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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Widriges an ihnen. In kurzem wußt ick weder Anfang noch End mehr;
und niemand war, der mir heraushelfen konnte, da ich meine Lage keiner
Merhet?enseele entdeckte. Ich machte mir alles zur Sünde: Lachen, Jauchzen,
Pfei'sser. Meine Geisen sollten mich nicht mehr erzürnen dürfen -- und
ich ward eher böser auf sie. Eines, Tags bracht ich einen todten Vogel nach
Haus, den ein Mann geschossen, und auf einen Stecken in die Wiese
aufgesteckt hatte. Ich nahm ihn, wie ich in dem Augenblick wähnte, mit
qutem Gewissen weg; ohne Zweifel, weil mir seine zierlichen febern vorzüglich
wohlgefielen. Aber, sobald mir der Vater sagte: das heiße auch gestohlen,
weint ich bitterlich -- und hatte diesmal recht -- und trug das Aeschen
Morgens darauf in aller Frühe wieder a" sein Ort. Doch behielt ich etliche
von den schönsten Federn; aber auch dieses kostete mich noch ziemlich Ueber¬
windung. Doch dacht ich: die Federn sind nun ausgerupft; wenn dus schon
auch hinträgst, so vcrblast sie der Wind; und dem Mann nützen sie so nichts.--
Bisweilen sing ich wieder an zu jauchzen und zu jolen, und trollte aufs neue
sorglos über alle Berg. Dann dacht ich: so alles, alles verleugnen, bis
auf meine selbstgeschnitzelten hölzernen Kühe -- wie ich mir damals den rechten
Christensinn ganz buchstäblich vorstellte -- sei doch ein traurig elendes Ding,
Indessen wurde der Kohlwald von den immer zunehmenden Geisen übertrieben;
die Rosse, die man auf den fettern Grasplätzen weiden ließ, bisweilen von den
Geisbuben verfolgt, gesprengt u. tgi. Einmal legten die Bursche ihnen
Nesseln unter die Schwänze; ein Paar stürzten sich im Lauf über einen Felsen
zu tod. ES gab schwere Händel, und das Hüten im Kohlwald wurde gänzlich
verboten. Ich hütete darauf noch eine Weile auf unserem eignen Gut. Dann
löste mich mein Bruder ab. Und so nahm mein Hirtenstand ein Ende.




Korrespondenzen.
Konstantinopel,

Ich beschloß meinen letzten Aufsatz mit der
Erwähnung der zahlreichen Opfer, welche hier Krankheiten aller Art, und unter
diesen vornehmlich zwei, Cholera und Typhus, täglich fordern. Seitdem haben
dieselben infolge der sehr rasch und in hohem Grade zunehmenden Hitze sich noch
mehr gesteigert und die Sterbefälle erinnern in ihrer erschreckenden Menge an die
verhängnißvollen Zeiten, in welchen hier die Pest (welche, seitdem die Quaran¬
tänen eingerichtet worden, verschwunden ist) ihren Sitz aufgeschlagen hatte. Heim¬
gesucht vor allen andern Stadttheilen ist namentlich Galata und ein Theil von
Pera. Alle Leichen, die von dorther nach dem großen Campo, dem Gottesacker
der Franken, geschafft werden, müssen die Grande Rue de Pera einschlagen, woher
es denn geschieht, daß man innerhalb dieser Straße und zwar zu jeder Tageszeit,


Widriges an ihnen. In kurzem wußt ick weder Anfang noch End mehr;
und niemand war, der mir heraushelfen konnte, da ich meine Lage keiner
Merhet?enseele entdeckte. Ich machte mir alles zur Sünde: Lachen, Jauchzen,
Pfei'sser. Meine Geisen sollten mich nicht mehr erzürnen dürfen — und
ich ward eher böser auf sie. Eines, Tags bracht ich einen todten Vogel nach
Haus, den ein Mann geschossen, und auf einen Stecken in die Wiese
aufgesteckt hatte. Ich nahm ihn, wie ich in dem Augenblick wähnte, mit
qutem Gewissen weg; ohne Zweifel, weil mir seine zierlichen febern vorzüglich
wohlgefielen. Aber, sobald mir der Vater sagte: das heiße auch gestohlen,
weint ich bitterlich — und hatte diesmal recht — und trug das Aeschen
Morgens darauf in aller Frühe wieder a» sein Ort. Doch behielt ich etliche
von den schönsten Federn; aber auch dieses kostete mich noch ziemlich Ueber¬
windung. Doch dacht ich: die Federn sind nun ausgerupft; wenn dus schon
auch hinträgst, so vcrblast sie der Wind; und dem Mann nützen sie so nichts.—
Bisweilen sing ich wieder an zu jauchzen und zu jolen, und trollte aufs neue
sorglos über alle Berg. Dann dacht ich: so alles, alles verleugnen, bis
auf meine selbstgeschnitzelten hölzernen Kühe — wie ich mir damals den rechten
Christensinn ganz buchstäblich vorstellte — sei doch ein traurig elendes Ding,
Indessen wurde der Kohlwald von den immer zunehmenden Geisen übertrieben;
die Rosse, die man auf den fettern Grasplätzen weiden ließ, bisweilen von den
Geisbuben verfolgt, gesprengt u. tgi. Einmal legten die Bursche ihnen
Nesseln unter die Schwänze; ein Paar stürzten sich im Lauf über einen Felsen
zu tod. ES gab schwere Händel, und das Hüten im Kohlwald wurde gänzlich
verboten. Ich hütete darauf noch eine Weile auf unserem eignen Gut. Dann
löste mich mein Bruder ab. Und so nahm mein Hirtenstand ein Ende.




