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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Heidenthum in den Mmfesten des deutschen Volks.

Ein früherer Artikel dieser Blätter wies am Weihnachrsfeste nach, wie das
altdeutsche Heidenthum uns nicht blos unter der Erde, in Hünengräbern und
Todtenurnen, sondern auch noch über der Erde und am hellen Tage, in Sitten
und Gebräuchen, Sagen und abergläubischen Observanzen durch zahlreiche Neste
bis auf unsre Zeit sichtbar wird. Wir sahen, wie namentlich in den Strichen
unsres Vaterlandes, die fern von großen Städten liegen, mittelalterliche Vor¬
stellungen und, in diese eingesargt, Neste vorchristlicher Religion in zahlreichern
Spuren zu finden sind, als mancher wol zu glauben geneigt ist. Wir erfuh¬
ren, daß noch jetzt in den zwölf Nächten der Wintersonnenwende mit rasseln¬
den Ketten, schnaubenden Rossen, wilder Musik und unheimlichem Gesänge
das gespenstische Heer über die Gefilde Schwabens und Sachsens, Thüringens
und Westphalens hinstürmt, in dem einst der heidnische Germane Wuotan,
den Himmelsgott, und die zu ihm versammelten todten Helden verehrte. Wir
sahen, hier als Gespenst, dort in eine possenhafte Puppe verwandelt und nur
durch eine Kette von Schlüssen zu erkennen, Fro, den Erntespender erscheinen,
um die Wintersaat zu segnen, sahen Frau Holle die Berge und Brunnen, in
die sie der neue Glaube verwünscht verlassen, um die Nockenstuben des Land¬
volks heimzusuchen. Perchta ließ sich mit ihrem Pfluge sehen, der von den
Seelen umgetauft verstorbener Kinder gezogen wurde. Freudenfeuer loderten
auf den Bergen und in den Hallen. Kerzen brannten an den Kreuzwegen zu
Ehren der aus Gottheiten zu halbgöttlichen Dämonen gewordenen und wenn
nicht mehr verehrten, doch noch gefürchteten Schattenbilder der Vorzeit. Alt¬
hergebrachte Gerüchte, halbverklungne Erinnerungen an die Opferschmäuse der
Väter, wurden gewissenhaft genossen, Reigentänze in wunderlicher Vermummung
aufgeführt, Wettkämpfe symbolischer Natur gehalten, während an einsamer Stätte
der Zauberkundige den übermenschlichen Gewalten köstliche Gaben, das rothe
Gold, ungewöhnliche Leibesstärke oder die Kunde der Zukunft abgewann.

Es war das Bild des alten Julfesteö, welches jenen Aufsatz aus den
uns gebliebenen Erinnerungen musivisch wieder zusammenzustellen unternahm.
Aber die Eiche des Heidenthums, die Winfrid mit seinen Genossen fällte, ohne


Grenzboten. II. <86ü. > ,
Heidenthum in den Mmfesten des deutschen Volks.

Ein früherer Artikel dieser Blätter wies am Weihnachrsfeste nach, wie das
altdeutsche Heidenthum uns nicht blos unter der Erde, in Hünengräbern und
Todtenurnen, sondern auch noch über der Erde und am hellen Tage, in Sitten
und Gebräuchen, Sagen und abergläubischen Observanzen durch zahlreiche Neste
bis auf unsre Zeit sichtbar wird. Wir sahen, wie namentlich in den Strichen
unsres Vaterlandes, die fern von großen Städten liegen, mittelalterliche Vor¬
stellungen und, in diese eingesargt, Neste vorchristlicher Religion in zahlreichern
Spuren zu finden sind, als mancher wol zu glauben geneigt ist. Wir erfuh¬
ren, daß noch jetzt in den zwölf Nächten der Wintersonnenwende mit rasseln¬
den Ketten, schnaubenden Rossen, wilder Musik und unheimlichem Gesänge
das gespenstische Heer über die Gefilde Schwabens und Sachsens, Thüringens
und Westphalens hinstürmt, in dem einst der heidnische Germane Wuotan,
den Himmelsgott, und die zu ihm versammelten todten Helden verehrte. Wir
sahen, hier als Gespenst, dort in eine possenhafte Puppe verwandelt und nur
durch eine Kette von Schlüssen zu erkennen, Fro, den Erntespender erscheinen,
um die Wintersaat zu segnen, sahen Frau Holle die Berge und Brunnen, in
die sie der neue Glaube verwünscht verlassen, um die Nockenstuben des Land¬
volks heimzusuchen. Perchta ließ sich mit ihrem Pfluge sehen, der von den
Seelen umgetauft verstorbener Kinder gezogen wurde. Freudenfeuer loderten
auf den Bergen und in den Hallen. Kerzen brannten an den Kreuzwegen zu
Ehren der aus Gottheiten zu halbgöttlichen Dämonen gewordenen und wenn
nicht mehr verehrten, doch noch gefürchteten Schattenbilder der Vorzeit. Alt¬
hergebrachte Gerüchte, halbverklungne Erinnerungen an die Opferschmäuse der
Väter, wurden gewissenhaft genossen, Reigentänze in wunderlicher Vermummung
aufgeführt, Wettkämpfe symbolischer Natur gehalten, während an einsamer Stätte
der Zauberkundige den übermenschlichen Gewalten köstliche Gaben, das rothe
Gold, ungewöhnliche Leibesstärke oder die Kunde der Zukunft abgewann.

