Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.die sehr dünn verstreuten Bäume ans den staubigen Kirchhöfen trage" noch ihr Pariser Brief. Die Politik ist bescheiden genug, uns den Eindrücken zu Ueberlassen wir daher die Politik ihrer selbstgewählten Stellung und den Zei¬ Paris kann sich auch ohne Politik behelfen, und die Pariser werden, Dank Wer die Industrien und Speculationen beobachtet, welche die Weltausstellung Grenzboten. II. 18ö!5. tzg
die sehr dünn verstreuten Bäume ans den staubigen Kirchhöfen trage» noch ihr Pariser Brief. Die Politik ist bescheiden genug, uns den Eindrücken zu Ueberlassen wir daher die Politik ihrer selbstgewählten Stellung und den Zei¬ Paris kann sich auch ohne Politik behelfen, und die Pariser werden, Dank Wer die Industrien und Speculationen beobachtet, welche die Weltausstellung Grenzboten. II. 18ö!5. tzg
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0481" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99867"/> <p xml:id="ID_1627" prev="#ID_1626"> die sehr dünn verstreuten Bäume ans den staubigen Kirchhöfen trage» noch ihr<lb/> frisches Laub. Aber die Blumenpracht neigt sich ihrem Ende zu und eben bietet<lb/> man die letzten vollen Strcinße in der großen Perastraße zum Verkauf aus. Wenn<lb/> die Frankenstadt, im Gegensatz zu anderen Jahren, im gegenwärtigen Sommer<lb/> einen sehr belebten Anblick darbietet, so liegt dies wol nur daran, daß die Gast¬<lb/> höfe mit unzähligen Fremden bevölkert sind. Die sogenannte höhere Gesellschaft<lb/> von Pera hat längst den dortigen Aufenthalt mit dem in ihren luftigen Villen<lb/> zu Therapia. Bujukdere, Bcykos u. f. w. vertauscht. Ihr Berichterstatter be¬<lb/> dauert eS versäumt zu haben, im vergangenen Frühjahr (es schließt hier selbst¬<lb/> redend nicht mit dem Kalender ab) den obern Bosporus zu besuchen. Wie man<lb/> mir sagt, stand nie vielleicht in den letzten Jahren die Vegetation in so voller Ent¬<lb/> wicklung. In den reizend gelegenen Gärten hat nach und nach, namentlich in den<lb/> letzten drei oder vier Jahren, mehr Geschmack Eingang gewonnen, wie sich denn<lb/> überhaupt die Freude am Landleben vermehrt hat. Die steife altfranzösische Manier<lb/> mit ihren beschorencn Hecken und Statuetten, verschwindet mehr und macht der<lb/> naturwüchsigeren englischen Platz. Desgleichen hat der Baustil der Villen und<lb/> Kiosk (Köschts) einen weiten Schritt nach vorwärts gethan. Vom türkisch¬<lb/> armenischen Geschmack macht man sich in dieser Hinsicht schon vollkommen los und<lb/> ahmt italienische und maurische Vorbilder nach, freilich nicht immer mit Glück.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Pariser Brief.</head> <p xml:id="ID_1628"> Die Politik ist bescheiden genug, uns den Eindrücken zu<lb/> überlassen, welche die pariser Weltschan und das Heer von Zerstreuungen in uns<lb/> erwecken, das in ihrem Gefolge dient. Die wiener Konferenzen wurden eigens<lb/> geschlossen, um mit der Eröffnung der Ausstellung nicht den Wettbewerb bestehen<lb/> zu müssen. Wenn uns uoch von Zeit zu Zeit ein telegraphisches Kriegsbülletin<lb/> aus der Krim in unsrem Friedenstraumc stört, so geschieht das nnr, um die<lb/> Einförmigkeit unseres Glücks zu unterbrechen, ungefähr wie wenn ein Freund uns<lb/> Morgens um vier Uhr aus dem Schlafe weckt, um die erfreuliche Nachricht mit¬<lb/> zutheilen, daß wir noch einige Stunden weiter schlafen dürfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1629"> Ueberlassen wir daher die Politik ihrer selbstgewählten Stellung und den Zei¬<lb/> tungen die Kunst, ihre Spalten täglich mit der Kunde anzufüllen, daß es nichts<lb/> Neues zu berichten gäbe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1630"> Paris kann sich auch ohne Politik behelfen, und die Pariser werden, Dank<lb/> den Besuchen aus Provinz und Fremde, vielleicht mit ihrer geliebten Stadt auch<lb/> über den Boulevard des Italiens hinaus Bekanntschaft machen. Die Fremden sind<lb/> gar neugierig, und manches, an dem sie zu Hanse mit Gleichgiltigkeit vorübergehen,<lb/> erregt hier ihre lebhafte Theilnahme, eine psychologische Erscheinung, die sich aus<lb/> der geschickten mise en haomo der Franzosen zum Theil mit erklären läßt. Die<lb/> Pariser sind geborne Vergolder und Ausschmücker, Paris das Eldorado der Re-<lb/> clame und des u >irostc>8.