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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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denen es um die Wahrheit zu thun ist, mit dem lebhaftesten Interesse ausge¬
nommen werden würde.

Es wird Krieg geben, solange sich die Menschen in ihren Interessen
feindselig begegnen. Er wird bald mit der Feder, bald mit dem Schwerte ge¬
führt werden. Sind aber die kriegführenden Parteien erst darin einig gewor¬
den, durch rasche Entscheidung den Hader zum Schlüsse zu führen, so wird die
Erinnerung an die vom Kriege geschlagenen Wunden milder werden und nicht
ferner zu einem Familien- resp. Nationalhasse führen, dem die höhern Cultur¬
zustände unsrer Zeit zwar Einhalt zu thun vermochten, dessen gänzliche Aussöh¬
nung aber erst bann erfolgen wird, wenn mit der Erkenntniß des Völkerrechts
das Völkerrecht eine Wahrheit geworden ist. --




Nntur und Menschen in Louisinna.

In unsrem gemäßigten Klima erweckt das behagliche Gefühl des Wohl¬
befindens leicht eine große Weichheit und Apathie, die vor allem Plötzlichen,
Ungeheuern erschrickt; die Jahreszeiten sind zwarf scharf gesondert, aber sie
haben einen regelmäßigen, langsamen, ruhigen Verlauf, im Winter heizt man
ein, öffnet im Sommer die Fenster, wir fragen das Wetterglas, die Wind¬
fahne, wissen ziemlich genau, wann wir die Ueberröcke hervorzusuchen und ab¬
zulegen haben. -- Wie unser Leben ist auch die Natur, still, emsig, mäßig;
damit ist alles gesagt.

In den südlichen Klimaten Amerikas, besonders in dem Golf von Meriko,
läßt sich nichts voraussehen; alles ist ungeheuer, alles überschreite! unser ge¬
wöhnliches Maß. Hier ist eine kaum glaubliche Mischung von Wohl und
Uebel, von Ueberfluß und Mangel, von reichen Städten und in den Einöden
zerstreuten Hütten, von Milde und Grausamkeit, von Glück und Elend. Italien
hat nichts, was die Reinheit des Himmels über Louisiana während des Winters
überträfe; die Luft ist Arznei, die Tage sind lang, wie bei uns im Frühjahr;
Monate lang wölbt sich über uns ein Azurblau, nur selten durch einen furcht¬
baren Gewittersturm verdüstert, der die Wälder verheert, Städte erzittern macht,
hier und da eine Wohnung anzündet und gleich einer Sündflut einen Regen-
strom herabsendet, der auf seinem Zuge alles überschwemmt. Der Sommer,
dessen Herrschaft zwei Drittel des Jahrs währt, beginnt mit dem Südwinde. Mit
ihm kommen die Krankheiten, und alsbald ist alles tödtlich; die Fieber verbreiten
sich wüthend über Stadt und Land, raffen die Europäer, Nordamerikaner, selbst
die Creolen dahin und erfüllen die Gassen mit Särgen, Todtengesängen und
Thränen; reich und arm, schwarz und weiß -- nichts, nichts bleibt verschont.


denen es um die Wahrheit zu thun ist, mit dem lebhaftesten Interesse ausge¬
nommen werden würde.

Es wird Krieg geben, solange sich die Menschen in ihren Interessen
feindselig begegnen. Er wird bald mit der Feder, bald mit dem Schwerte ge¬
führt werden. Sind aber die kriegführenden Parteien erst darin einig gewor¬
den, durch rasche Entscheidung den Hader zum Schlüsse zu führen, so wird die
Erinnerung an die vom Kriege geschlagenen Wunden milder werden und nicht
ferner zu einem Familien- resp. Nationalhasse führen, dem die höhern Cultur¬
zustände unsrer Zeit zwar Einhalt zu thun vermochten, dessen gänzliche Aussöh¬
nung aber erst bann erfolgen wird, wenn mit der Erkenntniß des Völkerrechts
das Völkerrecht eine Wahrheit geworden ist. —




Nntur und Menschen in Louisinna.

In unsrem gemäßigten Klima erweckt das behagliche Gefühl des Wohl¬
befindens leicht eine große Weichheit und Apathie, die vor allem Plötzlichen,
Ungeheuern erschrickt; die Jahreszeiten sind zwarf scharf gesondert, aber sie
haben einen regelmäßigen, langsamen, ruhigen Verlauf, im Winter heizt man
ein, öffnet im Sommer die Fenster, wir fragen das Wetterglas, die Wind¬
fahne, wissen ziemlich genau, wann wir die Ueberröcke hervorzusuchen und ab¬
zulegen haben. — Wie unser Leben ist auch die Natur, still, emsig, mäßig;
damit ist alles gesagt.