Korrespondenzen.
Konstantinopel,

Ich beschloß meinen letzten Aufsatz mit der
Erwähnung der zahlreichen Opfer, welche hier Krankheiten aller Art, und unter
diesen vornehmlich zwei, Cholera und Typhus, täglich fordern. Seitdem haben
dieselben infolge der sehr rasch und in hohem Grade zunehmenden Hitze sich noch
mehr gesteigert und die Sterbefälle erinnern in ihrer erschreckenden Menge an die
verhängnißvollen Zeiten, in welchen hier die Pest (welche, seitdem die Quaran¬
tänen eingerichtet worden, verschwunden ist) ihren Sitz aufgeschlagen hatte. Heim¬
gesucht vor allen andern Stadttheilen ist namentlich Galata und ein Theil von
Pera. Alle Leichen, die von dorther nach dem großen Campo, dem Gottesacker
der Franken, geschafft werden, müssen die Grande Rue de Pera einschlagen, woher
es denn geschieht, daß man innerhalb dieser Straße und zwar zu jeder Tageszeit,


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[0438] Widriges an ihnen. In kurzem wußt ick weder Anfang noch End mehr; und niemand war, der mir heraushelfen konnte, da ich meine Lage keiner Merhet?enseele entdeckte. Ich machte mir alles zur Sünde: Lachen, Jauchzen, Pfei'sser. Meine Geisen sollten mich nicht mehr erzürnen dürfen — und ich ward eher böser auf sie. Eines, Tags bracht ich einen todten Vogel nach Haus, den ein Mann geschossen, und auf einen Stecken in die Wiese aufgesteckt hatte. Ich nahm ihn, wie ich in dem Augenblick wähnte, mit qutem Gewissen weg; ohne Zweifel, weil mir seine zierlichen febern vorzüglich wohlgefielen. Aber, sobald mir der Vater sagte: das heiße auch gestohlen, weint ich bitterlich — und hatte diesmal recht — und trug das Aeschen Morgens darauf in aller Frühe wieder a» sein Ort. Doch behielt ich etliche von den schönsten Federn; aber auch dieses kostete mich noch ziemlich Ueber¬ windung. Doch dacht ich: die Federn sind nun ausgerupft; wenn dus schon auch hinträgst, so vcrblast sie der Wind; und dem Mann nützen sie so nichts.— Bisweilen sing ich wieder an zu jauchzen und zu jolen, und trollte aufs neue sorglos über alle Berg. Dann dacht ich: so alles, alles verleugnen, bis auf meine selbstgeschnitzelten hölzernen Kühe — wie ich mir damals den rechten Christensinn ganz buchstäblich vorstellte — sei doch ein traurig elendes Ding, Indessen wurde der Kohlwald von den immer zunehmenden Geisen übertrieben; die Rosse, die man auf den fettern Grasplätzen weiden ließ, bisweilen von den Geisbuben verfolgt, gesprengt u. tgi. Einmal legten die Bursche ihnen Nesseln unter die Schwänze; ein Paar stürzten sich im Lauf über einen Felsen zu tod. ES gab schwere Händel, und das Hüten im Kohlwald wurde gänzlich verboten. Ich hütete darauf noch eine Weile auf unserem eignen Gut. Dann löste mich mein Bruder ab. Und so nahm mein Hirtenstand ein Ende. Korrespondenzen. Konstantinopel, Ich beschloß meinen letzten Aufsatz mit der Erwähnung der zahlreichen Opfer, welche hier Krankheiten aller Art, und unter diesen vornehmlich zwei, Cholera und Typhus, täglich fordern. Seitdem haben dieselben infolge der sehr rasch und in hohem Grade zunehmenden Hitze sich noch mehr gesteigert und die Sterbefälle erinnern in ihrer erschreckenden Menge an die verhängnißvollen Zeiten, in welchen hier die Pest (welche, seitdem die Quaran¬ tänen eingerichtet worden, verschwunden ist) ihren Sitz aufgeschlagen hatte. Heim¬ gesucht vor allen andern Stadttheilen ist namentlich Galata und ein Theil von Pera. Alle Leichen, die von dorther nach dem großen Campo, dem Gottesacker der Franken, geschafft werden, müssen die Grande Rue de Pera einschlagen, woher es denn geschieht, daß man innerhalb dieser Straße und zwar zu jeder Tageszeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/438>, abgerufen am 29.06.2024.