</p><lb/> <p xml:id="ID_1631" next="#ID_1632"> Wer die Industrien und Speculationen beobachtet, welche die Weltausstellung<lb/> hier ans dem Boden stampfte, der kann sich nicht erklären, wie so es noch Armuth<lb/> gibt in einem Lande, das solche Ressourcen hat, das ans eine solche Verbreitung<lb/> von Bedürfnissen des Luxus zählen darf. Wo man Hinsicht gibt es zu kaufen und</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. II. 18ö!5. tzg</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0481]
die sehr dünn verstreuten Bäume ans den staubigen Kirchhöfen trage» noch ihr
frisches Laub. Aber die Blumenpracht neigt sich ihrem Ende zu und eben bietet
man die letzten vollen Strcinße in der großen Perastraße zum Verkauf aus. Wenn
die Frankenstadt, im Gegensatz zu anderen Jahren, im gegenwärtigen Sommer
einen sehr belebten Anblick darbietet, so liegt dies wol nur daran, daß die Gast¬
höfe mit unzähligen Fremden bevölkert sind. Die sogenannte höhere Gesellschaft
von Pera hat längst den dortigen Aufenthalt mit dem in ihren luftigen Villen
zu Therapia. Bujukdere, Bcykos u. f. w. vertauscht. Ihr Berichterstatter be¬
dauert eS versäumt zu haben, im vergangenen Frühjahr (es schließt hier selbst¬
redend nicht mit dem Kalender ab) den obern Bosporus zu besuchen. Wie man
mir sagt, stand nie vielleicht in den letzten Jahren die Vegetation in so voller Ent¬
wicklung. In den reizend gelegenen Gärten hat nach und nach, namentlich in den
letzten drei oder vier Jahren, mehr Geschmack Eingang gewonnen, wie sich denn
überhaupt die Freude am Landleben vermehrt hat. Die steife altfranzösische Manier
mit ihren beschorencn Hecken und Statuetten, verschwindet mehr und macht der
naturwüchsigeren englischen Platz. Desgleichen hat der Baustil der Villen und
Kiosk (Köschts) einen weiten Schritt nach vorwärts gethan. Vom türkisch¬
armenischen Geschmack macht man sich in dieser Hinsicht schon vollkommen los und
ahmt italienische und maurische Vorbilder nach, freilich nicht immer mit Glück.
Pariser Brief. Die Politik ist bescheiden genug, uns den Eindrücken zu
überlassen, welche die pariser Weltschan und das Heer von Zerstreuungen in uns
erwecken, das in ihrem Gefolge dient. Die wiener Konferenzen wurden eigens
geschlossen, um mit der Eröffnung der Ausstellung nicht den Wettbewerb bestehen
zu müssen. Wenn uns uoch von Zeit zu Zeit ein telegraphisches Kriegsbülletin
aus der Krim in unsrem Friedenstraumc stört, so geschieht das nnr, um die
Einförmigkeit unseres Glücks zu unterbrechen, ungefähr wie wenn ein Freund uns
Morgens um vier Uhr aus dem Schlafe weckt, um die erfreuliche Nachricht mit¬
zutheilen, daß wir noch einige Stunden weiter schlafen dürfen.
Ueberlassen wir daher die Politik ihrer selbstgewählten Stellung und den Zei¬
tungen die Kunst, ihre Spalten täglich mit der Kunde anzufüllen, daß es nichts
Neues zu berichten gäbe.
Paris kann sich auch ohne Politik behelfen, und die Pariser werden, Dank
den Besuchen aus Provinz und Fremde, vielleicht mit ihrer geliebten Stadt auch
über den Boulevard des Italiens hinaus Bekanntschaft machen. Die Fremden sind
gar neugierig, und manches, an dem sie zu Hanse mit Gleichgiltigkeit vorübergehen,
erregt hier ihre lebhafte Theilnahme, eine psychologische Erscheinung, die sich aus
der geschickten mise en haomo der Franzosen zum Theil mit erklären läßt. Die
Pariser sind geborne Vergolder und Ausschmücker, Paris das Eldorado der Re-
clame und des u >irostc>8.
Wer die Industrien und Speculationen beobachtet, welche die Weltausstellung
hier ans dem Boden stampfte, der kann sich nicht erklären, wie so es noch Armuth
gibt in einem Lande, das solche Ressourcen hat, das ans eine solche Verbreitung
von Bedürfnissen des Luxus zählen darf. Wo man Hinsicht gibt es zu kaufen und
Grenzboten. II. 18ö!5. tzg
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