Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die jährige Ferse, welche zur Milchkuh angezogen wird, muß am Maimorgen
einen Namen erhalten. Früh ehe der Tag graut geht der Hirt auf die Stelle
des Berges oder Waldes, auf welche die ersten Sonnenstrahlen fallen. Dort
schneidet er das Reis einer Eberesche (die auch sonst für den Aberglauben Be¬
deutung hat) sowie es vom ersten Strahle des Tages beschienen wird, mit
einem Schnitte ab. Im Hofe versammeln sich inzwischen die Hausbewohner
und Nachbarn. Das Rind wird in die Mitte des Hofes geführt und der Hirt
schlägt es dreimal mit dem Ebereschenzweige auf den Rücken, indem er spricht:


Quick! Quick! Quick!
Bringt Milch wol tu die Stirk.
Der Saft kommt in die Birken,
Einen Namen geb ich der Stirke".
DaS Land kommt ans die Eichen
N. N. sollst du heißen.

Der Hirt erhält hierauf Eier zum Lohne. Mit deren Schalen schmückt er
das "Quickreis", bindet noch dürre Bänder und Schnitzel farbigen Papiers
dazwischen und hängt das Ganze über der Stallthür auf. Die Kuh hat nun
einen Namen.

Nun aber kommen wir zur Hauptform der alten Maifeier, soweit sie
den ersten Tag des Monats betrifft. Bekannt ist, daß in ganz Nord¬
deutschland, von Schlesien bis nach dem Rheinland": und vom Erzgebirge
bis zum Ostseestrande der Glaube herrscht, in der Nacht des ersten Mai
oder der Walpurgisnacht führen die- Heren nach dem Blocksberge und hielten
dort ihre große Jahresversammlung. Im Norden denkt man dabei an den
Brocken, die höchste Spitze des Harzes. Doch gibt es auch andre Heren-
stätten, zum Beispiel der Huiberg bei Halberstadt und der ähnlich benannte
Heuberg zwischen Balingen und Tuttlingen in Schwaben, der Hörselberg bei
Eisenach, der Bechtelsberg bei dem hessischen Orte Ottrau, eine alte ziegen-
hcuuische Gerichtsstätte, der Köterberg bei Corvey in Westphalen, der Wecking-
stein (an Wittekind erinnernd) bei Minden, der Kniebiß im Elsaß, der Staffel¬
stein bei Bamberg und der Uuholdenberg bei Passau. In Schweden ist es die
Klippeninsel Blakulle zwischen Smaland und Oeland, in Dänemark der Troas
auf dem norwegischen Eilande Txomsoe. Die neapolitanischen Heren feiern
ihre Orgien, die ,,beneventinische Hochzeit", unter einem Wallnußbaume bei
Benevent, an derselben Stelle, wo einst der heilige Blutbann der Longobarden
Grimoalds und Nomualbs stand. Andre italienische Herenberge sind der
Barco ti Ferrara und der Paterno ti Bologna. In Frankreich ist der Puv
de Dome bei Clermont in der Auvergne deshalb berüchtigt. In Spanien
tanzen die Unholdinnen auf der Haide von Baraona. In Ungarn endlich



M

d. h. Leben, Strömung, z, B. Quecksilber, Qucckbruuncu, Quecken (das wuchernde
Unkraut der Felder) u. s. w.

die jährige Ferse, welche zur Milchkuh angezogen wird, muß am Maimorgen
einen Namen erhalten. Früh ehe der Tag graut geht der Hirt auf die Stelle
des Berges oder Waldes, auf welche die ersten Sonnenstrahlen fallen. Dort
schneidet er das Reis einer Eberesche (die auch sonst für den Aberglauben Be¬
deutung hat) sowie es vom ersten Strahle des Tages beschienen wird, mit
einem Schnitte ab. Im Hofe versammeln sich inzwischen die Hausbewohner
und Nachbarn. Das Rind wird in die Mitte des Hofes geführt und der Hirt
schlägt es dreimal mit dem Ebereschenzweige auf den Rücken, indem er spricht:


Quick! Quick! Quick!
Bringt Milch wol tu die Stirk.
Der Saft kommt in die Birken,
Einen Namen geb ich der Stirke».
DaS Land kommt ans die Eichen
N. N. sollst du heißen.

Der Hirt erhält hierauf Eier zum Lohne. Mit deren Schalen schmückt er
das „Quickreis", bindet noch dürre Bänder und Schnitzel farbigen Papiers
dazwischen und hängt das Ganze über der Stallthür auf. Die Kuh hat nun
einen Namen.

