Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hoffen, daß auch in dieser Beziehung die Vorurtheile der Einsicht allmälig
weichen werden.




Die Schlacht an der Tschernaja.
(16. August).

Ich nehme heute Gelegenheit, Ihnen nach den von mir eingezogenen Nach¬
richten und auf Grundlage einiger Correspondenzartikel, die sich in den hier el>
scheinenden Tagesblättern finden, eine Schilderung der Schlacht vom 16. August
zu entwerfen. Man wird dieselbe Bataille de la Tschernaja nennen; eigentliche
Brennpunkte des Kampfes waren das Wirthshaus (im Russischen Traktir, was sich
von Traiteur herzuleiten scheint), wo sich eine steinerne Brücke über den Fluß
hin befindet, die man, wie es scheint, leichtsinnigerweise nur durch eine
leichte, von schwacher Mannschaft besetzte Flesche gedeckt hatte, und das Dorf
oder der Flecken Tschorguna, weiter oberhalb, eine Ortschaft, die sich auf beide
Ufer der Tschernaja erstreckt, und keine weitern bedeutenden Baulichkeiten als
zwei oder drei große Hans (tartarische Herbergen) einschließt.

Ueber diese beiden Punkte, welche etwa Dreiviertelstunden auseinander gele¬
gen sind, erweiterte sich das Schlachtfeld nach ober- und unterhalb dergestalt, daß
die Entwicklung beider Fronten, der russischen und der der alliirten Truppen,
bei dieser Action auf etwa eine Meile angenommen werden kann.

Wie sich nachträglich mehr und mehr herausgestellt hat, bereiteten die
Russen den Schlag seit längerer Zeit vor, und zwar lag demselben nach hie¬
sigen Vermuthungen der Zweck unter: hinter Kadikoj, zwischen dem Dorfe
Karcmy und der Meierei Karagatsch, das Plateau des Chersones oder die
Hauptposition der Verbündeten zu ersteigen und ihnen in dieser Weise eine
Katastrophe zu bereiten, die, wenn sie eingetreten wäre, über den Feldzug in
der Krim hätte entscheiden müssen. Um beurtheilen zu können, ob die Russen
ihren Plan möglicherweise hätten ins Werk setzen können, müßte ich anwesend
gewesen sein oder mindestens das in Frage kommende Terrain aus eigner
Anschauung kennen, was nicht der Fall ist.

Man sieht bis zur Stunde noch nicht klar in Betreff der Arrangements,
welche man feindlicherseits behufs der Ausführung der Unternehmung getroffen
hatte; zumal laufen die Angaben in Hinsicht der Stärke der von den Russen
verwendeten Truppenmassen einander diametral entgegen und schwanken
zwischen 30--100,000 Mann. Die ersten Angaben, welche hier einliefen,
und denen zufolge die Streitmacht des Feindes nicht 35,000 Mann erreicht
hatte, unterschätzten dieselbe ohne Zweifel. Jetzt, nachdem man die Todten zu


hoffen, daß auch in dieser Beziehung die Vorurtheile der Einsicht allmälig
weichen werden.




Die Schlacht an der Tschernaja.
(16. August).

Ich nehme heute Gelegenheit, Ihnen nach den von mir eingezogenen Nach¬
richten und auf Grundlage einiger Correspondenzartikel, die sich in den hier el>
scheinenden Tagesblättern finden, eine Schilderung der Schlacht vom 16. August
zu entwerfen. Man wird dieselbe Bataille de la Tschernaja nennen; eigentliche
Brennpunkte des Kampfes waren das Wirthshaus (im Russischen Traktir, was sich
von Traiteur herzuleiten scheint), wo sich eine steinerne Brücke über den Fluß
hin befindet, die man, wie es scheint, leichtsinnigerweise nur durch eine
leichte, von schwacher Mannschaft besetzte Flesche gedeckt hatte, und das Dorf
oder der Flecken Tschorguna, weiter oberhalb, eine Ortschaft, die sich auf beide
Ufer der Tschernaja erstreckt, und keine weitern bedeutenden Baulichkeiten als
zwei oder drei große Hans (tartarische Herbergen) einschließt.