In den südlichen Klimaten Amerikas, besonders in dem Golf von Meriko,
läßt sich nichts voraussehen; alles ist ungeheuer, alles überschreite! unser ge¬
wöhnliches Maß. Hier ist eine kaum glaubliche Mischung von Wohl und
Uebel, von Ueberfluß und Mangel, von reichen Städten und in den Einöden
zerstreuten Hütten, von Milde und Grausamkeit, von Glück und Elend. Italien
hat nichts, was die Reinheit des Himmels über Louisiana während des Winters
überträfe; die Luft ist Arznei, die Tage sind lang, wie bei uns im Frühjahr;
Monate lang wölbt sich über uns ein Azurblau, nur selten durch einen furcht¬
baren Gewittersturm verdüstert, der die Wälder verheert, Städte erzittern macht,
hier und da eine Wohnung anzündet und gleich einer Sündflut einen Regen-
strom herabsendet, der auf seinem Zuge alles überschwemmt. Der Sommer,
dessen Herrschaft zwei Drittel des Jahrs währt, beginnt mit dem Südwinde. Mit
ihm kommen die Krankheiten, und alsbald ist alles tödtlich; die Fieber verbreiten
sich wüthend über Stadt und Land, raffen die Europäer, Nordamerikaner, selbst
die Creolen dahin und erfüllen die Gassen mit Särgen, Todtengesängen und
Thränen; reich und arm, schwarz und weiß — nichts, nichts bleibt verschont.


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[0418] denen es um die Wahrheit zu thun ist, mit dem lebhaftesten Interesse ausge¬ nommen werden würde. Es wird Krieg geben, solange sich die Menschen in ihren Interessen feindselig begegnen. Er wird bald mit der Feder, bald mit dem Schwerte ge¬ führt werden. Sind aber die kriegführenden Parteien erst darin einig gewor¬ den, durch rasche Entscheidung den Hader zum Schlüsse zu führen, so wird die Erinnerung an die vom Kriege geschlagenen Wunden milder werden und nicht ferner zu einem Familien- resp. Nationalhasse führen, dem die höhern Cultur¬ zustände unsrer Zeit zwar Einhalt zu thun vermochten, dessen gänzliche Aussöh¬ nung aber erst bann erfolgen wird, wenn mit der Erkenntniß des Völkerrechts das Völkerrecht eine Wahrheit geworden ist. — Nntur und Menschen in Louisinna. In unsrem gemäßigten Klima erweckt das behagliche Gefühl des Wohl¬ befindens leicht eine große Weichheit und Apathie, die vor allem Plötzlichen, Ungeheuern erschrickt; die Jahreszeiten sind zwarf scharf gesondert, aber sie haben einen regelmäßigen, langsamen, ruhigen Verlauf, im Winter heizt man ein, öffnet im Sommer die Fenster, wir fragen das Wetterglas, die Wind¬ fahne, wissen ziemlich genau, wann wir die Ueberröcke hervorzusuchen und ab¬ zulegen haben. — Wie unser Leben ist auch die Natur, still, emsig, mäßig; damit ist alles gesagt. In den südlichen Klimaten Amerikas, besonders in dem Golf von Meriko, läßt sich nichts voraussehen; alles ist ungeheuer, alles überschreite! unser ge¬ wöhnliches Maß. Hier ist eine kaum glaubliche Mischung von Wohl und Uebel, von Ueberfluß und Mangel, von reichen Städten und in den Einöden zerstreuten Hütten, von Milde und Grausamkeit, von Glück und Elend. Italien hat nichts, was die Reinheit des Himmels über Louisiana während des Winters überträfe; die Luft ist Arznei, die Tage sind lang, wie bei uns im Frühjahr; Monate lang wölbt sich über uns ein Azurblau, nur selten durch einen furcht¬ baren Gewittersturm verdüstert, der die Wälder verheert, Städte erzittern macht, hier und da eine Wohnung anzündet und gleich einer Sündflut einen Regen- strom herabsendet, der auf seinem Zuge alles überschwemmt. Der Sommer, dessen Herrschaft zwei Drittel des Jahrs währt, beginnt mit dem Südwinde. Mit ihm kommen die Krankheiten, und alsbald ist alles tödtlich; die Fieber verbreiten sich wüthend über Stadt und Land, raffen die Europäer, Nordamerikaner, selbst die Creolen dahin und erfüllen die Gassen mit Särgen, Todtengesängen und Thränen; reich und arm, schwarz und weiß — nichts, nichts bleibt verschont.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/418>, abgerufen am 29.06.2024.