Nun aber kommen wir zur Hauptform der alten Maifeier, soweit sie
den ersten Tag des Monats betrifft. Bekannt ist, daß in ganz Nord¬
deutschland, von Schlesien bis nach dem Rheinland«: und vom Erzgebirge
bis zum Ostseestrande der Glaube herrscht, in der Nacht des ersten Mai
oder der Walpurgisnacht führen die- Heren nach dem Blocksberge und hielten
dort ihre große Jahresversammlung. Im Norden denkt man dabei an den
Brocken, die höchste Spitze des Harzes. Doch gibt es auch andre Heren-
stätten, zum Beispiel der Huiberg bei Halberstadt und der ähnlich benannte
Heuberg zwischen Balingen und Tuttlingen in Schwaben, der Hörselberg bei
Eisenach, der Bechtelsberg bei dem hessischen Orte Ottrau, eine alte ziegen-
hcuuische Gerichtsstätte, der Köterberg bei Corvey in Westphalen, der Wecking-
stein (an Wittekind erinnernd) bei Minden, der Kniebiß im Elsaß, der Staffel¬
stein bei Bamberg und der Uuholdenberg bei Passau. In Schweden ist es die
Klippeninsel Blakulle zwischen Smaland und Oeland, in Dänemark der Troas
auf dem norwegischen Eilande Txomsoe. Die neapolitanischen Heren feiern
ihre Orgien, die ,,beneventinische Hochzeit", unter einem Wallnußbaume bei
Benevent, an derselben Stelle, wo einst der heilige Blutbann der Longobarden
Grimoalds und Nomualbs stand. Andre italienische Herenberge sind der
Barco ti Ferrara und der Paterno ti Bologna. In Frankreich ist der Puv
de Dome bei Clermont in der Auvergne deshalb berüchtigt. In Spanien
tanzen die Unholdinnen auf der Haide von Baraona. In Ungarn endlich



