Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.Möglichkeit, Verstärkungen in Masse und in kürzester Zeit herbeizuziehen. Hierzu Pariser Brief. Die orientalische Frage stellt im Kleinen den Kreislauf des Hingegen haben wir in Europa hübsch Muße, uns mit Fragen der Kunst Zu, unsrem vollkommnen Glücke fehlten in diesem Augenblicke nur ein wenig Möglichkeit, Verstärkungen in Masse und in kürzester Zeit herbeizuziehen. Hierzu Pariser Brief. Die orientalische Frage stellt im Kleinen den Kreislauf des Hingegen haben wir in Europa hübsch Muße, uns mit Fragen der Kunst Zu, unsrem vollkommnen Glücke fehlten in diesem Augenblicke nur ein wenig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99830"/> <p xml:id="ID_1509" prev="#ID_1508"> Möglichkeit, Verstärkungen in Masse und in kürzester Zeit herbeizuziehen. Hierzu<lb/> ist Frankreich nach der neuen Organisation, die es seinen maritimen Transport¬<lb/> mitteln gegeben, unendlich mehr befähigt, und eben diese partielle Ueberlegenheit<lb/> ist es, auf welche nunmehr das Ringen um die Entscheidung basirt werden muß.<lb/> Nachdem im Winter eine kostbare Zeit vergeudet worden, während welcher mau,<lb/> auch mittelst des früheren kleineren Geschwaders, die Armee recht füglich ans hun-<lb/> dertfunfzigtausend Mann hätte bringen können, ist es heute doppelt geboten, den<lb/> Grundsatz in den Vordergrund zu stellen, daß'Nußland gegenüber in der Krim<lb/> nichts so sehr nöthig ist, wie Massen und abermals Massen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Pariser Brief.</head> <p xml:id="ID_1510"> Die orientalische Frage stellt im Kleinen den Kreislauf des<lb/> Lebens vor. Wir beginnen jedes Jahr von neuem mit frischen Illusionen und<lb/> erneuten Hoffnungen und das Resultat ist dasselbe. — Pclissicr scheint jedoch der<lb/> Mann zusein, wie ihn die Franzosen brauchen. Er hat wie Se. Arnaud schnell und<lb/> glücklich begonnen, ist von großer Thätigkeit, und das bleibt bei einer französischen<lb/> Armee immer die Hauptsache. Man sieht, daß der neue Obergeneral "nach allen<lb/> Seiten hin versuchen will und nach allem, was über seine Pläne verlautet, wird<lb/> Sebastopol nicht der erste Punkt des Angriffs sein. Die Diplomatie nimmt den<lb/> gegenwärtigen Anlauf der Alliirten zum Vorwande, die Entscheidung wieder hinaus¬<lb/> zuschieben; die Diplomatie versteht eben die Kunst, alles zum Vorwande zu nehmen.<lb/> Geht es den Aliirten in der Krim schlecht, dann findet die Diplomatie (die deutsche),<lb/> man könne Rußland, das noch nicht besiegt sei, nicht Zugeständnisse ansinnen, wie<lb/> sie nur ein gedcmüthigtcr Staat machen würde. Habens die Alliirten Erfolge, dann<lb/> mird ihnen vordemonstrirt, dieselben seien uicht erheblich genug — solange die Krim<lb/> nicht in der Tasche deöH^ französischen Oberfeldher-rü stecke und solange Sebastopol<lb/> nicht auf englischen Schiffen nach London transportirt werde, wie ein venetianischer<lb/> Palast oder ins Museum von Albert Smith, solange könne Rußland sich nicht dazu<lb/> verstehen, seine Rechte aufs Schwarze Meer aufzugeben. So ungefähr steht die<lb/> Frage. Die Alliirten machen sich, wie Jakob von Labans Versprechungen angeeifert,<lb/> wieder auf und weiden neue sieben Jahre ihre Herden in der Krim Gefilden, sie<lb/> arbeiten und mühen sich ab, um die Allianz mit Laban sie nehmen die häßliche<lb/> Lea mit in den Kauf — wenn ihnen am Ende nur die schöne Rahel nicht ver¬<lb/> sagt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1511"> Hingegen haben wir in Europa hübsch Muße, uns mit Fragen der Kunst<lb/> und der Industrie zu beschäftigen und befinden uns ungefähr in der Lage "von<lb/> Mäusen, die in der Mitte eines an beiden Enden angesteckten Brettes einen Ball<lb/> geben. Das Feuer brennt nur langsam gegen die Mitte, wer weiß, ob es gar bis<lb/> zur Mitte gelangt und bis dahin kann es noch regnen — es kann anch sonst ein<lb/> günstiger Zufall eintreten — z. B. schwarz uicht mehr schwarz, der Russe uicht<lb/> mehr ehrgeizig sein — Louis Napoleon nicht mehr der Neffe seines Onkels noch<lb/> der patentirte Erfinder des zweiten Decembers und der Phrase: „das Kaiserreich<lb/> ist der Friede", die sich so glänzend bewährt hat! Ja wol eS kann vieles geschehe»<lb/> und in Erwartung der Dinge, die da kommen können, steigen die Fonds, trotz Mißjahr<lb/> nud vor der Thüre stehenden Anleihen und es ist alles gut in der besten der Welten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1512" next="#ID_1513"> Zu, unsrem vollkommnen Glücke fehlten in diesem Augenblicke nur ein wenig</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0444]
Möglichkeit, Verstärkungen in Masse und in kürzester Zeit herbeizuziehen. Hierzu
ist Frankreich nach der neuen Organisation, die es seinen maritimen Transport¬
mitteln gegeben, unendlich mehr befähigt, und eben diese partielle Ueberlegenheit
ist es, auf welche nunmehr das Ringen um die Entscheidung basirt werden muß.
