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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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angestrengteste Arbeit neben der sparsamsten und regelmäßigsten Lebens¬
weise, die irgend denkbar ist, nicht hinreichen, den Arbeiter mit seinen Be¬
dürfnissen zu erhalten (die Abzüge, die hier durch Beamtengehalte und der¬
gleichen entstehen, würden im freien Zustande durch Familie und Steuern
völlig repräsentirt werden) so ist, solange die jetzigen Lohnverhältnisse herrschend
bleiben, wol kaum zu hoffen, daß Verbrechen gegen das Eigenthum sich ver¬
ringern werden. --




Korrespondenzen.
Pariser Brief.

-- Schon zur Zeit der Londoner Weltausstellung, als der
Lordmajor der Stadt Paris einen officiellen Besuch machte, hatten wir aus die
wichtigen Folgen dieses scheinbar unbedeutenden Ereignisses hingewiesen. Wir
hatten nämlich in dem Besuche bereits ein günstiges Resultat der Londoner Aus¬
stellung erkannt und es schien uus unausweichlich, daß die Annäherung zwischen
hen beiden Nationen nicht auf halbem Wege werde stehen bleiben. Die Allianz Englands
mit Frankreich hat uns Recht gegeben und der gegenwärtige Empfang Louis Na¬
poleons in derselben Stadt, die er als Flüchtling, als Exilirter, als Verschwörer
und als Prätendent bewohnte, ist sozusagen eine neue Consecration dieses heilsamen
Bündnisses der beiden Wcstmächte. Darum wollen wir es auch den Engländern
nachsehen, wenn sie in diesem Augenblicke denselben Mann mit ihren Freundschafts-
bezeugungen überhäufen, der noch vor zwei Jahren die Zielscheibe des allgemeinen
Spottes wie der Gegenstand des allgemeinen Hasses gewesen war. Wir wollen die
Times vom Jahre 1851 nicht in Erinnerung bringen, nicht gedenken der mit
Feuerworten geschriebenen Briefe eines Englishman, deren Vortrefflichkeit an die
besten Seiten in Junius unsterblicher Polemik gemahnen. Wir wollen noch weniger
das Jahr 1830 ins Gedächtniß rufen mit seinem in England beispiellosen Enthu¬
siasmus für Kossuth, der nun wie Ludwig Napoleon einst das Leben eines schlichten
Privatmannes in London führt. Wir mögen hier nicht auf die Widersprüche auf¬
merksam machen, die sich im englischen Volke kundgeben, nicht erwähnen, daß beim
Empfang Kvssuths wie beim Empfange des Kaisers die Leitartikel der vorzüglich¬
sten Blätter das Thema ausdrückten: "Der Engländer ist nicht leicht entzündbar,
aber wenn er einmal Flamme faßt, dann hält seine Begeisterung an." Es kann
niemand Wunder nehmen, daß die englische Nation, wie jede andre aus Menschen,
das heißt aus veränderlichen Wesen besteht.

Der Empfang des Kaisers gilt, wie er selbst in seiner gewohnten diplomatischen
Bescheidenheit sagte, der französischen Nation, sowie die Huldigung, die Kossuth
in London gefunden hatte, auch zunächst der Tapferkeit des ungarischen Volkes galt.
So aufgefaßt haben die Engländer Recht, ihre Begeisterung laut werden zu lassen
und auch drüben, jenseits des Rheins, kann man sich der Einigung zweier Nationen
wie Frankreich und England, nur freuen; denu wenn auch, wir fürchten es, im
gegenwärtigen Kriege von den heilsamen Folgen, die dieses Hauptereigniß der


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angestrengteste Arbeit neben der sparsamsten und regelmäßigsten Lebens¬
weise, die irgend denkbar ist, nicht hinreichen, den Arbeiter mit seinen Be¬
dürfnissen zu erhalten (die Abzüge, die hier durch Beamtengehalte und der¬
gleichen entstehen, würden im freien Zustande durch Familie und Steuern
völlig repräsentirt werden) so ist, solange die jetzigen Lohnverhältnisse herrschend
bleiben, wol kaum zu hoffen, daß Verbrechen gegen das Eigenthum sich ver¬
ringern werden. —




Korrespondenzen.
Pariser Brief.