M

d. h. Leben, Strömung, z, B. Quecksilber, Qucckbruuncu, Quecken (das wuchernde
Unkraut der Felder) u. s. w.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99722"/>
          <p xml:id="ID_1142" prev="#ID_1141" next="#ID_1143"> die jährige Ferse, welche zur Milchkuh angezogen wird, muß am Maimorgen<lb/>
einen Namen erhalten. Früh ehe der Tag graut geht der Hirt auf die Stelle<lb/>
des Berges oder Waldes, auf welche die ersten Sonnenstrahlen fallen. Dort<lb/>
schneidet er das Reis einer Eberesche (die auch sonst für den Aberglauben Be¬<lb/>
deutung hat) sowie es vom ersten Strahle des Tages beschienen wird, mit<lb/>
einem Schnitte ab. Im Hofe versammeln sich inzwischen die Hausbewohner<lb/>
und Nachbarn. Das Rind wird in die Mitte des Hofes geführt und der Hirt<lb/>
schlägt es dreimal mit dem Ebereschenzweige auf den Rücken, indem er spricht:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_7" type="poem">
              <l> Quick! Quick! Quick!<lb/>
Bringt Milch wol tu die Stirk.<lb/>
Der Saft kommt in die Birken,<lb/>
Einen Namen geb ich der Stirke».<lb/>
DaS Land kommt ans die Eichen<lb/>
N. N. sollst du heißen.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1143" prev="#ID_1142"> Der Hirt erhält hierauf Eier zum Lohne. Mit deren Schalen schmückt er<lb/>
das &#x201E;Quickreis", bindet noch dürre Bänder und Schnitzel farbigen Papiers<lb/>
dazwischen und hängt das Ganze über der Stallthür auf. Die Kuh hat nun<lb/>
einen Namen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1144" next="#ID_1145"> Nun aber kommen wir zur Hauptform der alten Maifeier, soweit sie<lb/>
den ersten Tag des Monats betrifft. Bekannt ist, daß in ganz Nord¬<lb/>
deutschland, von Schlesien bis nach dem Rheinland«: und vom Erzgebirge<lb/>
bis zum Ostseestrande der Glaube herrscht, in der Nacht des ersten Mai<lb/>
oder der Walpurgisnacht führen die- Heren nach dem Blocksberge und hielten<lb/>
dort ihre große Jahresversammlung. Im Norden denkt man dabei an den<lb/>
Brocken, die höchste Spitze des Harzes. Doch gibt es auch andre Heren-<lb/>
stätten, zum Beispiel der Huiberg bei Halberstadt und der ähnlich benannte<lb/>
Heuberg zwischen Balingen und Tuttlingen in Schwaben, der Hörselberg bei<lb/>
Eisenach, der Bechtelsberg bei dem hessischen Orte Ottrau, eine alte ziegen-<lb/>
hcuuische Gerichtsstätte, der Köterberg bei Corvey in Westphalen, der Wecking-<lb/>
stein (an Wittekind erinnernd) bei Minden, der Kniebiß im Elsaß, der Staffel¬<lb/>
stein bei Bamberg und der Uuholdenberg bei Passau. In Schweden ist es die<lb/>
Klippeninsel Blakulle zwischen Smaland und Oeland, in Dänemark der Troas<lb/>
auf dem norwegischen Eilande Txomsoe. Die neapolitanischen Heren feiern<lb/>
ihre Orgien, die ,,beneventinische Hochzeit", unter einem Wallnußbaume bei<lb/>
Benevent, an derselben Stelle, wo einst der heilige Blutbann der Longobarden<lb/>
Grimoalds und Nomualbs stand. Andre italienische Herenberge sind der<lb/>
Barco ti Ferrara und der Paterno ti Bologna. In Frankreich ist der Puv<lb/>
de Dome bei Clermont in der Auvergne deshalb berüchtigt. In Spanien<lb/>
tanzen die Unholdinnen auf der Haide von Baraona.  In Ungarn endlich</p><lb/>
          <note xml:id="FID_16" place="foot"> d. h. Leben, Strömung, z, B. Quecksilber, Qucckbruuncu, Quecken (das wuchernde<lb/>
Unkraut der Felder) u. s. w.</note><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> M</head><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0336] die jährige Ferse, welche zur Milchkuh angezogen wird, muß am Maimorgen einen Namen erhalten. Früh ehe der Tag graut geht der Hirt auf die Stelle des Berges oder Waldes, auf welche die ersten Sonnenstrahlen fallen. Dort schneidet er das Reis einer Eberesche (die auch sonst für den Aberglauben Be¬ deutung hat) sowie es vom ersten Strahle des Tages beschienen wird, mit einem Schnitte ab. Im Hofe versammeln sich inzwischen die Hausbewohner und Nachbarn. Das Rind wird in die Mitte des Hofes geführt und der Hirt schlägt es dreimal mit dem Ebereschenzweige auf den Rücken, indem er spricht: Quick! Quick! Quick! Bringt Milch wol tu die Stirk. Der Saft kommt in die Birken, Einen Namen geb ich der Stirke». DaS Land kommt ans die Eichen N. N. sollst du heißen. Der Hirt erhält hierauf Eier zum Lohne. Mit deren Schalen schmückt er das „Quickreis", bindet noch dürre Bänder und Schnitzel farbigen Papiers dazwischen und hängt das Ganze über der Stallthür auf. Die Kuh hat nun einen Namen. Nun aber kommen wir zur Hauptform der alten Maifeier, soweit sie den ersten Tag des Monats betrifft. Bekannt ist, daß in ganz Nord¬ deutschland, von Schlesien bis nach dem Rheinland«: und vom Erzgebirge bis zum Ostseestrande der Glaube herrscht, in der Nacht des ersten Mai oder der Walpurgisnacht führen die- Heren nach dem Blocksberge und hielten dort ihre große Jahresversammlung. Im Norden denkt man dabei an den Brocken, die höchste Spitze des Harzes. Doch gibt es auch andre Heren- stätten, zum Beispiel der Huiberg bei Halberstadt und der ähnlich benannte Heuberg zwischen Balingen und Tuttlingen in Schwaben, der Hörselberg bei Eisenach, der Bechtelsberg bei dem hessischen Orte Ottrau, eine alte ziegen- hcuuische Gerichtsstätte, der Köterberg bei Corvey in Westphalen, der Wecking- stein (an Wittekind erinnernd) bei Minden, der Kniebiß im Elsaß, der Staffel¬ stein bei Bamberg und der Uuholdenberg bei Passau. In Schweden ist es die Klippeninsel Blakulle zwischen Smaland und Oeland, in Dänemark der Troas auf dem norwegischen Eilande Txomsoe. Die neapolitanischen Heren feiern ihre Orgien, die ,,beneventinische Hochzeit", unter einem Wallnußbaume bei Benevent, an derselben Stelle, wo einst der heilige Blutbann der Longobarden Grimoalds und Nomualbs stand. Andre italienische Herenberge sind der Barco ti Ferrara und der Paterno ti Bologna. In Frankreich ist der Puv de Dome bei Clermont in der Auvergne deshalb berüchtigt. In Spanien tanzen die Unholdinnen auf der Haide von Baraona. In Ungarn endlich M d. h. Leben, Strömung, z, B. Quecksilber, Qucckbruuncu, Quecken (das wuchernde Unkraut der Felder) u. s. w.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/336
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/336>, abgerufen am 05.12.2024.