Nachdem im Winter eine kostbare Zeit vergeudet worden, während welcher mau,
auch mittelst des früheren kleineren Geschwaders, die Armee recht füglich ans hun-
dertfunfzigtausend Mann hätte bringen können, ist es heute doppelt geboten, den
Grundsatz in den Vordergrund zu stellen, daß'Nußland gegenüber in der Krim
nichts so sehr nöthig ist, wie Massen und abermals Massen.
Pariser Brief. Die orientalische Frage stellt im Kleinen den Kreislauf des
Lebens vor. Wir beginnen jedes Jahr von neuem mit frischen Illusionen und
erneuten Hoffnungen und das Resultat ist dasselbe. — Pclissicr scheint jedoch der
Mann zusein, wie ihn die Franzosen brauchen. Er hat wie Se. Arnaud schnell und
glücklich begonnen, ist von großer Thätigkeit, und das bleibt bei einer französischen
Armee immer die Hauptsache. Man sieht, daß der neue Obergeneral "nach allen
Seiten hin versuchen will und nach allem, was über seine Pläne verlautet, wird
Sebastopol nicht der erste Punkt des Angriffs sein. Die Diplomatie nimmt den
gegenwärtigen Anlauf der Alliirten zum Vorwande, die Entscheidung wieder hinaus¬
zuschieben; die Diplomatie versteht eben die Kunst, alles zum Vorwande zu nehmen.
Geht es den Aliirten in der Krim schlecht, dann findet die Diplomatie (die deutsche),
man könne Rußland, das noch nicht besiegt sei, nicht Zugeständnisse ansinnen, wie
sie nur ein gedcmüthigtcr Staat machen würde. Habens die Alliirten Erfolge, dann
mird ihnen vordemonstrirt, dieselben seien uicht erheblich genug — solange die Krim
nicht in der Tasche deöH^ französischen Oberfeldher-rü stecke und solange Sebastopol
nicht auf englischen Schiffen nach London transportirt werde, wie ein venetianischer
Palast oder ins Museum von Albert Smith, solange könne Rußland sich nicht dazu
verstehen, seine Rechte aufs Schwarze Meer aufzugeben. So ungefähr steht die
Frage. Die Alliirten machen sich, wie Jakob von Labans Versprechungen angeeifert,
wieder auf und weiden neue sieben Jahre ihre Herden in der Krim Gefilden, sie
arbeiten und mühen sich ab, um die Allianz mit Laban sie nehmen die häßliche
Lea mit in den Kauf — wenn ihnen am Ende nur die schöne Rahel nicht ver¬
sagt wird.
Hingegen haben wir in Europa hübsch Muße, uns mit Fragen der Kunst
und der Industrie zu beschäftigen und befinden uns ungefähr in der Lage "von
Mäusen, die in der Mitte eines an beiden Enden angesteckten Brettes einen Ball
geben. Das Feuer brennt nur langsam gegen die Mitte, wer weiß, ob es gar bis
zur Mitte gelangt und bis dahin kann es noch regnen — es kann anch sonst ein
günstiger Zufall eintreten — z. B. schwarz uicht mehr schwarz, der Russe uicht
mehr ehrgeizig sein — Louis Napoleon nicht mehr der Neffe seines Onkels noch
der patentirte Erfinder des zweiten Decembers und der Phrase: „das Kaiserreich
ist der Friede", die sich so glänzend bewährt hat! Ja wol eS kann vieles geschehe»
und in Erwartung der Dinge, die da kommen können, steigen die Fonds, trotz Mißjahr
nud vor der Thüre stehenden Anleihen und es ist alles gut in der besten der Welten.
Zu, unsrem vollkommnen Glücke fehlten in diesem Augenblicke nur ein wenig
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