Es war das Bild des alten Julfesteö, welches jenen Aufsatz aus den
uns gebliebenen Erinnerungen musivisch wieder zusammenzustellen unternahm.
Aber die Eiche des Heidenthums, die Winfrid mit seinen Genossen fällte, ohne


Grenzboten. II. <86ü. > ,
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[0329] Heidenthum in den Mmfesten des deutschen Volks. Ein früherer Artikel dieser Blätter wies am Weihnachrsfeste nach, wie das altdeutsche Heidenthum uns nicht blos unter der Erde, in Hünengräbern und Todtenurnen, sondern auch noch über der Erde und am hellen Tage, in Sitten und Gebräuchen, Sagen und abergläubischen Observanzen durch zahlreiche Neste bis auf unsre Zeit sichtbar wird. Wir sahen, wie namentlich in den Strichen unsres Vaterlandes, die fern von großen Städten liegen, mittelalterliche Vor¬ stellungen und, in diese eingesargt, Neste vorchristlicher Religion in zahlreichern Spuren zu finden sind, als mancher wol zu glauben geneigt ist. Wir erfuh¬ ren, daß noch jetzt in den zwölf Nächten der Wintersonnenwende mit rasseln¬ den Ketten, schnaubenden Rossen, wilder Musik und unheimlichem Gesänge das gespenstische Heer über die Gefilde Schwabens und Sachsens, Thüringens und Westphalens hinstürmt, in dem einst der heidnische Germane Wuotan, den Himmelsgott, und die zu ihm versammelten todten Helden verehrte. Wir sahen, hier als Gespenst, dort in eine possenhafte Puppe verwandelt und nur durch eine Kette von Schlüssen zu erkennen, Fro, den Erntespender erscheinen, um die Wintersaat zu segnen, sahen Frau Holle die Berge und Brunnen, in die sie der neue Glaube verwünscht verlassen, um die Nockenstuben des Land¬ volks heimzusuchen. Perchta ließ sich mit ihrem Pfluge sehen, der von den Seelen umgetauft verstorbener Kinder gezogen wurde. Freudenfeuer loderten auf den Bergen und in den Hallen. Kerzen brannten an den Kreuzwegen zu Ehren der aus Gottheiten zu halbgöttlichen Dämonen gewordenen und wenn nicht mehr verehrten, doch noch gefürchteten Schattenbilder der Vorzeit. Alt¬ hergebrachte Gerüchte, halbverklungne Erinnerungen an die Opferschmäuse der Väter, wurden gewissenhaft genossen, Reigentänze in wunderlicher Vermummung aufgeführt, Wettkämpfe symbolischer Natur gehalten, während an einsamer Stätte der Zauberkundige den übermenschlichen Gewalten köstliche Gaben, das rothe Gold, ungewöhnliche Leibesstärke oder die Kunde der Zukunft abgewann. Es war das Bild des alten Julfesteö, welches jenen Aufsatz aus den uns gebliebenen Erinnerungen musivisch wieder zusammenzustellen unternahm. Aber die Eiche des Heidenthums, die Winfrid mit seinen Genossen fällte, ohne Grenzboten. II. <86ü. > ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/329>, abgerufen am 29.06.2024.