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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Deutsche Fnstmchtsgebrmlche.

In zwei frühern Aufsätzen wurde auf die Sitten und den Aberglauben
aufmerksam gemacht, welche sich in den verschiedenen Gegenden Deutschlands
an Ostern und Pfingsten, an den Mittsommcrtag und an die zwölf Nächte der
Weihnachtszeit knüpfen. Die folgende Darstellung ist bestimmt, die noch fehlen¬
den Daten aus dem Februar nachzuholen und namentlich zu zeigen, daß auch
die Fastnacht mit ihren Possen "und ihren Schmäusen zum Theil in das
Bereich der Nachklänge des deutschen Heidenthums gehört.

An welchem Tage das Fest gefeiert wurde, dessen Erinnerungen und Reste
sich mit den römischen Lupercalien und verschiedenen Einflüssen des mittelalter¬
lichen Christenthums zu der Gestalt verschmolzen, die im Folgenden zu schildern
sein wird, welcher Gottheit es galt und wie es sich ausgenommen haben mag,
als Römerthum und Christenthum die Alpen noch nicht überstiegen hatten,
wird immer Gegenstand bloßer Vermuthung bleiben. Daß im Februar von
den alten Germanen ein großes Fest gefeiert worden ist, dürfte mehr alö bloße
Vermuthung sein und selbst über jene dunklern Punkte liegen wenigstens einige
beachtenswerthe Andeutungen vor. Jacob Grimm hat in seiner deutschen My¬
thologie einen Kalender der heidnischen Feste versprochen. Das Folgende soll
zeigen, wie wir uns ungefähr das Bild denken, welches dieser Kalender von
der Feier entwerfen wird, deren Spuren uns in den Gebräuchen, Bauernregeln
und dem Aberglauben unsrer Fastnachtszeit aufgehoben sind, wobei indeß von
vornherein zu bemerken ist, daß Das Ganze unsrer Darstellung bei dem uns
zugemessenen Raume keinen Anspruch auf eine streng wissenschaftliche Unter¬
suchung machen kann, sondern nur Material liefern und nebenher zu weiterem
Suchen anregen soll.

Wir glauben, um das Ergebniß der nachstehenden Betrachtungen gleich
zu Anfang anzukündigen, daß ein Theil der Sitten, Sagen und Redensarten,
welche sich unter dem Volke an Lichtmesse und Fastnacht knüpfen, Reste eines
Festes sind, mit welchem die deutschen Heiden den Frühling empfingen und
wir vermuthen, daß dieses Fest von einigen Stämmen um die Zeit des Wieder¬
auflebens des Safts in den Bäumen und des Wiedererscheiueus der Lerchen


Grenzboten. I. 1856. 2 t
Deutsche Fnstmchtsgebrmlche.

In zwei frühern Aufsätzen wurde auf die Sitten und den Aberglauben
aufmerksam gemacht, welche sich in den verschiedenen Gegenden Deutschlands
an Ostern und Pfingsten, an den Mittsommcrtag und an die zwölf Nächte der
Weihnachtszeit knüpfen. Die folgende Darstellung ist bestimmt, die noch fehlen¬
den Daten aus dem Februar nachzuholen und namentlich zu zeigen, daß auch
die Fastnacht mit ihren Possen »und ihren Schmäusen zum Theil in das
Bereich der Nachklänge des deutschen Heidenthums gehört.

