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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Tausenden aufgenommen, ist man in das entgegengesetzte Extrem verfallen
und redet von 100,000 Mann. Das ist offenbare Uebertreibung! Am meisten
der Wahrheit nahe kommend erscheint mir die Taxirung des französischen
Generalissimus selbst, der in seiner Proclamation an die französische Armee
Von 60,000 Russen redet.

Eine solche Masse konnte von dem Plateau der Makenziefarm hernieder,
wo sie gesammelt worden war, nicht in entwickelter Frontlinie nach derTscher-
naja geführt werden. Man mußte sie im Gegentheil zu diesem Zweck in
Mehre Colonnen zerlegen, und zwar scheint es wahrscheinlich, daß man auf
diese Weise zwei gesonderte Corps formirt hatte, von denen das eine die
siebente und fünfzehnte Division umfaßte und auf die steinerne Brücke von
Traktir dirigirt wurde, das andere aus den Divisionen No. 8 und 9 bestand
und sich gegen Tschorguna wendete. Eine Garde- oder Grenadierdivision
scheint die Reserve gebildet zu haben.

Die diesseitige Ausstellung war der Art, daß sich auf den besagten Linien
nur Franzosen und Sardinier, erstere in einem Lager auf dem linken Tscher-
Najaufer bei Traktir und letztere in einer verschanzten Stellung aus dem rechten,
unmittelbar bei Tschorguna befanden. Letzterer Stellung hatte man den
Namen Candora gegeben, zu Ehren des sardinischen Jngenieurofftziers, welcher
die das Lager schützenden Werke angelegt hatte.

Die Russen scheinen mit ihren Colonneutöten ziemlich gleiche Höhe ge¬
halten zu haben und wenn sie mit den Sardinlern früher handgemein wurden,
wie mit den Franzosen, so geschah es wol nur, weil jene sich weiter vorwärts
"uf der erponirten Flußseite befanden. Ein bemerkenswerther Umstand bei
diesem ersten Zusammenstoßen, welches noch im Nebel stattfand und roährend
dessen eine Orientirung diesseits durchaus unmöglich war, ist die Schnelligkeit,
mit welcher die piemontesischen Truppen aus ihren Schanzen delogirt wurden.
Die Wegnahme der Brückenflesche bei Traktir geschal) ebenso schnell, war aber ein
bloßer Handstreich, da ein paar hundert Mann (wenn es soviel waren!) nicht an
einen hartnäckigen und ausdauernden Widerstand gegen tausend denken können.
Der Zeit nach fand diese Einleitung des Gefechts um drei Uhr Morgens statt.
zehn Uhr war alles entschieden und die Russen auf das rechte Ufer zurück¬
geworfen. Die Affaire hat mithin sieben volle Stunden gedauert, was immer¬
hin lange ist und schon ausreichen wird, um die Angaben der hiesigen Blätter,
wonach die Verbündeten nur -1200 Mann an Tobten, Verwundeten und Ver¬
mißten verloren, Lügen zu strafen. Andrerseits wird die lauge Dauer es erklärlich
Machen, wenn der russische Verlust enorm groß war und nach übereinstimmen¬
den Mittheilungen von verschiedener Seite her 6000 Mann beinahe erreichte.

Die drei Schlachten, an der Alma, bei Balaklava und Jnkerman zeich¬
nete das aus, daß in einer jeden von ihnen eine Waffe im Besondern ercellirt


Tausenden aufgenommen, ist man in das entgegengesetzte Extrem verfallen
und redet von 100,000 Mann. Das ist offenbare Uebertreibung! Am meisten
der Wahrheit nahe kommend erscheint mir die Taxirung des französischen
Generalissimus selbst, der in seiner Proclamation an die französische Armee
Von 60,000 Russen redet.

Eine solche Masse konnte von dem Plateau der Makenziefarm hernieder,
wo sie gesammelt worden war, nicht in entwickelter Frontlinie nach derTscher-
naja geführt werden. Man mußte sie im Gegentheil zu diesem Zweck in
Mehre Colonnen zerlegen, und zwar scheint es wahrscheinlich, daß man auf
diese Weise zwei gesonderte Corps formirt hatte, von denen das eine die
siebente und fünfzehnte Division umfaßte und auf die steinerne Brücke von
Traktir dirigirt wurde, das andere aus den Divisionen No. 8 und 9 bestand
und sich gegen Tschorguna wendete. Eine Garde- oder Grenadierdivision
scheint die Reserve gebildet zu haben.

Die diesseitige Ausstellung war der Art, daß sich auf den besagten Linien
nur Franzosen und Sardinier, erstere in einem Lager auf dem linken Tscher-
Najaufer bei Traktir und letztere in einer verschanzten Stellung aus dem rechten,
unmittelbar bei Tschorguna befanden. Letzterer Stellung hatte man den
Namen Candora gegeben, zu Ehren des sardinischen Jngenieurofftziers, welcher
die das Lager schützenden Werke angelegt hatte.