— Schon zur Zeit der Londoner Weltausstellung, als der
Lordmajor der Stadt Paris einen officiellen Besuch machte, hatten wir aus die
wichtigen Folgen dieses scheinbar unbedeutenden Ereignisses hingewiesen. Wir
hatten nämlich in dem Besuche bereits ein günstiges Resultat der Londoner Aus¬
stellung erkannt und es schien uus unausweichlich, daß die Annäherung zwischen
hen beiden Nationen nicht auf halbem Wege werde stehen bleiben. Die Allianz Englands
mit Frankreich hat uns Recht gegeben und der gegenwärtige Empfang Louis Na¬
poleons in derselben Stadt, die er als Flüchtling, als Exilirter, als Verschwörer
und als Prätendent bewohnte, ist sozusagen eine neue Consecration dieses heilsamen
Bündnisses der beiden Wcstmächte. Darum wollen wir es auch den Engländern
nachsehen, wenn sie in diesem Augenblicke denselben Mann mit ihren Freundschafts-
bezeugungen überhäufen, der noch vor zwei Jahren die Zielscheibe des allgemeinen
Spottes wie der Gegenstand des allgemeinen Hasses gewesen war. Wir wollen die
Times vom Jahre 1851 nicht in Erinnerung bringen, nicht gedenken der mit
Feuerworten geschriebenen Briefe eines Englishman, deren Vortrefflichkeit an die
besten Seiten in Junius unsterblicher Polemik gemahnen. Wir wollen noch weniger
das Jahr 1830 ins Gedächtniß rufen mit seinem in England beispiellosen Enthu¬
siasmus für Kossuth, der nun wie Ludwig Napoleon einst das Leben eines schlichten
Privatmannes in London führt. Wir mögen hier nicht auf die Widersprüche auf¬
merksam machen, die sich im englischen Volke kundgeben, nicht erwähnen, daß beim
Empfang Kvssuths wie beim Empfange des Kaisers die Leitartikel der vorzüglich¬
sten Blätter das Thema ausdrückten: „Der Engländer ist nicht leicht entzündbar,
aber wenn er einmal Flamme faßt, dann hält seine Begeisterung an." Es kann
niemand Wunder nehmen, daß die englische Nation, wie jede andre aus Menschen,
das heißt aus veränderlichen Wesen besteht.

Der Empfang des Kaisers gilt, wie er selbst in seiner gewohnten diplomatischen
Bescheidenheit sagte, der französischen Nation, sowie die Huldigung, die Kossuth
in London gefunden hatte, auch zunächst der Tapferkeit des ungarischen Volkes galt.
So aufgefaßt haben die Engländer Recht, ihre Begeisterung laut werden zu lassen
und auch drüben, jenseits des Rheins, kann man sich der Einigung zweier Nationen
wie Frankreich und England, nur freuen; denu wenn auch, wir fürchten es, im
gegenwärtigen Kriege von den heilsamen Folgen, die dieses Hauptereigniß der


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[0195] angestrengteste Arbeit neben der sparsamsten und regelmäßigsten Lebens¬ weise, die irgend denkbar ist, nicht hinreichen, den Arbeiter mit seinen Be¬ dürfnissen zu erhalten (die Abzüge, die hier durch Beamtengehalte und der¬ gleichen entstehen, würden im freien Zustande durch Familie und Steuern völlig repräsentirt werden) so ist, solange die jetzigen Lohnverhältnisse herrschend bleiben, wol kaum zu hoffen, daß Verbrechen gegen das Eigenthum sich ver¬ ringern werden. — Korrespondenzen. Pariser Brief. — Schon zur Zeit der Londoner Weltausstellung, als der Lordmajor der Stadt Paris einen officiellen Besuch machte, hatten wir aus die wichtigen Folgen dieses scheinbar unbedeutenden Ereignisses hingewiesen. Wir hatten nämlich in dem Besuche bereits ein günstiges Resultat der Londoner Aus¬ stellung erkannt und es schien uus unausweichlich, daß die Annäherung zwischen hen beiden Nationen nicht auf halbem Wege werde stehen bleiben. Die Allianz Englands mit Frankreich hat uns Recht gegeben und der gegenwärtige Empfang Louis Na¬ poleons in derselben Stadt, die er als Flüchtling, als Exilirter, als Verschwörer und als Prätendent bewohnte, ist sozusagen eine neue Consecration dieses heilsamen Bündnisses der beiden Wcstmächte. Darum wollen wir es auch den Engländern nachsehen, wenn sie in diesem Augenblicke denselben Mann mit ihren Freundschafts- bezeugungen überhäufen, der noch vor zwei Jahren die Zielscheibe des allgemeinen Spottes wie der Gegenstand des allgemeinen Hasses gewesen war. Wir wollen die Times vom Jahre 1851 nicht in Erinnerung bringen, nicht gedenken der mit Feuerworten geschriebenen Briefe eines Englishman, deren Vortrefflichkeit an die besten Seiten in Junius unsterblicher Polemik gemahnen. Wir wollen noch weniger das Jahr 1830 ins Gedächtniß rufen mit seinem in England beispiellosen Enthu¬ siasmus für Kossuth, der nun wie Ludwig Napoleon einst das Leben eines schlichten Privatmannes in London führt. Wir mögen hier nicht auf die Widersprüche auf¬ merksam machen, die sich im englischen Volke kundgeben, nicht erwähnen, daß beim Empfang Kvssuths wie beim Empfange des Kaisers die Leitartikel der vorzüglich¬ sten Blätter das Thema ausdrückten: „Der Engländer ist nicht leicht entzündbar, aber wenn er einmal Flamme faßt, dann hält seine Begeisterung an." Es kann niemand Wunder nehmen, daß die englische Nation, wie jede andre aus Menschen, das heißt aus veränderlichen Wesen besteht. Der Empfang des Kaisers gilt, wie er selbst in seiner gewohnten diplomatischen Bescheidenheit sagte, der französischen Nation, sowie die Huldigung, die Kossuth in London gefunden hatte, auch zunächst der Tapferkeit des ungarischen Volkes galt. So aufgefaßt haben die Engländer Recht, ihre Begeisterung laut werden zu lassen und auch drüben, jenseits des Rheins, kann man sich der Einigung zweier Nationen wie Frankreich und England, nur freuen; denu wenn auch, wir fürchten es, im gegenwärtigen Kriege von den heilsamen Folgen, die dieses Hauptereigniß der 24*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/195>, abgerufen am 05.12.2024.