Ueber diese beiden Punkte, welche etwa Dreiviertelstunden auseinander gele¬
gen sind, erweiterte sich das Schlachtfeld nach ober- und unterhalb dergestalt, daß
die Entwicklung beider Fronten, der russischen und der der alliirten Truppen,
bei dieser Action auf etwa eine Meile angenommen werden kann.

Wie sich nachträglich mehr und mehr herausgestellt hat, bereiteten die
Russen den Schlag seit längerer Zeit vor, und zwar lag demselben nach hie¬
sigen Vermuthungen der Zweck unter: hinter Kadikoj, zwischen dem Dorfe
Karcmy und der Meierei Karagatsch, das Plateau des Chersones oder die
Hauptposition der Verbündeten zu ersteigen und ihnen in dieser Weise eine
Katastrophe zu bereiten, die, wenn sie eingetreten wäre, über den Feldzug in
der Krim hätte entscheiden müssen. Um beurtheilen zu können, ob die Russen
ihren Plan möglicherweise hätten ins Werk setzen können, müßte ich anwesend
gewesen sein oder mindestens das in Frage kommende Terrain aus eigner
Anschauung kennen, was nicht der Fall ist.

Man sieht bis zur Stunde noch nicht klar in Betreff der Arrangements,
welche man feindlicherseits behufs der Ausführung der Unternehmung getroffen
hatte; zumal laufen die Angaben in Hinsicht der Stärke der von den Russen
verwendeten Truppenmassen einander diametral entgegen und schwanken
zwischen 30—100,000 Mann. Die ersten Angaben, welche hier einliefen,
und denen zufolge die Streitmacht des Feindes nicht 35,000 Mann erreicht
hatte, unterschätzten dieselbe ohne Zweifel. Jetzt, nachdem man die Todten zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100356"/>
          <p xml:id="ID_1250" prev="#ID_1249"> hoffen, daß auch in dieser Beziehung die Vorurtheile der Einsicht allmälig<lb/>
weichen werden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Schlacht an der Tschernaja.<lb/>
(16. August).</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1251"> Ich nehme heute Gelegenheit, Ihnen nach den von mir eingezogenen Nach¬<lb/>
richten und auf Grundlage einiger Correspondenzartikel, die sich in den hier el&gt;<lb/>
scheinenden Tagesblättern finden, eine Schilderung der Schlacht vom 16. August<lb/>
zu entwerfen. Man wird dieselbe Bataille de la Tschernaja nennen; eigentliche<lb/>
Brennpunkte des Kampfes waren das Wirthshaus (im Russischen Traktir, was sich<lb/>
von Traiteur herzuleiten scheint), wo sich eine steinerne Brücke über den Fluß<lb/>
hin befindet, die man, wie es scheint, leichtsinnigerweise nur durch eine<lb/>
leichte, von schwacher Mannschaft besetzte Flesche gedeckt hatte, und das Dorf<lb/>
oder der Flecken Tschorguna, weiter oberhalb, eine Ortschaft, die sich auf beide<lb/>
Ufer der Tschernaja erstreckt, und keine weitern bedeutenden Baulichkeiten als<lb/>
zwei oder drei große Hans (tartarische Herbergen) einschließt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1252"> Ueber diese beiden Punkte, welche etwa Dreiviertelstunden auseinander gele¬<lb/>
gen sind, erweiterte sich das Schlachtfeld nach ober- und unterhalb dergestalt, daß<lb/>
die Entwicklung beider Fronten, der russischen und der der alliirten Truppen,<lb/>
bei dieser Action auf etwa eine Meile angenommen werden kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1253"> Wie sich nachträglich mehr und mehr herausgestellt hat, bereiteten die<lb/>
Russen den Schlag seit längerer Zeit vor, und zwar lag demselben nach hie¬<lb/>
sigen Vermuthungen der Zweck unter: hinter Kadikoj, zwischen dem Dorfe<lb/>
Karcmy und der Meierei Karagatsch, das Plateau des Chersones oder die<lb/>
Hauptposition der Verbündeten zu ersteigen und ihnen in dieser Weise eine<lb/>