Die Russen scheinen mit ihren Colonneutöten ziemlich gleiche Höhe ge¬
halten zu haben und wenn sie mit den Sardinlern früher handgemein wurden,
wie mit den Franzosen, so geschah es wol nur, weil jene sich weiter vorwärts
"uf der erponirten Flußseite befanden. Ein bemerkenswerther Umstand bei
diesem ersten Zusammenstoßen, welches noch im Nebel stattfand und roährend
dessen eine Orientirung diesseits durchaus unmöglich war, ist die Schnelligkeit,
mit welcher die piemontesischen Truppen aus ihren Schanzen delogirt wurden.
Die Wegnahme der Brückenflesche bei Traktir geschal) ebenso schnell, war aber ein
bloßer Handstreich, da ein paar hundert Mann (wenn es soviel waren!) nicht an
einen hartnäckigen und ausdauernden Widerstand gegen tausend denken können.
Der Zeit nach fand diese Einleitung des Gefechts um drei Uhr Morgens statt.
zehn Uhr war alles entschieden und die Russen auf das rechte Ufer zurück¬
geworfen. Die Affaire hat mithin sieben volle Stunden gedauert, was immer¬
hin lange ist und schon ausreichen wird, um die Angaben der hiesigen Blätter,
wonach die Verbündeten nur -1200 Mann an Tobten, Verwundeten und Ver¬
mißten verloren, Lügen zu strafen. Andrerseits wird die lauge Dauer es erklärlich
Machen, wenn der russische Verlust enorm groß war und nach übereinstimmen¬
den Mittheilungen von verschiedener Seite her 6000 Mann beinahe erreichte.

Die drei Schlachten, an der Alma, bei Balaklava und Jnkerman zeich¬
nete das aus, daß in einer jeden von ihnen eine Waffe im Besondern ercellirt


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[0437] Tausenden aufgenommen, ist man in das entgegengesetzte Extrem verfallen und redet von 100,000 Mann. Das ist offenbare Uebertreibung! Am meisten der Wahrheit nahe kommend erscheint mir die Taxirung des französischen Generalissimus selbst, der in seiner Proclamation an die französische Armee Von 60,000 Russen redet. Eine solche Masse konnte von dem Plateau der Makenziefarm hernieder, wo sie gesammelt worden war, nicht in entwickelter Frontlinie nach derTscher- naja geführt werden. Man mußte sie im Gegentheil zu diesem Zweck in Mehre Colonnen zerlegen, und zwar scheint es wahrscheinlich, daß man auf diese Weise zwei gesonderte Corps formirt hatte, von denen das eine die siebente und fünfzehnte Division umfaßte und auf die steinerne Brücke von Traktir dirigirt wurde, das andere aus den Divisionen No. 8 und 9 bestand und sich gegen Tschorguna wendete. Eine Garde- oder Grenadierdivision scheint die Reserve gebildet zu haben. Die diesseitige Ausstellung war der Art, daß sich auf den besagten Linien nur Franzosen und Sardinier, erstere in einem Lager auf dem linken Tscher- Najaufer bei Traktir und letztere in einer verschanzten Stellung aus dem rechten, unmittelbar bei Tschorguna befanden. Letzterer Stellung hatte man den Namen Candora gegeben, zu Ehren des sardinischen Jngenieurofftziers, welcher die das Lager schützenden Werke angelegt hatte. Die Russen scheinen mit ihren Colonneutöten ziemlich gleiche Höhe ge¬ halten zu haben und wenn sie mit den Sardinlern früher handgemein wurden, wie mit den Franzosen, so geschah es wol nur, weil jene sich weiter vorwärts "uf der erponirten Flußseite befanden. Ein bemerkenswerther Umstand bei diesem ersten Zusammenstoßen, welches noch im Nebel stattfand und roährend dessen eine Orientirung diesseits durchaus unmöglich war, ist die Schnelligkeit, mit welcher die piemontesischen Truppen aus ihren Schanzen delogirt wurden. Die Wegnahme der Brückenflesche bei Traktir geschal) ebenso schnell, war aber ein bloßer Handstreich, da ein paar hundert Mann (wenn es soviel waren!) nicht an einen hartnäckigen und ausdauernden Widerstand gegen tausend denken können. Der Zeit nach fand diese Einleitung des Gefechts um drei Uhr Morgens statt. zehn Uhr war alles entschieden und die Russen auf das rechte Ufer zurück¬ geworfen. Die Affaire hat mithin sieben volle Stunden gedauert, was immer¬ hin lange ist und schon ausreichen wird, um die Angaben der hiesigen Blätter, wonach die Verbündeten nur -1200 Mann an Tobten, Verwundeten und Ver¬ mißten verloren, Lügen zu strafen. Andrerseits wird die lauge Dauer es erklärlich Machen, wenn der russische Verlust enorm groß war und nach übereinstimmen¬ den Mittheilungen von verschiedener Seite her 6000 Mann beinahe erreichte. Die drei Schlachten, an der Alma, bei Balaklava und Jnkerman zeich¬ nete das aus, daß in einer jeden von ihnen eine Waffe im Besondern ercellirt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/437>, abgerufen am 22.07.2024.