ernstes mit kind¬
licher Milde und Gutmüthigkeit oder raschem Spotte leicht abwechselte. Rasch und
bestimmt, wie sein ganzes Sein, sein Empfangen und Urtheilen, sein Wollen
und Ausführen, .war seine Bewegung. Seine Rede kurz und entschieden, wie
er sie auch bei andern liebte; schwatzen und um die Sache herumgehen, war
ihm ein Greuel. Sei» Gang fest und kräftig, wobei er sich im Alter eines
Krückstockes, seines „braunen Hengstes" bediente, mit dem er sich auf seinen
täglichen Spaziergängen, in Frankfurt wie auf dem Lande, nöthigenfalls vor
den Füßen freie Bahn machte. Fremde Hilfe, wo sie etwa aus guter Absicht
geleistet werden wollte, wies er mit Entschiedenheit zurück, wie er auch zu nahe
körperliche Berührung, selbst der Seinigen, schroff ablehnte. Sein Anzug ein¬
fach, dem Bedürfniß gemäß; ein dunkelblaues oder schwarzes Kleid bezeichnete
den Vertrauten Alexanders mitten unter den glänzenden Uniformen des kaiser¬
lichen Hauptquartiers zu Kalisch, wie später in der ländlichen Zurückgezogen¬
heit in Cappenberg.' Man muß die Stelle selbst nachschlagen, die weitere Be¬
schreibung seiner Lebensgewohnheiten ist sehr interessant, aber sie ist zu lang,
um hier mitgetheilt zu werden.

Das Bild des großen, echt deutschen Mannes, der das schönste
Blatt unsrer Geschichte vollgeschrieben hat, wird durch die Haltung seines
Alters nicht im mindesten verdunkelt und wir müssen dem Herausgeber
seiner Denkwürdigkeiten, in deren Anordnung wir manches anders wünschten,
den größten Dank wissen, daß er sich niemals durch falsche Pietät gegen
diesen oder jenen hat verleiten lassen, irgendetwas zu unterdrücken. Eine
Heldengestalt wie Stein bedarf der Beschönigungen nicht; sie ist in zu großen
Zügen auf die Tafel der Geschichte gezeichnet, als daß kleine Züge in
Betracht kommen könnten. Aber eins müssen wir denjenigen, die sich auf
Steins Alter berufen, um ihre antiquirten Doctrinen der Welt durch ein
leuchtendes Beispiel zu empfehlen, in Erinnerung bringen: Stein war ein
alter Mann. „Es fehlt nicht/' schreibt er Juli an Gagern, „an
mancherlei Ursachen zu gegründeten Klagen. Der Zustand der öffentlichen
Angelegenheiten ist nirgend, am wenigsten in Deutschland, erfreulich. DaS


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[0018] gewohnt hatte, war von mittlerer Größe, untersetzter, stämmiger Gestalt, starken Gliedern, breiter Brust und Schultern und hatte im Laus eines langen, heftig bewegten Lebens.seine M)e, ausdauernde Kraft bewährt. Noch wenige Jahre zuvor besaß er alle seine Zähne, wie sie sein Vater im 81. Jahre mit ins Grab genommen hatte. Aus der breiten, gewölbten Stirn und der mächtigen Nase, den starken Kinnbacken und dem festgeschlossenen Munde sprach der scharfe, durchdringende und umfassende Geist, die mächtige unverwüstliche Willenskraft, die, wo Pflicht gebot, vor keinem Hinderniß zurückwich; und die rasche Beweglichkeit seines Wesens spiegelte sich in den feinen braunen Augen, wie auf den feinen schmalen Lippen der Ausdruck des strengen Ernstes mit kind¬ licher Milde und Gutmüthigkeit oder raschem Spotte leicht abwechselte. Rasch und bestimmt, wie sein ganzes Sein, sein Empfangen und Urtheilen, sein Wollen und Ausführen, .war seine Bewegung. Seine Rede kurz und entschieden, wie er sie auch bei andern liebte; schwatzen und um die Sache herumgehen, war ihm ein Greuel. Sei» Gang fest und kräftig, wobei er sich im Alter eines Krückstockes, seines „braunen Hengstes" bediente, mit dem er sich auf seinen täglichen Spaziergängen, in Frankfurt wie auf dem Lande, nöthigenfalls vor den Füßen freie Bahn machte. Fremde Hilfe, wo sie etwa aus guter Absicht geleistet werden wollte, wies er mit Entschiedenheit zurück, wie er auch zu nahe körperliche Berührung, selbst der Seinigen, schroff ablehnte. Sein Anzug ein¬ fach, dem Bedürfniß gemäß; ein dunkelblaues oder schwarzes Kleid bezeichnete den Vertrauten Alexanders mitten unter den glänzenden Uniformen des kaiser¬ lichen Hauptquartiers zu Kalisch, wie später in der ländlichen Zurückgezogen¬ heit in Cappenberg.' Man muß die Stelle selbst nachschlagen, die weitere Be¬ schreibung seiner Lebensgewohnheiten ist sehr interessant, aber sie ist zu lang, um hier mitgetheilt zu werden. Das Bild des großen, echt deutschen Mannes, der das schönste Blatt unsrer Geschichte vollgeschrieben hat, wird durch die Haltung seines Alters nicht im mindesten verdunkelt und wir müssen dem Herausgeber seiner Denkwürdigkeiten, in deren Anordnung wir manches anders wünschten, den größten Dank wissen, daß er sich niemals durch falsche Pietät gegen diesen oder jenen hat verleiten lassen, irgendetwas zu unterdrücken. Eine Heldengestalt wie Stein bedarf der Beschönigungen nicht; sie ist in zu großen Zügen auf die Tafel der Geschichte gezeichnet, als daß kleine Züge in Betracht kommen könnten. Aber eins müssen wir denjenigen, die sich auf Steins Alter berufen, um ihre antiquirten Doctrinen der Welt durch ein leuchtendes Beispiel zu empfehlen, in Erinnerung bringen: Stein war ein alter Mann. „Es fehlt nicht/' schreibt er Juli an Gagern, „an mancherlei Ursachen zu gegründeten Klagen. Der Zustand der öffentlichen Angelegenheiten ist nirgend, am wenigsten in Deutschland, erfreulich. DaS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/18>, abgerufen am 25.08.2024.