An welchem Tage das Fest gefeiert wurde, dessen Erinnerungen und Reste
sich mit den römischen Lupercalien und verschiedenen Einflüssen des mittelalter¬
lichen Christenthums zu der Gestalt verschmolzen, die im Folgenden zu schildern
sein wird, welcher Gottheit es galt und wie es sich ausgenommen haben mag,
als Römerthum und Christenthum die Alpen noch nicht überstiegen hatten,
wird immer Gegenstand bloßer Vermuthung bleiben. Daß im Februar von
den alten Germanen ein großes Fest gefeiert worden ist, dürfte mehr alö bloße
Vermuthung sein und selbst über jene dunklern Punkte liegen wenigstens einige
beachtenswerthe Andeutungen vor. Jacob Grimm hat in seiner deutschen My¬
thologie einen Kalender der heidnischen Feste versprochen. Das Folgende soll
zeigen, wie wir uns ungefähr das Bild denken, welches dieser Kalender von
der Feier entwerfen wird, deren Spuren uns in den Gebräuchen, Bauernregeln
und dem Aberglauben unsrer Fastnachtszeit aufgehoben sind, wobei indeß von
vornherein zu bemerken ist, daß Das Ganze unsrer Darstellung bei dem uns
zugemessenen Raume keinen Anspruch auf eine streng wissenschaftliche Unter¬
suchung machen kann, sondern nur Material liefern und nebenher zu weiterem
Suchen anregen soll.

Wir glauben, um das Ergebniß der nachstehenden Betrachtungen gleich
zu Anfang anzukündigen, daß ein Theil der Sitten, Sagen und Redensarten,
welche sich unter dem Volke an Lichtmesse und Fastnacht knüpfen, Reste eines
Festes sind, mit welchem die deutschen Heiden den Frühling empfingen und
wir vermuthen, daß dieses Fest von einigen Stämmen um die Zeit des Wieder¬
auflebens des Safts in den Bäumen und des Wiedererscheiueus der Lerchen


Grenzboten. I. 1856. 2 t
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[0169] Deutsche Fnstmchtsgebrmlche. In zwei frühern Aufsätzen wurde auf die Sitten und den Aberglauben aufmerksam gemacht, welche sich in den verschiedenen Gegenden Deutschlands an Ostern und Pfingsten, an den Mittsommcrtag und an die zwölf Nächte der Weihnachtszeit knüpfen. Die folgende Darstellung ist bestimmt, die noch fehlen¬ den Daten aus dem Februar nachzuholen und namentlich zu zeigen, daß auch die Fastnacht mit ihren Possen »und ihren Schmäusen zum Theil in das Bereich der Nachklänge des deutschen Heidenthums gehört. An welchem Tage das Fest gefeiert wurde, dessen Erinnerungen und Reste sich mit den römischen Lupercalien und verschiedenen Einflüssen des mittelalter¬ lichen Christenthums zu der Gestalt verschmolzen, die im Folgenden zu schildern sein wird, welcher Gottheit es galt und wie es sich ausgenommen haben mag, als Römerthum und Christenthum die Alpen noch nicht überstiegen hatten, wird immer Gegenstand bloßer Vermuthung bleiben. Daß im Februar von den alten Germanen ein großes Fest gefeiert worden ist, dürfte mehr alö bloße Vermuthung sein und selbst über jene dunklern Punkte liegen wenigstens einige beachtenswerthe Andeutungen vor. Jacob Grimm hat in seiner deutschen My¬ thologie einen Kalender der heidnischen Feste versprochen. Das Folgende soll zeigen, wie wir uns ungefähr das Bild denken, welches dieser Kalender von der Feier entwerfen wird, deren Spuren uns in den Gebräuchen, Bauernregeln und dem Aberglauben unsrer Fastnachtszeit aufgehoben sind, wobei indeß von vornherein zu bemerken ist, daß Das Ganze unsrer Darstellung bei dem uns zugemessenen Raume keinen Anspruch auf eine streng wissenschaftliche Unter¬ suchung machen kann, sondern nur Material liefern und nebenher zu weiterem Suchen anregen soll. Wir glauben, um das Ergebniß der nachstehenden Betrachtungen gleich zu Anfang anzukündigen, daß ein Theil der Sitten, Sagen und Redensarten, welche sich unter dem Volke an Lichtmesse und Fastnacht knüpfen, Reste eines Festes sind, mit welchem die deutschen Heiden den Frühling empfingen und wir vermuthen, daß dieses Fest von einigen Stämmen um die Zeit des Wieder¬ auflebens des Safts in den Bäumen und des Wiedererscheiueus der Lerchen Grenzboten. I. 1856. 2 t

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/169>, abgerufen am 23.07.2024.