Katastrophe zu bereiten, die, wenn sie eingetreten wäre, über den Feldzug in<lb/>
der Krim hätte entscheiden müssen. Um beurtheilen zu können, ob die Russen<lb/>
ihren Plan möglicherweise hätten ins Werk setzen können, müßte ich anwesend<lb/>
gewesen sein oder mindestens das in Frage kommende Terrain aus eigner<lb/>
Anschauung kennen, was nicht der Fall ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1254" next="#ID_1255"> Man sieht bis zur Stunde noch nicht klar in Betreff der Arrangements,<lb/>
welche man feindlicherseits behufs der Ausführung der Unternehmung getroffen<lb/>
hatte; zumal laufen die Angaben in Hinsicht der Stärke der von den Russen<lb/>
verwendeten Truppenmassen einander diametral entgegen und schwanken<lb/>
zwischen 30&#x2014;100,000 Mann. Die ersten Angaben, welche hier einliefen,<lb/>
und denen zufolge die Streitmacht des Feindes nicht 35,000 Mann erreicht<lb/>
hatte, unterschätzten dieselbe ohne Zweifel.  Jetzt, nachdem man die Todten zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0436] hoffen, daß auch in dieser Beziehung die Vorurtheile der Einsicht allmälig weichen werden. Die Schlacht an der Tschernaja. (16. August). Ich nehme heute Gelegenheit, Ihnen nach den von mir eingezogenen Nach¬ richten und auf Grundlage einiger Correspondenzartikel, die sich in den hier el> scheinenden Tagesblättern finden, eine Schilderung der Schlacht vom 16. August zu entwerfen. Man wird dieselbe Bataille de la Tschernaja nennen; eigentliche Brennpunkte des Kampfes waren das Wirthshaus (im Russischen Traktir, was sich von Traiteur herzuleiten scheint), wo sich eine steinerne Brücke über den Fluß hin befindet, die man, wie es scheint, leichtsinnigerweise nur durch eine leichte, von schwacher Mannschaft besetzte Flesche gedeckt hatte, und das Dorf oder der Flecken Tschorguna, weiter oberhalb, eine Ortschaft, die sich auf beide Ufer der Tschernaja erstreckt, und keine weitern bedeutenden Baulichkeiten als zwei oder drei große Hans (tartarische Herbergen) einschließt. Ueber diese beiden Punkte, welche etwa Dreiviertelstunden auseinander gele¬ gen sind, erweiterte sich das Schlachtfeld nach ober- und unterhalb dergestalt, daß die Entwicklung beider Fronten, der russischen und der der alliirten Truppen, bei dieser Action auf etwa eine Meile angenommen werden kann. Wie sich nachträglich mehr und mehr herausgestellt hat, bereiteten die Russen den Schlag seit längerer Zeit vor, und zwar lag demselben nach hie¬ sigen Vermuthungen der Zweck unter: hinter Kadikoj, zwischen dem Dorfe Karcmy und der Meierei Karagatsch, das Plateau des Chersones oder die Hauptposition der Verbündeten zu ersteigen und ihnen in dieser Weise eine Katastrophe zu bereiten, die, wenn sie eingetreten wäre, über den Feldzug in der Krim hätte entscheiden müssen. Um beurtheilen zu können, ob die Russen ihren Plan möglicherweise hätten ins Werk setzen können, müßte ich anwesend gewesen sein oder mindestens das in Frage kommende Terrain aus eigner Anschauung kennen, was nicht der Fall ist. Man sieht bis zur Stunde noch nicht klar in Betreff der Arrangements, welche man feindlicherseits behufs der Ausführung der Unternehmung getroffen hatte; zumal laufen die Angaben in Hinsicht der Stärke der von den Russen verwendeten Truppenmassen einander diametral entgegen und schwanken zwischen 30—100,000 Mann. Die ersten Angaben, welche hier einliefen, und denen zufolge die Streitmacht des Feindes nicht 35,000 Mann erreicht hatte, unterschätzten dieselbe ohne Zweifel. Jetzt, nachdem man die Todten zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/436
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/436>, abgerufen am 22.12.2024.